: Der Ukraine beistehen "solange wie nötig"

26.06.2022 | 19:45 Uhr
Beim Krieg gegen die Ukraine geht es darum, "ob Demokratien sich durchsetzen oder ob der Agressor sich durchsetzt", so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im ZDF-Interview beim G7-Gipfel in Elmau.
Das Interview im Wortlaut:
ZDF: Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich angesichts dessen, was man hier erlebt: Wozu das Ganze? Haben Sie heute eine Information bekommen, die Sie so über Videokonferenzen niemals erhalten hätten?
Ursula von der Leyen: Mit Sicherheit. Und es macht, das wissen wir ja alle seit Covid und den ewigen Videokonferenzen, es macht einen Unterschied, ob man sich persönlich trifft, oder ob man sich über den Bildschirm sieht. Und hier haben wir ganz intensiv den ganzen Tag zusammengesessen und eigentlich die ganzen Themen und Probleme der Welt durchgekaut.
Wir kennen uns gut. Das ist eine Gruppe, die zusammengewachsen ist. Jetzt durch den schrecklichen Krieg, den Russland in der Ukraine ausgelöst hat, haben wir uns sehr regelmäßig und sehr häufig gesprochen. Aber hier noch mal so ganz in Klausur zu gehen, ganz eng beieinander zu sitzen und das durchzukauen, das ist schon sehr wichtig.
ZDF: Jetzt kommen Sie gerade vom Arbeits-Abendessen. Was ist denn dabei herausgekommen? Gab es ein konkretes Ergebnis?
Von der Leyen: Ganz wichtig ist ja, dass wir uns untereinander abstimmen, wie wir die großen Probleme angehen. Erstmal natürlich, wie unterstützen wir weiter die Ukraine? Und das ist eine breite Palette an Themen, die dann durchgesprochen wird.
ZDF: Klar, aber gab es ein Ergebnis? Sie formulieren jetzt die Fragen, die auf dem Tisch liegen, aber was wären denn die Antworten, die G7 jetzt gibt?
Von der Leyen: Also zum Beispiel bei dem ganzen Thema Lebensmittelkrise, dass wir eng zusammenarbeiten müssen. Dass wir die Länder, die jetzt wirklich in Not sind durch Putins Krieg, erstmal finanziell unterstützen. Dann zweitens, dass wir uns konsequent darüber unterhalten müssen, wie man eigentlich den Weizen, den es weltweit gibt, fair verteilt. Drittens, dass wir uns zusammentun wollen, dass wir in den Ländern, die völlig abhängig sind von ukrainischem oder russischem Weizen, in der Mittelfrist es hinkriegen, dass die selbst ihre Lebensmittel anbauen, damit sie ihre Unabhängigkeit auch wieder bekommen. Also ganz konkret auch, wo wir eng zusammenarbeiten wollen und wie wir das Thema angehen wollen.
ZDF: Was ist mit Hilfe für die Ukraine? Ganz konkrete Hilfe, weitere Hilfe, möglicherweise auch langfristige Hilfe. Das hört man heute hier immer wieder. Es ist eben keine Sache mehr von Wochen und Monaten, sondern offensichtlich von Jahren. Zumindest hört man das.
Von der Leyen: Wir werden der Ukraine beistehen, solange es nötig ist. Das war das Grundmotto heute Abend.
ZDF: Und wenn es Jahre dauert und viele, viele Milliarden Euro kostet?
Von der Leyen: Dann stehen wir der Ukraine zur Seite, denn hier geht es darum, ob die Demokratien sich durchsetzen, oder ob sich der Aggressor durchsetzt, der brutal die Ukraine überfallen hat. Und andere Autokraten auf der Welt schauen sich sehr genau an, ob man mit brutaler Macht, militärischer Macht heutzutage noch Grenzen verschieben kann und Länder überfallen kann oder ob die Demokratien aufstehen und mit ihrer eigenen Kraft, und das ist vor allen Dingen die wirtschaftliche Kraft, eine entsprechende Antwort geben und sagen: Halt, bis hierhin und nicht weiter.
ZDF: Sie haben ein paar Punkte jetzt schon genannt: Klimakrise, Energiekrise, natürlich der Krieg in der Ukraine. Ich nehme an, Sie haben wahrscheinlich auch noch nie eine so verfahrene Situation in so vielen Feldern erlebt. Kann man sagen, das ist der wichtigste G7-Gipfel, den es jemals gab?
Von der Leyen: Ich kann das jetzt natürlich nicht ohne weiteres sagen, denn ich bin bei vielen G7-Gipfeln in den letzten 20, 30 Jahren natürlich nicht dabei gewesen. Aber die Dichte der Krisen, die ist schon einmalig. Wir kommen ja kaum aus Covid raus. Wir haben uns gerade wieder langsam wirtschaftlich erholt.
Wir haben diskutiert über die Lieferketten, die zusammengebrochen sind, durch Covid, und dann schlägt dieser Krieg zu. Und dann die Energiekrise, die aus diesem Krieg resultiert. Und dann noch die Lebensmittelkrise und die Klimakrise. Es ist genau diese Kulminierung von Krisen, die uns jetzt beschäftigt.
