Interview

: Herkunft "darf keine Rolle spielen"

06.04.2023 | 14:33 Uhr
Seine Geschichte findet auch international Beachtung: Ryyan Alshebl floh aus Syrien, jetzt wird er Bürgermeister einer schwäbischen Gemeinde. Wie geht es ihm damit?

2015 kam Ryyan Alshebl als Flüchtling nach Deutschland. Jetzt wurde er zum Bürgermeister im schwäbischen Ortelsheim gewählt.

06.04.2023 | 02:02 min
ZDFheute: Sie flohen 2015 aus Syrien. Acht Jahre später werden Sie Bürgermeister in der Gemeinde Ostelsheim in Baden-Württemberg. Was bedeutet Ihr Wahlsieg?
Ryyan Alshebl: Für mich persönlich ist es ein beruflicher Erfolg. Aber es ist auch ein gesellschaftlicher Erfolg. Es zeigt, dass die Gesellschaft bereit ist, Menschen nicht nur aufzunehmen, sondern sie auch in wichtige politische Ämter zu wählen. Das offenbart Toleranz, Weltoffenheit und ein gutes Miteinander.
ZDFheute: Was hat Sie motiviert zu kandidieren?
Alshebl: Die Vielseitigkeit des Amtes. Von der Baustelle bis zur Kinderbetreuung finde ich die Aufgaben total interessant. Ich bekomme Einblicke in viele verschiedene Themen. Das gefällt mir.
ZDFheute: Welche Rolle spielte Ihre Herkunft im Wahlkampf?
Alshebl: Meine Herkunft spielte kaum eine Rolle, mit den allermeisten Menschen in Ostelsheim habe ich Gutes, Konstruktives erfahren. Auch Leute, die mich nicht gewählt haben, waren bei Debatten fair und sachlich. Nennenswerte Hassbotschaften habe ich nicht bekommen.

Ryyan Alshebl ...

Quelle: dpa
... ist 29 Jahre alt und in Syrien aufgewachsen. Seine Mutter ist Gymnasiallehrerin, sein Vater Agraringenieur. Er selbst begann Finanzwesen zu studieren. Mit 21 floh er nach Europa. 2016 machte er sein erstes Praktikum in der Verwaltung einer Nachbargemeinde von Ostelsheim im Nordschwarzwald.

Im Juni 2023 beginnt seine Amtszeit. Zur Wahl angetreten war er als parteiloser Kandidat. Er ist Mitglied der Grünen.

ZDFheute: Die Geschichte des Geflüchteten, der Bürgermeister wird, kommt gut an. Viele auch internationale Medien berichten über Sie. Wie geht es Ihnen damit?
Alshebl: Ich freue mich, dass ich gewonnen habe. Aber die Erkenntnis, dass ich ehemaliger Geflüchteter bin, hat mit meiner Amtsführung nichts zu tun.
Es ist schön, dass ich gerade gefeiert werde, aber es zeigt, dass es noch keine Selbstverständlichkeit ist, und das finde ich schade.
Ryyan Alshebl
ZDFheute: Sie sprechen sehr gut Deutsch, haben eine Ausbildung absolviert, den deutschen Pass: Ihre Geschichte zeigt, dass Integration funktionieren kann.
Alshebl: Ich mag das Wort Integration nicht. Der Begriff ist völlig verbraucht und es ist nicht klar definiert, was er überhaupt meint.
Für mich ist es ein Deal, den man eingeht, wenn man hier ankommt. Ich lerne die Sprache und Kultur, achte auf alle Gesetze und Vorschriften. Von der anderen Seite, der Mehrheitsgesellschaft, erwarte ich, dass sie in der Lage ist, zu sagen: 'Wir nehmen dich gerne auf.' So gelingt ein funktionierendes Miteinander.
ZDFheute: Nervt es Sie, auf Ihre Migrationsgeschichte reduziert zu werden?
Alshebl: Ich verstehe die Debatte. Aber ja, es nervt. Man wird auf seine ursprüngliche Heimat reduziert und das ist kein Anlass zur Freude.
ZDFheute: Was wünschen Sie sich?
Alshebl: Ziel muss sein, dass es normal ist.
Es darf keine Rolle spielen, wo man herkommt, sondern wo man hin will, was man erreichen will.
Ryyan Alshebl
ZDFheute: Was sind Ihre Ziele als Bürgermeister von Ostelsheim?
Alshebl: Die Aufgaben sind vielfältig: Kinderbetreuung mit Ganztagsangebot, eine Tagespflege und Betreutes Wohnen für Senioren. Es soll im Ort einen Supermarkt geben, der Breitbandausbau steht an, die Digitalisierung der Verwaltung.
Das Interview führte Luisa Houben, Reporterin im ZDF-Landesstudio Baden-Wüttemberg.