: Strompreise im Sinkflug - trotz Atomausstieg

von Oliver Klein und Jan Schneider
16.04.2024 | 09:18 Uhr
Vor einem Jahr wurden die letzten Atomkraftwerke Deutschlands abgeschaltet. Seitdem ist der Strompreis gefallen. Ein Experte sagt: Mit Atomkraft wäre Strom noch billiger.

Gefährdet der Atomausstieg die Versorgungssicherheit im Land? Wie gut geht der Ausbau der Erneuerbaren voran? Oder muss doch das Atom-Revival her? Jutta Sonnewald zieht Bilanz.

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Ein Jahr ist es her, dass in Deutschland die letzten drei Atommeiler vom Netz gegangen sind. Die Sorgen der Kritiker waren groß und sind es bis heute: Atomkraftwerke würden den günstigsten Strom liefern, ohne sie würden die Strompreise explodieren, die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet sein, hieß es.
Wirtschaftsminister Robert Habeck zog nun Bilanz: Alle an die Wand gemalten Schreckensszenarien des Atomausstiegs seien nicht eingetreten, sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Strompreise seien nach dem Atomausstieg sogar deutlich gefallen. Tatsächlich zahlen sowohl Privathaushalte als auch die Industrie inzwischen weniger für Strom. Woran liegt das? Wie haben sich die Strompreise für Industrie und Privatkunden entwickelt? ZDFheute beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie haben sich die Stromkosten für Haushalte entwickelt?

Für eine Kilowattstunde Strom müssen Neukunden derzeit im Schnitt 26,1 Cent beim günstigsten Anbieter bezahlen, wie aus Daten des Vergleichsportals Verivox hervorgeht. Das sind fast acht Cent weniger als noch vor genau einem Jahr. Auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022 lag dieser Preis bei bis zu 70 Cent pro Kilowattstunde.
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Dieser Spitzenwert wurde vor allem durch den extrem hohen Gaspreis verursacht. Denn wenn der Strom aus Erneuerbaren Energien und Kohlekraftwerken nicht ausreicht, werden oft Gaskraftwerke für die Stromproduktion zugeschaltet.
Zwar wurden 2023 nach Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme nur gut zehn Prozent des Stroms mit Erdgas produziert. Aber: Den Preis für den gesamten Strom, der an der Börse gehandelt wird, bestimmt das Kraftwerk, das die höchsten Produktionskosten hat - und das sind meist die vergleichsweise teuren Gaskraftwerke. So will es das sogenannte Merit-Order-Prinzip. Und so verteuern hohe Gaspreise auch den vergleichsweise günstig produzierten Strom aus Erneuerbaren Energien. Sinken die Gaspreise, ist auch Strom wieder günstiger zu haben.
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Weitere Faktoren haben dazu beigetragen, die Lage auf dem europäischen Strommarkt zu entspannen: So liegt einerseits die Nachfrage immer noch etwa sieben Prozent unter dem Niveau vor der Energiekrise, andererseits ist das Stromangebot deutlich höher, beispielsweise durch mehr Erzeugung durch Erneuerbare Energien oder durch die höhere Verfügbarkeit der Kernkraft in Frankreich.

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Wie entwickelte sich der Industriestrompreis?

Auch für die Industrie ist Stom heute deutlich günstiger zu haben als noch vor einem Jahr. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) beklagt dennoch hohe Strompreise: DIHK-Präsident Peter Adrian sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass die deutschen Strompreise an der Börse noch immer doppelt so hoch seien wie 2019.
Aber: Auch, wenn der Strompreis an der Börse heute viel teurer ist also noch 2019 - für kleinere und mittlere Industriebetriebe ist der gesamte Strompreis gesunken, wie Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft belegen. Demnach lag der durchschnittliche Strompreis für die Industrie bei Neuabschlüssen 2019 noch bei 18,43 Cent, Anfang 2024 waren es nur noch 17,65 Cent pro Kilowattstunde.

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Grund für die Preissenkung: Die Politik bürdet Unternehmen heute viel weniger Zusatzkosten auf. Die EEG-Umlage fiel weg und die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe sank drastisch. Diese beiden Kostenblöcke machten 2019 noch rund die Hälfte des Industriestrompreises aus, fast neun Cent pro Kilowattstunde. Im Jahr 2024 sind die Zusatzkosten auf knapp 1,5 Cent geschrumpft. Im Endeffekt zahlen diese Industriebetriebe also einen ähnlichen Preis wie 2019.
Ein Sonderfall ist die besonders energieintensive Industrie: Für sie gibt es einige Sonderregelungen, beispielsweise ermäßigte Netzentgelte. Letztendlich fällt für diese Vielverbraucher der Börsen-Strompreis viel stärker ins Gewicht und für diese Unternehmen ist der höhere Börsenpreis eine viel stärkere Belastung.
Wie steht es um die Versorgungssicherheit mit Strom in Deutschland nach dem Atomausstieg? Drohen mehr Stromausfälle, importieren wir mehr Atomstrom aus Frankreich? Alle Daten auf einen Blick hier:

Was hätte eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler gebracht?

Die vor einem Jahr abgeschalteten Atomkraftwerke hatten zuletzt etwa sechs Prozent des gesamten Stroms produziert. Hätte eine Verlängerung der Laufzeit die Strompreise zusätzlich senken können? Vermutlich schon, erklärt Marco Wünsch, Energiemarkt-Experte der Prognos AG:
Nach unseren Modellrechnungen läge der Preis etwa 0,3 bis 0,4 Cent pro Kilowattstunde niedriger.
Energiemarkt-Experte Marco Wünsch zu Strompreisen mit einer AKW-Laufzeitverlängerung

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Mit 0,3 bis 0,4 Cent Mehrkosten pro Kilowattstunde kommen gerade bei energieintensiven Unternehmen hohe Kosten zusammen: Die gesamte Industrie habe 2023 rund 200 Terawattstunden an Strom verbraucht, rechnet Wünsch vor. Davon erzeugten die Unternehmen etwa 50 Terawatt mit eigenen Kraftwerken selbst. Bei 150 Terawatt, die zugekauft werden mussten, komme es durch das AKW-Aus zu einer zusätzlichen Belastung von bis zu 600 Millionen Euro für die deutsche Industrie, so Wünsch.
Das müsse man aber in Relation setzen: Der Börsen-Strompreis liege heute etwa sechs Cent pro Kilowattstunde niedriger als vor einem Jahr. "Im Vergleich dazu sind die 0,4 Cent pro Kilowattstunde für den AKW-Ausstieg nur Grundrauschen", ordnet Wünsch ein. Auch bezogen auf die gesamte Wertschöpfung der deutschen Industrie von über 900 Milliarden Euro seien die 600 Millionen "kaum sichtbar". Insgesamt sei der "Effekt von drei Kraftwerken auf die Preise im gut vernetzten europäischen Strommarkt relativ gering", zumindest in der derzeitigen Marktsituation, so Wünsch.
Quelle: mit Material von dpa

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