: Deutschland spürt den Druck der Nato

von Nils Metzger
20.01.2023 | 04:05 Uhr
Nato-Verbündete machen Druck auf Berlin: bei Panzern für die Ukraine und den Verteidigungsausgaben. Scholz' Zeitenwende-Rede hat Erwartungen geweckt. Anforderungen werden steigen.
Viele der Nato-Partner haben laut Experten Erwartungen an Deutschland und Kanzler Scholz, die bisher nicht erfüllt wurden.
Offiziell ist das Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am Freitag in Ramstein kein Nato-Treffen. Auch Staaten außerhalb der Allianz sind dabei, es geht primär um die militärische Unterstützung der Ukraine. Und doch wird auch um die Zukunft der Nato gerungen; wie das Bündnis künftig Russland abschrecken will.

Nato durch Ukraine-Krieg "quicklebendig"

In Ramstein treffen wichtige Entscheider des Nordatlantikbündnisses aufeinander. Von einem Tiefpunkt wie im November 2019, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Nato als "hirntot" bezeichnete, ist das Bündnis weit entfernt. "Das Gegenteil ist jetzt der Fall. Die Nato ist quicklebendig", betont Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Der Bedeutungsgewinn der Nato im vergangenen Jahr ist immens. Sie ist endgültig zum Garanten europäischer Sicherheit geworden.
Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik
Das bedeutet auch, dass sich Deutschland immer weniger vor seinen Nato-Verpflichtungen drücken kann. Für den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist der Termin eine Bewährungsprobe auf schwieriger Bühne. Denn die Nato-Staaten haben die vielfältigen Probleme bei der Bundeswehr kritisch im Blick.

Verbündete haben Erwartungen an Deutschland

"Viele Alliierte und Partner lassen erkennen, dass sie Erwartungen an Deutschland haben, die bisher nicht erfüllt wurden", berichtet Fregattenkapitän Göran Swistek, der ebenfalls bei der SWP zu Sicherheitspolitik forscht. Geweckt wurden sie unter anderem durch die politischen Ankündigungen einer "Zeitenwende" durch Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Verbündete nutzten das aus, um Druck auf Deutschland aufzubauen, etwa bei der Lieferung von Leopard-Panzern, sagt Swistek. Die Staaten des Baltikums, Polen, Großbritannien und Frankreich warten auf ein deutliches Signal aus Berlin. "Es besteht die Gefahr, sollte die deutsche Regierung eine Entscheidung schuldig bleiben, dass man deutlich an Vertrauen und Glaubwürdigkeit selbst gegenüber den engsten Partnern verliert."

Verteidigungsbudgets werden steigen

Eine Reaktion der Nato-Staaten auf den Ukraine-Krieg ist ein neuer Fokus auf die Verteidigungsausgaben. Alle Mitgliedsstaaten haben sich auf das Ziel verpflichtet, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben, mindestens 20 Prozent davon für militärische Ausrüstung. Trotz 100 Milliarden Euro Sondervermögen verfehlt Deutschland dieses Ziel 2022 und 2023. Und die Anforderungen könnten steigen:
Bereits jetzt prägt man in der Nato die Ansage: Zwei Prozent sind das Minimum, nicht die Obergrenze.
Göran Swistek, Stiftung Wissenschaft und Politik
Man könne schon jetzt ein Warmlaufen für ein Wettrennen um einen Drei-Prozent-Verteidigungsetat wahrnehmen. Eine treibende Kraft dahinter sind auch hier die Staaten der Nato-Ostflanke vom Baltikum bis Rumänien und Bulgarien. Der diesjährige Nato-Gipfel Mitte Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius könnte für die Bundesregierung teure Beschlüsse nach sich ziehen. "Deutschland wäre gut beraten, sich bereits jetzt frühzeitig innenpolitisch auf die damit kommenden gestiegenen Erwartungshaltungen vorzubereiten", sagt Swistek.

Wie ist die Lage bei anderen Nato-Staaten?

Nicht nur in Deutschland gibt es Mangel beim Militär: "Frankreich, Großbritannien, Spanien oder Italien - sie alle stehen vor den gleichen Herausforderungen und haben einen ähnlichen Zustand innerhalb der Streitkräfte wie Deutschland", betont Swistek. Bei Munition und Material machten sich überall begrenzte Haushaltsmittel bemerkbar.

Die Bundeswehr steckt in einer Krise: defekte Panzer, fehlende Munition, frustrierte Soldaten. Ministerinnen und Minister wechselten, die Probleme aber wuchsen.

17.01.2023 | 12:52 min
"30 Jahre lang waren Auslandseinsätze der Schwerpunkt der Nato", sagt Kaim. Diese stellen völlig andere Anforderungen an Personal und Ausrüstung als die Landes- und Bündnisverteidigung, um die es jetzt wieder schwerpunktmäßig geht.
Deutschland ist mit seinen Herausforderungen nicht allein; politisch unter Druck steht aber vor allem Berlin, weniger London oder Paris. Das liegt auch daran, dass nur Kanzler Scholz mit seiner Zeitenwende-Ankündigung so große Erwartungen geweckt hat. Der neue Minister Pistorius hat in Ramstein eine erste Gelegenheit, die Verbündeten zufriedenzustellen.
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