ZDF: Aber wenn dieser Gipfel dann so wichtig ist, dann ist auch die Gefahr des Scheiterns besonders groß, oder? Wenn nämlich dieser Gipfel am Ende kein richtiges Ergebnis bringt.
Von der Leyen: Ich erlebe genau das Gegenteil. Ich erlebe, dass wir gerade dadurch, dass wir so zusammengewachsen sind und vor allen Dingen, weil wir wissen, dass es nicht nur um die G7-Länder geht und Menschen, die dort leben, sondern es geht um die großen Probleme der Welt.
Und wer, wenn nicht wir, muss Verantwortung übernehmen und Führung zeigen?
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionschefin
ZDF: Führung zeigen, Verantwortung übernehmen. Was sagen Sie denn den Ländern im globalen Süden, wie es hier immer heißt, die dann auch morgen hier dazustoßen werden, die sagen, das kostet uns Leben sogar. Wir haben Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Wir haben Schwierigkeiten mit den hohen Energiepreisen. Reicht da einfach ein Aufruf zur Solidarität?
Von der Leyen: Es muss mehr kommen. Also, erstens freue ich mich, dass wir morgen Partnerländer eingeladen haben, internationale Organisationen, die internationalen Finanzinstitute. Und wir müssen zum Beispiel bei den Energiepreisen ernsthafter rangehen. Wir haben das ganze Thema Öl-Oberpreisgrenze zum Beispiel besprochen. Denn die hohen Ölpreise sind kaum noch zu bewältigen für die Entwicklungsländer.
ZDF: Klar, eine Preisgrenze für russisches Öl. Speziell war es eine Idee von Joe Biden. Aber ist sie tatsächlich auch am Ende so, dass sie jetzt spruchreif wäre?
Von der Leyen: Wir haben sie miteinander diskutiert, und inzwischen sitzen unsere Fachleute zusammen und arbeiten Details aus. Und es ist richtig, denn es kann ja nicht sein, dass Putin sein Öl richtig teuer am Weltmarkt verkauft und damit seine Kriegskasse füllt, während andere Länder, zum Beispiel die Entwicklungsländer, in die Knie gehen bei diesen Preisen.
Da muss aber dann eben auch die Welt zusammenstehen und sagen, wir sind nicht mehr bereit, diese astronomischen Preise zu zahlen, sondern wir werden eine Preisgrenze einziehen. Alle müssen da mitmachen. Und wir werden sicherstellen, dass fair bezahlt wird für das Öl, aber nicht mehr in der Höhe, dass es Putins Kriegskasse füllt. Das ist ein Thema zum Beispiel, was heute intensiv diskutiert wurde, und jetzt mit den Fachleuten, wie gesagt, ausgearbeitet wird.
ZDF: Ganz kurz, Frau Von der Leyen, einen G20-Gipfel im November mit Präsident Putin mit am Tisch. Ist sowas denkbar für Sie?
Von der Leyen: Eines ist ganz klar: Es wird kein "Business as usual" geben, also nicht Normalität.
ZDF: Aber das klingt jetzt nicht so, als ob sie sagen, da darf keiner hinfahren von uns allen, wenn Putin da ist.
Von der Leyen: Ich glaube, das müssen wir miteinander hier besprechen. Es ist auch wichtig, ihm ins Gesicht zu sagen, was wir von ihm halten und was wir von dieser Art des Handelns halten. Und wir müssen sehr genau überlegen, ob wir das gesamte G20 lahmlegen. Da plädiere ich nicht dafür. Ich halte das für ein viel zu wichtiges Gremium.
Ich glaube, es ist besser, ihm zu sagen, wenn er denn kommt, ihm ins Gesicht zu sagen, was wir davon halten. Und dann soll er mal Position auch beziehen.
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionschefin
Also meines Erachtens ist G20 zu wichtig, auch für die Entwicklungsländer, die Schwellenländer, als dass wir uns dieses Gremium kaputtmachen lassen sollten, auch wieder von Putin.
ZDF: Zum Schluss noch eine Frage: Sie sind ja hier wirklich im Berg-Idyll den ganzen Tag, kriegen überhaupt nichts mit von den Protesten der Gegner von G7, aber auch von den Protesten der Anwohner unten im Tal. Ist das der richtige Weg, um mit Bürgerinnen und Bürgern und deren Sorgen umzugehen?
Von der Leyen: Also ich muss ehrlich sagen, ich finde diese Proteste, solange sie friedlich sind. Ich finde sie gut, weil…
ZDF: … die Polizei ist ja dazwischen...
Von der Leyen: Wir dürfen nicht vergessen, das ist ein Zeichen lebendiger Demokratie und das ist nicht überall auf der Welt der Fall. Ich meine, wenn wir uns gerade über Autokraten unterhalten, da wäre das unmöglich.
Zweitens, auch hier sage ich, wir müssen die Kritik hören, und wir müssen mit dieser Kritik uns auseinandersetzen. Und der dritte Punkt ist aber natürlich, wenn sich so viele Staats- und Regierungschefs hier treffen, dann ist es eben auch ein Wert an sich, dass man im kleinen Kreis zusammensitzen kann und die wichtigen Themen der Welt diskutieren kann.

Mehr zum G7-Gipfel