: Wie ich meinen potenziellen Mörder traf 

von Can Dündar, Gastbeitrag
09.05.2023 | 16:00 Uhr
Der Autor Can Dündar steht auf der Fahndungsliste der türkischen Regierung, als angeblicher Terrorist. Wie der Exil-Journalist auf die Türkei und die bevorstehende Wahl blickt.

Erdogans Terrorliste - Sehen Sie hier die frontal-Doku von Can Dündar

09.05.2023 | 43:48 min
Ende vergangenen Jahres erfuhr ich eines Morgens aus dem Fernsehen, dass mich das türkische Innenministerium auf die Liste der meistgesuchten Terroristen gesetzt hatte. Ein Kopfgeld war auf mich ausgesetzt worden, eine Summe stand dabei - wie im "Wilden Westen". Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine politischen Gegner zu Terroristen erklärt, war für mich nicht neu. Nun aber listete er sie auf und setzte eine Belohnung für ihre Ergreifung aus.
Mein Name ist einer von 1.302 auf dieser Liste. Wer meinen Aufenthaltsort angibt und zu meiner Ergreifung beiträgt, soll dafür belohnt werden. Dabei bin ich kein Guerillakämpfer in den Bergen, sondern Journalist. Seit sieben Jahren lebe und arbeite ich im deutschen Exil in Berlin.

Can Dündar ...

... ist der frühere Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" und steht auf der Fahndungsliste der türkischen Regierung, als angeblicher Terrorist. Wegen seiner Enthüllungen rund um das System hinter Recep Tayyip Erdoğan wurde Dündar in der Türkei zu 27 Jahren Haft verurteilt und musste 2016 fliehen. Heute lebt er im Exil in Deutschland, aber auch hier hat Erdoğan fanatische Anhänger.

Weltweit jagt die türkische Regierung ihre Kritiker

Ich hätte darüber lachen können, aber womöglich gibt es Leute, die diese Liste ernst nehmen, den Helden spielen oder schnelles Geld verdienen wollten. Es stehen Journalisten wie ich, aber auch Politiker, Publizisten, Intellektuelle in unterschiedlichen Ländern darauf.
Außerdem Personen, die früher mit Erdogan kooperiert, sich später von ihm abgewandt hatten. Und die in die Öffentlichkeit brachten, was sie über den türkischen Präsidenten und seine Machtspiele wussten. Weltweit jagt die türkische Regierung ihre Kritiker und Präsident Erdogan weiß, die politischen Krisen unserer Zeit zu nutzen.

Wie Erdogan Druck ausübt

Für die Auslieferung einiger Personen auf seiner Terrorliste übt Erdogan diplomatischen Druck aus. So verlangte er etwa die Auslieferung von Dissidenten im Gegenzug für Drohnen, die die Türkei der Ukraine für den Kampf gegen Russland verkaufte. Oder er machte die Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens von der Abschiebung einer ganzen Gruppe von Exil-Türken aus dem skandinavischen Land abhängig.
In manchen Fällen entsandte Erdogans Regierung Agenten und ließ Menschen aus anderen Ländern entführen. Stolz verkündete der türkische Präsident, auf diesem Weg seien aus 21 Staaten nahezu 100 Personen in die Türkei geholt worden. Funktionierte auch das nicht, fanden sich Helfer und Agenten, die Anschläge verübten.
So wurde etwa der Journalist und Regierungskritiker Erk Acarer im vorletzten Sommer im Hof seines Hauses in Berlin zusammengeschlagen - zur Warnung. In Schweden wurde der Erdogan-Kritiker Ahmet Dönmez vor den Augen seiner Tochter halb totgeschlagen. Das Vergehen des Journalisten: Er hatte Videos über Beziehungen des türkischen Innenministers und mehreren Polizeichefs zu Mafia-Gruppen in Ankara veröffentlicht.
Erdogan-Kritiker Ahmet DönmezQuelle: Andrzej Król, OtherPeoplePictures 

