: Ortleb: Frauen nicht zur Beratung zwingen

von Philipp Dietrich
18.04.2024 | 12:18 Uhr
Braucht Deutschland ein neues Abtreibungsrecht? Für SPD-Politikerin Ortleb ist der "Schwangerschaftsabbruch im Strafrecht falsch". Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa hält dagegen.

Braucht Deutschland ein neues Abtreibungsrecht? Darüber diskutieren Josephine Ortleb (SPD), Parlamentarische Geschäftsführerin, und Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin Deutscher Caritasverband.

18.04.2024 | 10:11 min
Abtreibungen sind in Deutschland zwar unter bestimmten Bedingungen in den ersten zwölf Wochen straffrei, aber nicht rechtmäßig. Die Expertenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung empfahl nun, Abtreibungen zu entkriminalisieren. Darüber debattieren SPD-Politikerin Josephine Ortleb und Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa im "moma duell".
Braucht Deutschland ein neues Abtreibungsrecht? Ja, sagt Josephine Oertel von der SPD. "Im Interesse der Frauen müssen die Gesetze zur reproduktiven Selbstbestimmung auf der Höhe der Zeit sein." Nein, sagt Eva Maria von der Caritas. "Die jetzige Regelung ist keine Kriminalisierung, sondern ein ausgewogenes Konzept."

Eva Maria Welskop-Deffaa

Quelle: Monika Keiler
Eva Maria Welskop-Deffaa ist Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes e. V. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Die engagierte Katholikin ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Schwerpunkte ihrer Arbeit im Deutschen Caritasverband sind unter anderem Digitalisierung, soziales Europa und junges Engagement. Welskop-Deffaa ist Mitglied des ZDF-Fernsehrats. (Quelle: Caritas)

Josephine Ortleb

Quelle: picture alliance / dts-Agentur
Josephine Ortleb, sitzt seit 2017 für die SPD im Deutschen Bundestag. Sie ist Parlamentarische Geschäftsführerin und frauenpolitische Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie wurde in Saarbrücken geboren und hat ein Kind. Ortlieb engagiert sich als Landesvorsitzende bei pro familia Saarland, beim ASB und den SPD Frauen. (Quelle: Bundestag, instagram)
Für Josephine Ortleb ist der Schwangerschaftsabbruch "im Strafrecht falsch, denn das Strafrecht ist das stärkste Schwert des Staates. Und dieses Schwert über die Frauen, die in schwierigen Konfliktlagen sind, zu erheben, halte ich für falsch." Sie möchte, dass Frauen "selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden können" und sieht im momentanen Recht eine Quelle "großer Schwierigkeiten" für Frauen in Konfliktsituationen.

Braucht Deutschland noch Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs, der einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt? Experten empfehlen nun, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren.

16.04.2024 | 08:19 min

Caritas-Präsidentin: Selbstbestimmungsrecht wird gewährleistet

Die Präsidentin der Caritas Eva Maria Welskop-Deffaa stimmt dem Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich zu, sieht diesen Anspruch jedoch im "geltenden Recht optimal geleistet". Die jetzige Lösung - die Beratungspflicht - ermögliche den Frauen erst die Selbstbestimmung.

Abtreibung: Die rechtliche Lage

Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) grundsätzlich strafbar. Doch auf Grundlage der sogenannten Beratungsregelung bleibt er unter bestimmten Bedingungen dennoch straffrei, das regelt § 218a StGB.

Danach bleibt ein Schwangerschaftsabbruch straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch eine Ärztin oder einen Arzt vorgenommen wird, die Schwangere dies verlangt und sie nachweist, dass sie an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen und eine dreitägige Bedenkzeit eingehalten hat.

Ein Abbruch bleibt auch innerhalb von zwölf Wochen straffrei, wenn eine kriminogene oder kriminologische Indikation vorliegt. Das heißt: Die Schwangerschaft ist Folge einer Vergewaltigung oder vergleichbaren Sexualstraftat.

Oder es liegen medizinische Indikationen vor. Zu dieser Einschätzung kann eine Ärztin oder ein Arzt beispielsweise kommen, wenn eine pränatal diagnostische Untersuchung ergibt, dass mit einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung des Kindes zu rechnen ist oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau durch das Austragen der Schwangerschaft ernsthaft gefährdet wäre.

SPD-Frau Ortleb hält dagegen: "Warum sollte man die Frauen, die keinen Beratungsbedarf haben, zu einer Beratung zwingen?" Welskop-Deffaa antwortet mit Zahlen aus einer Befragung des Beratungsanbieters Donum Vitae, dem zufolge "82 Prozent gesagt hätten, dass sie die Beratung als unglaublich hilfreich empfunden haben vor dieser Entscheidung" und 40 Prozent nicht gekommen wären, wenn keine Pflicht zur Beratung bestünde.

Eine Liberalisierung der Abtreibungsregelung helfe, die "Gesundheitsleistung zu normalisieren", so die stellvertretende Vorsitzende von pro familia Stephanie Schlitt.

15.04.2024 | 03:42 min
Auch Josephine Ortleb ist für Beratung. Es müsse ein Recht auf darauf geben, aber für sie gehört zur "Definition einer guten Beratung die Freiwilligkeit".

