Interview
: Long Covid: Geimpfte haben kleineres Risiko
19.03.2022 | 20:31 Uhr
Die eine Pille gegen Long Covid gibt es nicht, sagt Jördis Frommhold, Chefärztin der Median-Klinik in Heiligendamm. Selbstakzeptanz und Selbstfürsorge seien für Patienten wichtig.ZDFheute: Frau Dr. Frommhold, Sie behandeln in ihrer Klinik viele Menschen, die unter den Folgen einer Covid-19-Erkrankung leiden. Können Sie sagen, wen Long Covid oder Post Covid eigentlich trifft und wen nicht?
Jördis Frommhold: Leider ist es so, dass wir noch kein wirkliches Risikoprofil ausmachen können. Letztendlich ist das der Unsicherheitsfaktor, der das Risiko erhöht, dass jeder von Spätfolgen einer Covid-19-Infektion betroffen sein kann.
Was wir durchaus sehen, ist, dass es nicht nur Patienten und Patientinnen sind, die sehr, sehr schwere, akute Verläufe hatten, sondern tatsächlich auch die Patienten betroffen sind, die eigentlich nur milde, zum Teil asymptomatische akute Verläufe hatten, die durchaus jung sind und kaum Vorerkrankungen haben. Oder auch sportliche Menschen.
Es kann letztendlich jeden treffen.
Wenn man vielleicht einen Risikofaktor herausarbeiten will, kann man sagen, dass durchaus die Patienten mehr zu Spätfolgen neigen, die einen sehr hohen Leistungsanspruch an sich - auch schon vor der Covid-19-Infektion - hatten.
Zur Person
Dr. Jördis Frommhold ist Chefärztin der auf Long-Covid-spezialisierten Median-Klinik in Heiligendamm. Die Pneumologin hat seit Beginn der Corona-Pandemie mit Long- und Post-Covid-Patienten gearbeitet und nun ein Buch zu den Folgekrankheiten einer Covid-Infektion herausgebracht. Frommhold gehört zu den Initiatoren des neuen Ärzteverbandes Long COVID, der sich die Erforschung des Krankheitsbildes zur Aufgabe gemacht hat.
ZDFheute: Kann man denn sagen, dass Geimpfte und Ungeimpfte gleichermaßen stark betroffen sein können?
Frommhold: Tatsächlich sind wir bis dato immer von zehn Prozent der Infizierten ausgegangen, die Spätfolgen entwickeln können. Es gibt jetzt neue Studien aus Israel und England. Beide sehen eine deutliche Risikoreduktion für Spätfolgen nach einer Covid-19-Infektion, wenn geimpfte Personen sich anstecken.
Das bedeutet: Durch die Impfung verhindern wir eine akut schwere Infektion, selbst wenn es zu Impfdurchbrüchen kommen kann. Aber wir haben auch eine nahezu bis zu knapp 70-prozentige Risikoreduktion für Long Covid.
ZDFheute: Wie kann ich denn herausfinden, ob ich an Long Covid leide?
Frommhold: Ganz wichtig ist natürlich, dass wir lernen, in uns hineinzuhorchen, dass wir Symptome, die uns auffallen, ernst nehmen. Es kann zum Beispiel auch sein, dass es nach der akuten Infektion zunächst erst wieder ganz gut ging und dass dann nach ein bis drei Monaten neue Symptome hinzukommen.
Long Covid und Post Covid - was ist der Unterschied?
Für auftretende Langzeitwirkungen einer Corona-Infektion haben sich die Begriffe Long-Covid-Syndrom und Post-Covid-Syndrom etabliert. Eine einhellige, allgemein akzeptierte Definition dazu gibt es bislang nicht. Laut WHO müssen die Beschwerden innerhalb von drei Monaten nach der Infektion auftreten, mindestens zwei Monate andauern und nicht durch eine andere Diagnose erklärbar sein. Verbreitete Symptome sind demnach Erschöpfung, Kurzatmigkeit und kognitive Beeinträchtigungen. Sie können der WHO zufolge von Beginn an oder erst nach dem akuten Stadium der Corona-Infektion auftreten.
Das britische National Institute for Health and Care Excellence unterscheidet: Long Covid - also Beschwerden, die mindestens vier Wochen und Post Covid, also Beschwerden, die wenigstens zwölf Wochen nach der Infektion bestehen. Viele Experten, auch in Deutschland, richten sich danach.
Wenn ich merke, dass ich zum Beispiel eine ausgeprägte Erschöpfung verspüre, kognitive Probleme eine Rolle spielen und ich mir nichts mehr merken kann, aber auch, dass zum Beispiel Gelenk- und Muskelschmerzen auftreten, die ich vorher nicht kannte: Dann ist es immer wichtig, den Hausarzt aufzusuchen.
ZDFheute: Was kann ich denn bei Long Covid tun. Ist es heilbar?
Frommhold: Wenn wir von Long Covid sprechen, also von den Folgen einer milden Akut-Infektion, dann müssen wir tatsächlich im Moment von einer chronischen und noch nicht heilbaren Erkrankung ausgehen. Das heißt: Wo wir die Ursache nicht kennen, gibt es eben auch keine kausale medikamentöse Therapie.
Wir können nicht die eine Pille essen, um dann Long Covid zu heilen.
Aber wir können den Menschen beibringen, mit Long Covid zu leben. Und vor allem auch, welche Möglichkeiten wir zum Beispiel im rehabilitativen Bereich habe.
ZDFheute: Wie sieht denn die ideale Reha aus?
Frommhold: Es wäre absolut wünschenswert, wenn die Diagnose Long Covid möglichst schnell gestellt wird. Je länger Symptome fortbestehen und je länger sich Chronifizierungs-Möglichkeiten ergeben, desto schwieriger ist es natürlich, diese Patienten dann zu behandeln. Ich habe jetzt bei uns in der Klinik noch Patienten, die sich im April 2020 infiziert haben. Da kann man sich vorstellen, dass es viel, viel schwieriger ist, mit solchen Patienten zu arbeiten, als wenn jetzt jemand kommt, wo die Infektion vielleicht erst drei, vier Monate her ist.

Eine Infektion mit dem Coronavirus kann zu schweren gesundheitlichen Langzeitfolgen führen. Reha-Kliniken können den Betroffenen helfen.
11.02.2022 | 03:09 minZDFheute: Muss ich mich gegebenenfalls auf ein anderes Leben einstellen als Long-Covid-Patient?
Frommhold: Leider ist es tatsächlich so. Das nennen wir Krankheits-Akzeptanz und gehen diese auch mit den Patienten zusammen unter psychologischer Begleitung an. Ich muss lernen, mit dieser Erkrankung zu leben. Das heißt, ich muss lernen, wo meine eigenen neuen Grenzen verlaufen; was ich jetzt nach einer Covid-19-Infektion kann, körperlich zum Beispiel, aber auch emotional oder kognitiv und was eben nicht.
Und dass ich nicht ständig versuche, an guten Tagen 140 Prozent zu leisten und alles das aufzuarbeiten, was vorher vielleicht liegen geblieben ist. Das ist sicherlich ein Problem unserer Leistungsgesellschaft. Wir haben verinnerlicht: Wenn irgendwas mit unserem Körper nicht funktioniert, müssen wir umso härter daran arbeiten, dass es funktioniert. Das klappt bei Long Covid nicht.
Das Interview führte Susannne Seidl, Reporterin im ZDF-Landesstudio Schwerin