: Gentests: Zu ungenau, um wahr zu sein?
von MAITHINK X
07.08.2022 | 09:01 UhrIn der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Wer schon mal ein altes, gebrauchtes Auto hatte, kennt es: das leichte Gefühl der Unsicherheit, wenn es schon zu lange nicht auf Mängel hin untersucht wurde. Wer kann da wissen, ob nicht auf der Autobahn ein Reifen platzt oder der Motor plötzlich streikt?
Bei unserem Körper ist das ähnlich: Selbst wenn wir uns gesund fühlen, bleibt manchmal das Gefühl von "wer weiß, ob da nicht was kommt". Da wäre es doch manchmal schön, wenn es dafür auch irgendwie eine Art grundlegenden Kundendienst gäbe, der einem mitteilt, worum man sich speziell zu kümmern hat.
Menschliches Genom erst vor 22 Jahren entschlüsselt
Und dabei kommt es uns natürlich sehr gelegen, dass die Kosten für die Auswertung des menschlichen Genoms in den letzten Jahren gesunken sind und es dadurch mehrere kommerzielle Anbieter gibt, bei denen man das eigene Erbgut auslesen lassen kann. Das kostet zwar schon etwas Geld, aber wenn man bedenkt, dass wir überhaupt erst vor 22 Jahren so weit waren, das menschliche Genom zu entschlüsseln, sind die Preise vergleichsweise spottbillig. Entsprechend werden diese Dienste immer beliebter.
Auf der anderen Seite: Beim Kundendienst würde es uns ja auch stutzig machen, wenn der sehr schnell sehr billig wird. Wird da dann trotzdem gründlich gearbeitet? Oder mir nachher bescheinigt, dass mein klappriger Kleinwagen - der womöglich älter ist als die Entschlüsselung des menschlichen Genoms - einwandfrei funktioniert, obwohl die Bremsen in Wirklichkeit schon dabei sind, den Geist aufzugeben?
Aufgrund von Gentest-Ergebnis präventiv operiert
Es gibt eine Frau, die zu diesem Thema eine gut informierte Meinung hat: Als sie 47 Jahre alt war und kerngesund, ließ sie ihr Genom in einer Spezialklinik untersuchen. Der Grund: Mehrere nahe Verwandte hatten Brustkrebs entwickelt, und sie wollte ihr Risiko ermitteln. Nachdem man sie über alles informiert hatte, wurde der Test durchgeführt und kam positiv zurück: Sie hatte eine Variante des BRCA2-Gens, das eine zukünftige Erkrankung wahrscheinlicher machte. Mehrere ihrer Geschwister machten denselben Test, erhielten dasselbe Ergebnis und ließen sich präventiv operieren.

Ein Genetik-Institut auf Island hat umfangreiche Blutproben ausgewertet und könnte fast jede Frau Islands informieren, ob sie Träger eines Brustkrebs-Gens sind – darf es aber nicht. Geht hier Datenschutz auf Kosten von Menschenleben?
05.11.2018 | 06:28 minEin Jahr später erhielt dieselbe Frau einen kommerziellen Gentest als Geschenk. Auch da wurde auf Varianten des entsprechenden Gens geprüft und siehe da: Nach den Angaben des kommerziellen Tests wurde ihr Brustkrebsrisiko als vermindert, nicht erhöht, eingestuft.
Kommerzielle Gentests schauen nicht auf alle Varianten
Ein Grund dafür kann sein, dass der Test nur nach drei gefährlichen Varianten des Gens schaut, obwohl es mindestens 3.700 davon gibt. Und natürlich hat der kommerzielle Test keine Ahnung von der Familiengeschichte, die aber ebenfalls Einfluss auf die relevante Wahrscheinlichkeit hat. Es wird vermutet, dass bei solchen Tests daher etwa 80 Prozent der besonders gefährdeten Fälle für Brustkrebs übersehen werden.
Die Frau zeigte sich darüber verständlicherweise empört: Hätte sie den kommerziellen Test zuerst gemacht, wäre sie vielleicht nie auf die Idee gekommen, sich professionell checken und beraten zu lassen.
Bei Nachprüfung waren 40 Prozent der Ergebnisse falsch
Umgekehrt geht’s leider auch: Kund*innen, die ihr Genom hatten auswerten lassen, wurden gebeten, sich bei einem Speziallabor zu melden, um die Genvarianten, die eine erhöhte Gefahr anzeigen, noch einmal professionell nachprüfen zu lassen. Das überraschende Ergebnis: Etwa 40 Prozent dieser Meldungen waren falsch. Mal wurden gefährliche Genvarianten berichtet, die es bei der Person gar nicht gab, und mal wurden harmlose Varianten für gefährlich erklärt.
Wie kann das sein? Ein Grund dafür ist, dass manche der verwendeten Methoden dafür entwickelt wurden, häufige Genvarianten zu erkennen (also die bei mindestens einem Prozent der Bevölkerung vorhanden sind). Aber natürlich wollen sich die Firmen nicht damit zufrieden geben, nur nach weit verbreiteten Varianten zu schauen: Je mehr Stellen im Genom geprüft werden, desto mehr bekommt die Kundschaft für ihr Geld. Allerdings kann es durch den Einbezug seltener Varianten bei der Suche auch eher zu falschen Ergebnissen kommen - und damit unter Umständen zu einem ordentlichen Schrecken bei der Kundschaft.
Manche Expert*innen sagen daher: Es ist zwar einerseits super, dass Patient*innen neuerdings mehr Möglichkeiten haben, Informationen über sich einzuholen, aber andererseits stehen die Ergebnisse häufig nicht auf einer ausreichend starken wissenschaftlichen Basis und sind daher meist nicht in der Lage, eine Handlungsanweisung zu bieten.
Auf kommerzielle Gentests lieber keine medizinischen Aussagen stützen
Die kommerzielle Genotypisierung für (verhältnismäßig) wenig Geld ist also eher ein Spaßprodukt - man kann an den Genen zum Beispiel recht verlässlich ablesen, welche Augenfarbe oder welche Art Ohrenschmalz man hat. Natürlich kann man das aus Neugier machen, aber gerade die medizinischen Aussagen sollten in jedem Fall noch einmal professionell und mit Expertise gecheckt werden, bevor man sich darauf verlässt.
Und vor diesem Hintergrund müssen wir auch aufpassen, nicht gleich alles zu glauben, was uns diese Firmen in ihrer Werbung erzählen - denn das tun wir beim Gebrauchtwagenhändler ja schließlich auch nicht.
Schlaf, Ernährung, Fitness - Anhand deiner Gene kann man (fast) alles über dich herausfinden. Und diese Unternehmen, die das herausfinden, können damit (sehr) reich werden. Sollte unser Gen-Code vielleicht doch lieber geheim bleiben?
13.03.2022 | 28:21 minMAITHINK X - …
… die Show und der Instagram-Kanal mit Chemikerin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim widmen sich der Wissensvermittlung mit Humor. Das Team von MAITHINK X schätzt das kritische Denken, arbeitet emotional aufgeladene Themen faktenbasiert und unterhaltsam auf. In voller Länge und Bewegtbild finden Sie diese in der Mediathek.
MAITHINK X ist die Kombination aus dem Namen der Moderatorin Mai Thi N(gyuen)-K(im) und Terra X.
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