: Nach Panzern nun Kampfjets?

26.01.2023 | 08:25 Uhr
Kaum verspricht Deutschland der Ukraine Panzer, kommt aus Kiew der Ruf nach Kampfjets und Schiffen. Warum der Druck auf die Bundesregierung besonders groß ist.

Nachdem Kanzler Scholz die Auslieferung von Leopard-Kampfpanzern verkündet hat, warb er in Fragerunden um Vertrauen. Das Sicherheitsrisiko soll auf viele Partner verteilt werden.

26.01.2023 | 02:51 min
Die Lieferung von 14 Leopard-2-Panzern war noch nicht offiziell bestätigt, da meldete sich der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zu Wort. Der jetzige Vize-Außenminister erklärte am Mittwoch bei ntv, dies könne nur "der erste Schritt" sein. Er verglich die Situation mit dem Zweiten Weltkrieg.
Damals haben die Amerikaner der Sowjetunion über 8.000 Panzer geschickt und 14.000 Kampfjets, damit die Entente den Krieg gegen Nazi-Deutschland gewinnen konnte.
Andrij Melnyk, Vize-Außenminister der Ukraine
Die Ukraine benötige jetzt gleichfalls eine Verstärkung ihrer Luftwaffe, sie brauche moderne Kampfjets, Tornados, Kriegsschiffe und U-Boote.

Scholz setzt neue "rote Linie": Keine deutschen Kampfjets

Nach der Waffenlieferung ist also vor der Waffenlieferung? Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag ausführte, verläuft die rote Linie nun bei Kampfflugzeugen.
In einer Regierungsbefragung vor dem Bundestag rechtfertigt Bundeskanzler Scholz seine Entscheidung für die Lieferung:

Sehen Sie hier einen Auszug aus der Befragung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag.

25.01.2023 | 09:56 min
Eine solch intensive Waffendebatte wie in Deutschland gibt es in anderen Ländern Europas nicht.

Warum die Waffendebatte in Deutschland so erhitzt geführt wird

Das erklärt ein Blick in die deutsche Geschichte. Die Bundesrepublik war im Kalten Krieg "Frontstaat", das heißt: Wenn es zu einem heißen Krieg gekommen wäre, hätte dieser als erstes Deutschland getroffen. Die Angst davor war im Alltag präsent.
Und in der DDR war Russland der große Bruder, den man fürchtete und respektierte. Die Angst davor, den "russischen Bären" zu stark zu reizen, sitzt in Deutschland deshalb tiefer als in anderen Ländern.

Erst Kränze in Moskau, dann Panzer gen Russland?

Dazu kommt die Last des Zweiten Weltkriegs, Hitlers unvorstellbar grausamer Angriffskrieg gegen die Sowjetunion. Nachdem deutsche Politiker jahrzehntelang Kränze in Moskau niedergelegt haben, sollen jetzt wieder deutsche Panzer gen Osten rollen?
Was nun, Herr Scholz? Sind wir jetzt Kriegspartei? Der Bundeskanzler im ZDF-Interview:
Dieses Argument lässt sich allerdings auch umdrehen: Der britische Historiker und Karlspreisträger Timothy Garton Ash sagt:
Die Lektion aus der Geschichte ist nicht die, dass deutsche Panzer [...] niemals gegen Russland eingesetzt werden sollten, sondern dass sie genutzt werden sollten, um die Ukrainer zu schützen, die mit am meisten unter Hitler und Stalin gelitten haben.
Timothy Garton Ash, britischer Karlspreisträger

Historiker Harari: Deutschland muss führen

Ähnlich argumentiert der israelische Historiker Yuval Noah Harari. Im "Spiegel" ruft er Deutschland dazu auf, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen: Als "Jude und Israeli und als Enkel von Holocaust-Überlebenden" versichert Harari:
Wir wissen, dass ihr keine Nazis seid. Ihr braucht das nicht mehr zu beweisen. Deutschland muss jetzt aufstehen und führen.
Yuval Noah Harari, israelischer Historiker
Doch eine Führungsrolle fällt Deutschland auf militärischem Gebiet weiter schwer. Die Bundesrepublik hat das einfach nicht in den Genen. "Nie wieder Krieg" war eines ihrer Gründungsideale. Daneben habe es aber immer auch noch einen anderen Referenzpunkt gegeben, erläutert der Militärhistoriker Sönke Neitzel: "Nie mehr allein."
Die Parteichefin der Linken kritisiert die zugesagte Panzerlieferung: Im ZDF-Interview fragt Janine Wissler: Wohin soll das führen?

25.01.2023 | 06:32 min
Das gilt gerade auch für Olaf Scholz, der seit Beginn des Krieges immer wieder betont hat, dass Deutschland nur zusammen mit seinen Verbündeten handeln werde. Erst als die USA ebenfalls die Lieferung von Kampfpanzern zugesagt hatten, sprang der erklärtermaßen vorsichtige Politiker über seinen Schatten.

Politologe: Berlin muss eigenes Kriegsziel definieren

Wie geht es nun weiter? Die entschlossensten Befürworter von Waffenlieferungen plädieren dafür, dass Deutschland der Ukraine einfach alles geben soll, was sie haben will. Der Verteidigungsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält diese Haltung für zu schlicht. "Mit dieser Begründung könnte man gleich auch - ich überspitze jetzt bewusst - Atomwaffen liefern", sagt er.
Die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen, dass deutsche und ukrainische Interessen nicht immer deckungsgleich sind.
Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik
Möglicherweise sei es im Interesse der Ukraine, "auch noch die Krim zu befreien - aber vielleicht nicht im deutschen, weil wir auch in Zukunft noch mit Russland zusammenleben müssen".
Noch im Juni versicherte Ex-Botschafter Andrij Melnyk im ZDF, Kiew werde auf die Krim "nie verzichten":

03.06.2022 | 05:13 min
Der Kern des Problems liegt für Kaim darin, dass Deutschland seine eigenen Kriegsziele bisher nicht ausreichend klar definiert habe. Die Linie der Bundesregierung ist, dass sie die Ukraine nach Kräften unterstützt und die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj völlig unabhängig entscheidet, bis zu welchem Punkt sie gegen Russland weiterkämpfen will.
Nach Meinung von Kaim müsste aber auch die Berlin für sich selbst bestimmen, wie weit es in dem Konflikt gehen will. "Solange das nicht geklärt ist, wirkt der Bundeskanzler zwangsläufig wie ein Getriebener."
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Quelle: Christoph Driessen, dpa

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