: Höhere Cannabis-Toleranz empfohlen

von Moritz Klüpfel und Max Kolter
19.08.2022 | 15:57 Uhr
Der Verkehrsgerichtstag in Goslar empfiehlt eine Erhöhung des Grenzwerts für Cannabis im Straßenverkehr. Bislang kennen die Behörden praktisch null Toleranz.
Ein Mann raucht einen JointQuelle: Reuters
Gerät man als Autofahrer in eine Verkehrskontrolle und hat den Hanf-Wirkstoff THC im Blut, ist man dran. Denn eine berauschte Fahrt wird ab dem gerade noch sicher nachweisbaren Wert des Wirkstoffs angenommen - dieser liegt bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum.

Cannabis-Konsum Tage später noch nachweisbar

Eine heikle Situation für Personen, die Cannabis konsumieren. Anders als bei Alkohol ist die Dauer für den vollständigen Abbau des Wirkstoffes kaum berechenbar und hängt zudem von mehreren Faktoren ab. Regelmäßig kann bei Personen, die nur gelegentlich Cannabis einnehmen, selbst Tage später der Konsum nachgewiesen werden.
Die Betroffenen selbst fühlen sich zu diesem Zeitpunkt längst wieder nüchtern und fahrbereit. Kommen sie in eine Verkehrskontrolle, sind sie von dem Ergebnis eines Drogentestes entsprechend überrascht.
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Ob fahrtüchtig oder nicht spielt derzeit keine Rolle - der Führerschein ist bei nachgewiesenem Cannabis-Konsum regelmäßig in Gefahr: Die Führerscheinstellen haben einen weiten Ermessensspielraum. Und so können sie selbst bei niedrigsten THC-Werten eine Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPU) anordnen.

Toleranterer Umgang bei Alkohol

Viele empfinden diese Praxis als unverhältnismäßig. Argumentiert wird mit dem toleranten Umgang bei Fahrten unter Alkoholeinfluss. Denn Alkohol-Konsumenten dürfen selbst leicht angetrunken mit bis zu 0,5 Promille fahren - ganz legal. Niemand muss dabei darauf bauen, dass er nach dem Verzehr von Alkohol bereits wieder vollständig nüchtern ist und keinerlei Wirkstoffe mehr in sich hat.
"Alkohol und Cannabis werden ungleich behandelt, das ist aber im Moment auch völlig korrekt, weil das eine eine legale und das andere eine illegale Droge ist", findet Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Genau das soll sich aber ändern: Es gibt konkrete Pläne der Ampel-Koalition, den Cannabis-Konsum zu legalisieren. Daher "müssen wir uns natürlich überlegen, warum wir mit Cannabis anders umgehen", so Brockmann.

Experten empfehlen höheren Grenzwert

Kann die ungleiche Behandlung von Alkohol und Cannabis also auch in Zukunft Bestand haben? Nein - sagen heute die Experten des Verkehrsgerichtstags in Goslar. Sie empfehlen, den THC-Grenzwert von bislang 1,0 Nanogramm "angemessen heraufzusetzen".
Weiter aus dem Fenster lehnen wollen sie sich offenbar nicht. Das dürfte auch mit den dünnen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun haben: Die Frage, wie sich Cannabis-Konsum auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt, wird in den wenigen einschlägigen Studien uneinheitlich beantwortet.
Siegfried Brockmann blickt zu den Nachbarn, wo die Legalisierung von Cannabis längst erfolgt ist. Die Holländer hätten gute Erfahrung mit einem Grenzwert von drei Nanogramm. Warum also nicht auch in Deutschland?
Es wäre also nicht so, dass die Leute dann massenweise bekifft Auto fahren dürften, sondern im Gegenteil, man darf davon ausgehen, dass das dann sicher funktioniert.
Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer

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Aufklärung über Cannabis vorantreiben

Die Legalisierung von Cannabis wird auch in Deutschland kommen. Doch selbst bei Einführung eines Grenzwertes von 3,0 Nanogramm THC müsste das Bewusstsein mit dem Umgang der Droge bei Konsumenten geschärft werden, so der Verkehrspsychologe Patrick Grieser.
Man müsste gezielt Medien einsetzen, um dafür ein Bewusstsein zu schaffen, dass es ganz schwierig ist zu kalkulieren, wann man tatsächlich wieder fahrtüchtig ist.
Patrick Grieser, Verkehrspsychologe
Diese Selbsteinschätzung ist schwierig. Das gilt aber für den Alkohol genauso. Hier ist klar: Das Recht soll den Angetrunkenen die Entscheidung abnehmen – durch einen Grenzwert. Einen solchen braucht es auch für Cannabis. Spätestens, wenn dessen Konsum legal wird. Der Verkehrsgerichtstag konnte sich zu einem Zielwert nicht durchringen, nun ist der Gesetzgeber in der Pflicht.
Max Kolter und Moritz Klüpfel sind Mitarbeiter der Redaktion Recht und Justiz.

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