FAQ

: Was wissen wir über die BA.2.75-Variante?

von Nils Metzger
06.07.2022 | 20:18 Uhr
Die neue Corona-Subvariante BA.2.75 treibt die Forschung um. Wird sich der neue Typ weltweit verbreiten? Der Viren-Experte Ulrich Elling erklärt, was wir bislang wissen.
Auf der Suche nach BA.2.75: Proben in einem Labor werden auf Virus-Varianten untersucht. (Archivbild) Quelle: dpa
Coronaviren entwickeln sich stetig weiter. Jederzeit können neue Varianten mit anderen Eigenschaften auftauchen und sich anschließend vielleicht durchsetzen. Deshalb beobachten Forschende weltweit diese Virus-Evolution sehr genau.
Gerade steht eine neue Subvariante im Fokus der Virenjäger: BA.2.75. Sie wurde Anfang Juni in Indien erstmals festgestellt. Inzwischen wurden auch Infektionen in anderen Ländern bestätigt - darunter Deutschland und Großbritannien.

Was ist zur Verbreitung von BA.2.75 bekannt?

Die Spurensuche bei BA.2.75 steht noch ganz am Anfang. "Die Gesamtzahl an bekannten BA.2.75-Fällen ist minimal. Wir sprechen von heute etwa 70 Fällen weltweit", sagt Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien ZDFheute. Sein Labor ist eine der Einrichtungen, in denen nach veränderten Coronaviren gesucht wird.
Die Dunkelziffer der Fälle ist mit Sicherheit wesentlich höher, eine genaue Quantifizierung wäre Spekulation.
UIrich Elling, Institut für Molekulare Biotechnologie Wien
In den Wochenberichten des Robert-Koch-Instituts (RKI) spielt BA.2.75 angesichts dieser Fallzahlen noch keine Rolle. Bislang stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) BA.2.75 weder als "variant of interest" noch als "variant of concern" ein - für diese Klassifizierung der Gefährlichkeit fehlen noch fast alle Daten.
Aktuell dominiert in Deutschland die Omikron-Sublinie BA.5, der Anteil von BA.2 ging in den vergangenen Wochen deutlich zurück.
ZDFheute Infografik
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Wie ist BA.2.75 entstanden?

Gerade untersuchen Forschende, wo und an welchen Stellen das Virus Mutationen aufweist. Das ist eine Möglichkeit, Rückschlüsse auf seine Eigenschaften zu ziehen. Besonders das für das Eindringen des Coronavirus in menschliche Zellen wichtige Spike-Protein steht dabei im Fokus.
BA.2.75 hat zusätzlich zu den 29 Mutationen, die die BA.2-Linie ohnehin schon im Spike-Protein hat, noch weitere acht Mutationen. Es ist davon auszugehen, dass eine derartige Fülle an neuen Mutationen die Eigenschaften, den Immunschutz zu unterlaufen, weiter verstärken wird.
UIrich Elling, Institut für Molekulare Biotechnologie Wien
Die Mutationen bei BA.2.75 lägen vor allem in Bereichen des Spike-Proteins, die bislang keine Veränderungen erfahren hätten. "Wie bei BA.5 handelt es sich wohl um eine Variante zweiter Generation, also eine Variante der Variante BA.2", erklärt Elling. "Solche Mutationspakete entstehen, wenn sich Viren über längere Zeit zum Beispiel in einem immunschwachen Patienten vermehren können. Denn dann spielt das Virus im Patienten 'Katz und Maus' mit dem Immunsystem."

Wird sich BA.2.75 auch in Deutschland ausbreiten?

Vorhersagen über die zukünftige Verbreitung von Varianten sind schwierig. Das hängt nicht nur vom Virus selbst ab, sondern auch von der Immunität in der Bevölkerung. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie, deren Wellen je nach Land und Zeitpunkt von unterschiedlichen Varianten getrieben wurden, haben Bevölkerungen teils sehr unterschiedliche Antikörper. Sie sind also gegen bestimmte Varianten besser geschützt als gegen andere.
"Indien hatte interessanterweise kaum eine BA.1-Welle, dafür aber eine ausgeprägte BA.2-Welle, die noch immer andauert", sagt Elling. In Südafrika und Portugal hätte man beobachten können, dass BA.5 die vorhandene BA.1-Immunität sehr gut umgehen konnte. Viele Menschen haben sich etwa ein zweites Mal infiziert. Anders als Südafrika und Portugal hatte Deutschland hingegen eine deutliche BA.2-Welle.
Wenn sich BA.2.75 nun so rasch in Indien ausbreitet, dann liegt die Vermutung nahe, dass BA.2.75 die BA.2-Immunität umgeht wie BA.5 die BA.1-Immunität. In dem Fall ist auch international eine zügige Verbreitung zu erwarten.
UIrich Elling, Institut für Molekulare Biotechnologie Wien
Elling weist aber auch darauf hin, dass es bislang erst sehr wenige Datenpunkte für solche Spekulationen gebe.

Können Corona-Tests BA.2.75 weniger gut erkennen?

Teils wird in den sozialen Medien befürchtet, dass die Verbreitung von BA.2.75 wegen nicht anschlagender Corona-Tests nicht rechtzeitig erkannt werden könnte. Die Virologin Isabella Eckerle hält das zumindest mit Blick auf PCR-Tests für unwahrscheinlich. "Es gibt keinen Hinweis, dass B.2.75 nicht per PCR detektiert werden kann", schreibt Eckerle auf Twitter. "Die Sequenzen sind ja bekannt und diagnostische Tests verwenden in der Regel mehrere Zielgene." Schnelltests könnten hingegen,wie schon bei anderen neuen Varianten, insbesondere bei wiederholter Infektion, weniger zuverlässig sein.

Wie gefährlich ist BA.2.75?

Auf die zentrale Frage, ob BA.2.75 gefährlicher als andere Varianten ist, gibt es bislang keine Antwort. Zu Hospitalisierung, Krankheitsverlauf und anderen Aspekten gibt es kaum gesicherte Daten. "Das ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unmöglich", betont Elling. Allgemein gelte weiterhin:
Ob BA.2.75 oder eine andere Variante, nach BA.5 kommt wieder eine Welle. Und die Infektion in der einen Welle schützt nicht vor der Infektion in der nächsten oder übernächsten Welle. Infektion 'auf Vorrat' funktioniert nicht, zumindest nicht als Ansteckungsschutz.
UIrich Elling, Institut für Molekulare Biotechnologie Wien
Auch was BA.2.75 für die zukünftigen und an Varianten angepassten Impfstoffe bedeute, könne erst in mehreren Wochen abgeschätzt werden, sagt Elling. "Wie es aussieht, bleibt die Evolution des Coronavirus derzeit noch schneller, als wir die Impfstoffe anpassen können. Sehr gut möglich, dass der BA.5-Impfstoff unzureichend vor BA.2.75 schützt, die Varianten unterscheiden sich in elf Positionen."

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