Das gilt in den Niederlanden

In den Niederlanden sind Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche möglich, bei schweren Gesundheitsproblemen während der Schwangerschaft auch später. Frauen können sich für eine Abtreibung direkt an eine der Abtreibungskliniken im Land wenden - es gibt Beratungsangebote, aber keine Verpflichtung, diese in Anspruch zu nehmen. Eine früher vorgeschriebene fünftägige Bedenkzeit gibt es seit 2023 nicht mehr. Die Kosten einer Abtreibung tragen der Staat oder die Krankenkasse. Geplant ist, dass künftig bis zur neunten Schwangerschaftswoche auch Hausärzte eine medikamentöse Abtreibung (Abtreibungspille) verschreiben können. Eine Abtreibung ist in den Niederlanden nur dann strafbar, wenn sie nicht in einem Krankenhaus entsprechend den Regeln vorgenommen wird.

Das gilt in Frankreich

In Frankreich sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche seit 1975 straffrei. Mittlerweile dürfen Schwangere bis zur 14. Woche abtreiben, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Ein psychosoziales Beratungsgespräch ist nur für Minderjährige verpflichtend. Angesichts der Verschärfungen von Abtreibungsregelungen anderswo auf der Welt in den vergangenen Jahren hat Frankreich sich dazu entschieden, das Abtreibungsrecht zu stärken und vor möglichen zukünftigen Beschneidungen zu schützen. Vor gut einem Monat stimmte das Parlament dafür, die "garantierte Freiheit", eine Abtreibung durchzuführen, in die Verfassung aufzunehmen. Paris zufolge ist Frankreich das erste Land, das das Abtreibungsrecht in der Verfassung verankert hat.

Das gilt in Italien

In Italien sind Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche grundsätzlich möglich. Ein entsprechendes Gesetz von 1978 sieht jedoch bestimmte Voraussetzungen vor. Vor einem Schwangerschaftsabbruch ist eine verpflichtende Beratung nötig. Auf das Beratungsgespräch folgt eine Bedenkzeit von sieben Tagen. Innerhalb der ersten neun Schwangerschaftswochen ist eine medikamentöse Abtreibung möglich, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche hingegen ein chirurgischer Eingriff mittels sogenannter Absaugung. Die Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Rom hat seit Amtsbeginn immer wieder betont, keine Änderungen am Abtreibungsrecht vornehmen zu wollen.

Das gilt in Irland

Die Iren stimmten 2018 in einem Referendum für die Legalisierung von Abtreibungen. Seit dem 1. Januar 2019 dürfen Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft vorgenommen werden. Falls Leben oder Gesundheit der schwangeren Frau gefährdet sind oder es wahrscheinlich ist, dass das Baby noch im Mutterleib oder in den ersten vier Wochen nach der Geburt stirbt, ist dies auch später noch möglich. Die Frist von maximal 84 Tagen Schwangerschaft gilt ab dem ersten Tag der letzten Periode der Frau. Eine Ärztin oder ein Arzt muss bestätigen, dass die zwölf Wochen noch nicht vorbei sind. Drei Tage später kann die Abtreibung durchgeführt werden. Diese gesetzlich vorgeschriebene Zeitspanne soll der schwangeren Frau die Möglichkeit geben, sich ihrer Sache sicher zu sein.

Das gilt in Polen

Derzeit hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Seit 2020 ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche nur noch nach einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt - oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen. In der Vergangenheit hat das mehrfach dazu geführt, dass Schwangere mit Komplikationen im Krankenhaus unter ärztlicher Aufsicht starben, weil sich die Mediziner nicht trauten, einen Abbruch vorzunehmen.  Das Parlament in Warschau hatte sich jüngst für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ausgesprochen. Die Lockerung war eines der zentralen Versprechen von Regierungschef Donald Tusk im Wahlkampf, seine Drei-Parteien-Koalition streitet aber noch darüber, wie eine Lösung konkret aussehen soll. (Quelle: dpa)

Caritas-Präsidentin will nicht auf Strafrecht verzichten

Deutschlands Nachbarn Frankreich und die Niederlande haben in den letzten Jahren das Abtreibungsrecht stark liberalisiert, Frankreich hat das Recht sogar in die Verfassung aufgenommen, die Straffreiheit bis zur 12 Woche ist selbstverständlich.
Hier geht die Caritas-Präsidentin nicht mit:
Wir können auf das Strafrecht nicht verzichten, weil klargestellt sein muss, dass ein Abbruch gegen den Willen der Frau auch zukünftig für den Täter strafrechtlich werden kann.
Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin der Caritas
Der Arzt könne durch den Beratungsschein erkennen, dass die Frau "freiwillig" zum Abbruch kommt. Ortleb widerspricht entschieden. Der deutsche Staat schaffe viele Hürden. Sie frage sich, ob dahinter ein Frauenbild steckt, dass von einer Frau ausgeht "die keine eigene Entscheidung treffen kann" und sich nicht über eine so wichtige Entscheidung informiere.

Als erstes Land der Welt nimmt Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung auf.

05.03.2024 | 02:12 min

SPD-Politikerin Ortleb fordert Abtreibungsrecht auf "Höhe der Zeit"

Sie sieht diese Position durch die Vorschläge der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin gestärkt und fordert:
Wir sollten auf die Höhe der Zeit kommen!
Josephine Ortleb, SPD

Eine Expertenkommission hat empfohlen, einen Abbruch in den ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft grundsätzlich zu erlauben. Die Bundesregierung begrüßte den Bericht.

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