: Alltag zwischen Geburten und Luftschutzbunker

von Henner Hebestreit und Maria Avdeeva, Schytomir
09.12.2022 | 11:05 Uhr
In einer ukrainischen Kinderklinik kämpfen die Ärzte um das Überleben ihrer Patienten - mitten im Krieg. Der Gang in den Bunker ist nicht das Einzige, was sich dort verändert hat.
Dieser unterirdische Schutzraum mit 20 Betten bietet bei Luftalarm Platz für 70 bis 80 Menschen, erklärt Klinikdirektor Dr. Yurii Dovhopolyi.Quelle: ZDF
Doktor Yurii Dovhopolyi führt durch leere Etagen der Kinderklinik von Schytomir in der Zentralukraine. Aus Angst vor russischem Beschuss haben sie die oberen Stockwerke geräumt, die Intensivstation nach unten verlagert.
Direkt neben dem Krankenhaus liegt ein Kraftwerk, das oft Ziel russischer Raketen war. Bei Luftalarm müssen Ärzte und Patienten in den Schutzraum, sechs Meter unter der Erde.
"Kinder, die alleine laufen können, gehen selbst in den Luftschutzkeller. Kinder, die beatmet werden oder Intensivpatienten sind, können wir da nicht hintragen. Die schieben wir in den Flur, wo sie sicherer sind", sagt Dr. Dovhopolyi. Wenigstens vor zersplitternden Fensterscheiben sind die Intensivpatienten hier geschützt.

Spenden aus dem Ausland helfen Kinderklinik

Auch ohne Luftalarm führen die Ärzte schon einen harten Kampf um jedes junge Leben. Gespendete medizinische Geräte aus dem Ausland sind dabei eine große Hilfe: Den Inkubator, in dem sich ein winziges Menschlein von der viel zu frühen Geburt erholt, ziert ein deutscher Aufkleber.
Im gespendeten Inkubator aus deutscher Produktion erholen sich die Frühchen deutlich schneller als in den älteren Geräten. Quelle: ZDF
"Dieses Gerät haben wir aus Deutschland bekommen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn wir sehen, dass die Neugeborenen sich in diesen Geräten schneller und besser erholen als in unseren alten Apparaten", sagt Dr. Dovhopolyi.

Mehr Frühgeburten als vor dem Krieg

Solche Geräte sind ein Segen in einer Zeit, in der viele Mütter die Strapazen ihrer Schwangerschaft kaum aushalten. Dr. Vira Vaskivska, leitet die Geburtenstation und beobachtet, wie sich der Zustand der jungen Frauen seit Monaten verändert:
Die Frauen sind gestresst wegen des Krieges und weil sie ihre Heimat verlassen mussten. Viele Babys kommen früher auf die Welt und oft mit deutlich weniger Gewicht, als gut für sie wäre.
Dr. Vira Vaskivska
Ihren Beobachtungen nach ist der Anteil der Frühgeburten um 20 Prozent gestiegen. Trotzdem bewundert die erfahrene Medizinerin die Kraft der werdenden Mütter.
Mütter wie Masha. Sie kommt aus dem russisch besetzen Gebiet am Atomkraftwerk von Saporischschja. Ständig in Angst um ihren Mann, der an der Front kämpft, hat sie sich entschlossen, zu den Eltern in die Zentralukraine zu flüchten. Der Vater ihres Sohnes bekam für die Geburt einige Tage Heimaturlaub, jetzt riskiert er wieder täglich sein Leben, während Masha das Baby durch die Wirren des Krieges trägt:
In der Nacht mussten wir wegen des Luftalarms in den Keller, keiner wusste, was passiert. Ich hatte große Angst wegen meines Babys. Ich mache mir um ihn viel mehr Sorgen, als um mich selbst.
Masha, Mutter
Im OP unterstützen gespendete Beatmungsgeräte aus Deutschland die Anästhesisten.Quelle: ZDF

Bunker bietet Schutz bei Luftangriffen

Klinikdirektor Dovhopolyi führt uns in den Keller. Das Gebäude ist noch zu Sowjetzeiten entstanden, damals wurden Einrichtungen wie diese oft mit einem Atomschutzbunker ausgestattet. Die gewaltigen Türen sind längst verrostet, aber der Raum bietet noch Schutz vor konventionellen Raketen. 20 einfache Betten sind aufgestellt, Kissen und Decken liegen bereit. "Hier unten halten sich bei Luftalarm über 80 Menschen auf", sagt der Arzt.
Die Kinder, so sagt der Mediziner, hätten natürlich Angst, wenn man sie nachts aus dem Schlaf und aus den Betten reißt. Für viele sei es aber inzwischen Teil ihrer Normalität geworden – wenn man angesichts von Krieg und Krankheit von Normalität überhaupt sprechen kann.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Thema

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine