Kommentar

: Herkunft des Verdächtigen muss Thema sein

von Hasnain Kazim
07.12.2022 | 13:47 Uhr
"Ausländer raus!"-Parolen nach der Tat von Illerkirchberg sind primitiv. Ebenso falsch ist es, wenn wir nicht über Asylpolitik reden, so Autor Hasnain Kazim in einem Gastkommentar.
Kerzen und Blumen am Tatort in Illerkirchberg bei UlmQuelle: dpa
Im baden-württembergischen Illerkirchberg, einem Ort im Alb-Donau-Kreis mit knapp 5.000 Einwohnern, hat ein Mann zwei Mädchen auf dem Schulweg mit einem Messer attackiert. Eines davon überlebte schwer verletzt, das andere, die 14-jährige Ece S., starb. Der mutmaßliche Täter ist ein 27-jähriger Mann aus Eritrea. Nun sind noch nicht alle Hintergründe der Tat bekannt, und doch kann, darf und, wie ich finde, soll man sich schon jetzt zu der Tat und den Folgen äußern, so weit es möglich ist.
Ich trauere mit den Menschen in Illerkirchberg, mit den Familien der beiden Mädchen, insbesondere mit der Familie von Ece S. Mögen sie größtmögliche Unterstützung erhalten und mögen sie irgendwann so etwas wie Frieden finden, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das möglich sein soll nach dieser Tat.

Über den Gastautor

Quelle: Peter Rigaud
Hasnain Kazim wurde 1974 in Oldenburg als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer geboren. Er studierte Politikwissenschaften und arbeitete journalistisch unter anderem als Auslandskorrespondent für den "Spiegel" in Islamabad, Istanbul und Wien.

Derzeit lebt er als freier Autor in der österreichischen Hauptstadt. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter Bestseller wie "Auf sie mit Gebrüll" oder "Post von Karlheinz".

Ich hoffe, dass das andere Mädchen möglichst bald wieder genesen ist und trotz allem ein glückliches, angstfreies Leben führen können wird; auch hier fällt mir die Vorstellung schwer, wie das gehen soll. Ebenso hoffe ich, dass dem mutmaßlichen Mörder so bald wie möglich der Prozess gemacht und er hart bestraft wird für seine Tat. 

Jede Gewalttat verhindern, die zu verhindern ist

Es bleibt festzustellen: Beide, Tatverdächtiger und Opfer, sind Menschen mit Migrationsgeschichte. Man kann jetzt sagen - und das ist häufiger zu hören seit Montag -, das spiele keine Rolle, aber die Wahrheit ist, dass die Herkunft des mutmaßlichen Täters natürlich eine Rolle spielt. Denn das ist Fakt: Hätte man den Mann nicht ins Land gelassen, hätte er hier keinen Mord begehen können.
Schon sind Einwände zu hören, der Tatverdächtige sei möglicherweise psychisch krank, traumatisiert, von Krieg geprägt. All das mag seine Tat erklären. Entschuldigen tut das nichts. Und auch der Einwand, es gebe auch in Deutschland geborene Menschen, die solche Taten begingen, verfehlt den Punkt. Es geht darum, jede Gewalttat zu verhindern, die zu verhindern ist.
An dieser Stelle wird es heikel, weil man sich von allen Seiten angreifbar macht, aber mit ein wenig Differenziertheit und ohne Lagerdenken ist es eigentlich nicht so schwer. Denn aus einer solchen Tat abzuleiten, "alle Asylanten" seien "Messermänner", "alle Flüchtlinge" geradezu "potenzielle Mörder" und "tickende Zeitbomben" - auch das ist oft zu hören und zu lesen, ist grundfalsch und bösartig.
Wer so redet, unterstellt Menschen pauschal schlechte Absichten. Und es ist falsch und primitiv, schon wieder "Ausländer raus!" zu schreien und seine oft im Mund geführten, aber selten praktizierten christlichen Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit pauschal über Bord zu werfen.

Wir müssen über Einwanderungs- und Asylpolitik reden

Aber ebenso falsch ist es, so zu tun, als müsse man nicht über Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik reden, als müsse man keine Kriterien aufstellen, als habe das eine - die Zuwanderung von Menschen - nichts mit dem anderen - der Veränderung unserer Gesellschaft, zum Guten wie zum Schlechten - zu tun.
Die Kunst besteht darin, das zu tun, ohne die Tat politisch zu instrumentalisieren. Also ohne zu verallgemeinern, aber auch ohne zu leugnen, dass eine nicht ignorierbare Zahl an Typen kommt mit primitiven Welt- und Menschenbildern, rückständigen gesellschaftlichen Vorstellungen und mit Gewaltbereitschaft.
Mit anderen Worten: Menschen in Not nicht aufzunehmen, weil einzelne von ihnen - ich will es nicht kleinreden, denn wie gesagt, es ist eine nicht ignorierbare Zahl - Verbrechen begehen, wäre falsch. Sie alle aufzunehmen, ohne es politisch zu gestalten, ohne Kriterien, ohne zu prüfen, wäre auch falsch.
Und hier wird es erneut heikel: Darf man die Aufnahme von Menschen in Not an Kriterien knüpfen? Wenn ja, an welche Kriterien? In Konfliktgebieten behandeln Ärzte auch jeden, Freund wie Feind. Muss man also jeden aufnehmen, der "Asyl" sagt? Darüber darf man streiten.
Ich kann einerseits das Unbehagen darüber verstehen, die Aufnahme von Menschen in Not an Bedingungen zu knüpfen. Ich empfinde aber andererseits auch Unbehagen, Anhänger von Diktatoren und Menschen mit autoritärem Weltbild aufzunehmen. Taliban zum Beispiel, die die Gunst der Stunde nutzen und eine Flucht nach Europa einem Leben in einem von ihren eigenen Leuten beherrschten Afghanistan vorziehen, möchte ich nicht in unserer Gesellschaft wissen. Nur: Wie will man Geisteshaltungen prüfen? Schwierig, gewiss. Aber notwendig, wie ich finde. 

Einwanderung politisch gestalten

Ähnlich die Debatte bei der Einwanderung, also bei Menschen, die nicht vor Krieg und Gewalt und Verfolgung flüchten, sondern nach Deutschland kommen, um hier ihr Glück zu finden und ein Leben aufzubauen. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Die jüngsten gesetzlichen Erleichterungen bei der Einbürgerung gehen sicher in die richtige Richtung.
Aber wir brauchen eine umfassende Einwanderungsgesetzgebung, die es möglich macht, nach nachvollziehbaren Kriterien einzuwandern. Wir brauchen also auch hier: Kriterien. Das mag einem den Vorwurf einbringen, man bewerte Menschen nach ihrer Nützlichkeit für unsere Gesellschaft, aber auch hier gilt: Darüber müssen wir reden!
Denn wenn wir diese Themen nicht angehen und so tun, als gäbe es keine Probleme, werden Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sie für sich instrumentalisieren. Wir sollten all das thematisieren, ohne selbst in deren Sprache zu verfallen oder deren Wege zu beschreiten.
Ignorieren sollten wir die Probleme aber nicht. Denn es gibt sie.
Und wir sollten uns hüten, jede und jeden, die oder der das Thema vernünftig angeht, als "Nazi" und "Rechtsextremisten" zu bezeichnen. Denn dann traut sich kaum jemand mehr, über diese Themen zu reden und sie anzupacken. Letztlich verschlimmert das die Probleme nur.
"Grenzen dicht!" ist falsch. "No borders, no nations!" ist es ebenso.

Mehr zur Tat in Illerkirchberg