"frontal"-Dokumentation über "Erdogans Terrorliste"

All diese Einschüchterungsversuche und Drohungen gehören zum System Erdogan. Die Welt, Europa, Deutschland sollte davon wissen, erst recht kurz vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei. Also machte ich mich mit meinen Kollegen Hauke Wendler auf die Reise, um einige der "meistgesuchten Terroristen" zu treffen. Wir sprachen in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Argentinien mit Menschen, die Erdogan zur Zielscheibe erklärt hat.
Seit 30 Jahren arbeite ich als Dokumentarfilmer. Doch diese Doku ist die spannendste meines Lebens. Denn bei den Recherchen traf ich auf meinen potenziellen Mörder und konnte ihn fragen: "Wer gab den Auftrag, mich umzubringen?"

Sendehinweis frontal

Quelle: ZDF
Mehr zum Thema sehen Sie in der frontal-Dokumentation "Erdoğans Terrorliste". Am Dienstag, 09. Mai 2023, um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

Dündar im Gespräch mit seinem potenziellen Mörder

Serkan Kurtuluş sitzt in einem Gefängnis in Buenos Aires. Vor zehn Jahren war er Mitglied einer Organisation, die mit der türkischen Regierung und der Mafia kooperierte. Er begleitete damals unter anderem Lastwagen des türkischen Geheimdienstes, die Waffen an Dschihadisten in Syrien lieferten. Das war 2016 und ich Chefredakteur der Zeitung, die diesen illegalen Handel aufdeckte. Für die Veröffentlichung der Recherche kam ich ins Gefängnis.
An dem Tag, an dem ich zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt werden sollte, wurde vor dem Gerichtsgebäude auf mich geschossen. Nun sitzt mir Serkan Kurtuluş Anfang des Jahres in einem Knast am Rande der argentinischen Hauptstadt in einem hellgrüngekachelten Raum gegenüber. Und erzählt mir, er sei damals beauftragt worden, mich umzubringen. Der Grund: Man habe ihm gesagt, ich sei wegen meiner Recherchen ein Verräter. Und weiter: Wenn er Can Dündar töten würde, wäre er ein Held, den man schützen würde.
In einem argentinischen Gefängnis trifft Can Dündar den Mann, der ihn eigentlich erschießen sollteQuelle: Andrzej Król, OtherPeoplePictures
Doch Kurtuluş lehnte ab, weil er fürchtete, auch der Attentäter würde umgebracht. Am Ende übernahm ein anderer aus seiner Organisation den Auftrag für den Anschlag. Kurtuluş verließ aus Angst die Türkei. Nach langer Verfolgung wurde er vor drei Jahren in Argentinien von Interpol gefasst. Jetzt wartet er, ob Erdogan mit seinem Auslieferungsersuchen Erfolg hat.

In der Türkei steht die Wahl des Präsidenten an. Und mit ihr die Frage, ob Amtsinhaber Erdogan seine Autokratie weiter festigen kann oder ob Wirtschaftskrise und die Folgen des verheerenden Erdbebens ihn sein Amt kosten.

03.05.2023 | 03:01 min

Dündar: Wahl zwischen Demokratie und Autokratie

Es fällt schwer, bei einer Dokumentation, in der es auch um Pläne zur eigenen Ermordung geht, objektiv zu bleiben. Der Film erzählt deshalb auch meine eigene Geschichte. Und sieben Jahre nach meiner Flucht aus der Türkei, kurz vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei, ist sie ein ganz besonderer Blick aus dem deutschen Exil auf meine Heimat.
Am 14. Mai hat die Türkei die Wahl zwischen Demokratie und Autokratie. Und je nach Wahlergebnis, werden Todeslisten, Anschläge, Attacken, Entführungen, Misshandlungen enden oder noch ungezählte weitere Dissidenten auf Erdogans Terrorliste landen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

Am 14. Mai 2023 wird in der Türkei gewählt. Wählt das Land wieder Erdogan und zementiert seine Autokratie? Oder gelingt die Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie?

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