: "Ich lebe von der Hand in den Mund"

16.07.2022 | 16:35 Uhr
Durch die gestiegenen Preise können viele Menschen jetzt schon kaum mehr ihre laufenden Ausgaben bezahlen. Sieben Menschen berichten ZDFheute, welche Folgen das für sie hat.
Die Preise für Lebensmittel und Energie sind stark gestiegen. SymbolbildQuelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Sylvia, 44, Fritzlar, alleinerziehend, drei Jobs

In meinem Hauptberuf als Schulsekretärin verdiene ich 1.300 Euro. Das reicht gerade, um die laufenden Kosten zu decken, aber nicht zum Leben. Daher habe ich noch zwei weitere Jobs angenommen, damit meine elfjährige Tochter und ich über die Runden kommen.
Am meisten merke ich die Inflation bei den Lebensmitteln und schränke mich beim Fleischkonsum schon ein. Mir ist es wichtiger, dass ich meiner Tochter auch mal kleine Extras in die Brotdose einpacken kann.
Sylvia, Alleinerziehende
Sylvias Einkommen reicht nicht mehr, um die gestiegenen Kosten zu decken.Quelle: privat
Bei meinem Nebenjob im Supermarkt kommt mir zugute, dass ich dort direkt die Sonderangebote mitnehmen kann. Dennoch versuche ich monatlich 50 Euro zu sparen, falls mal größere Ausgaben anfallen. Ich bin mir nicht sicher, wie lange das noch möglich ist.
Manchmal macht es mich schon traurig, dass ich durch die viele Arbeit so wenig Zeit mit meiner Tochter habe, denn die Jahre gibt uns niemand zurück.
Auf den kommenden Winter blicke ich mit Sorge und frage mich, ob wir dann frieren müssen und ob ein menschenwürdiges Leben dann überhaupt noch möglich ist.

Christoph Müller, 38, Neubrandenburg, alleinerziehend, Bäcker

Ich meine, die Lebensmittelpreise sind in den letzten Monaten um mehr als ein Drittel gestiegen. Daher kaufe ich jetzt verstärkt Ware, die kurz vor dem Ablaufdatum steht und billiger ist.
Ich spreche auch mit meinen Jungs - 11 und 13 Jahre - über unsere finanzielle Situation, damit sie verstehen, warum sie die ausgelatschten Schuhe noch etwas länger tragen müssen.
Christoph Müller, Alleinerziehender
Auch regelmäßige Ausgaben wie Friseurtermine werden jetzt länger hinausgezögert. Im Urlaub waren wir dieses Jahr in Leipzig und haben insgesamt 1.200 Euro für sechs Tage ausgegeben.

Steigende Preise für Lebensmittel und Energie sorgen schon jetzt für Notsituationen in ärmeren Haushalten. Braucht es gezielte Entlastungen?

13.07.2022 | 01:38 min
Wenn ich an die Zukunft und an die Energiekrise denke, bekomme ich Bauchschmerzen. Durch Rohstoffmangel könnte es auch zu Einschränkungen bei der Produktion in den Bäckereien kommen, so dass wir zum Beispiel nur noch Brot und Brötchen backen können.
Die größten Umsätze werden aber durch den Café-Verkauf erwirtschaftet, und wenn das wegfällt, dann wäre auch meine Stelle gefährdet.

Wolfgang Klemmer, 71, Marburg, Rentner

Früher bin ich mit meiner Frau einmal im Monat Essen gegangen, das ist jetzt nicht mehr möglich. Wir warten immer auf die Wochenzeitschriften und dann kreuzen wir das an, was im Angebot ist und gekauft werden soll.
Eigentlich brauchen wir eine neue Couchgarnitur, weil meine Frau von unser jetzigen Rückenschmerzen bekommt, aber das können wir uns momentan gar nicht leisten.
Wolfgang Klemmer und seine Frau mussten alle Ausflüge und Extras streichen.Quelle: privat
Meine Frau und ich haben zusammen rund 1.600 Euro Rente und kommen damit nur durch sparsames Leben aus. Alleine unsere Energiekosten sind momentan bei über 250 Euro im Monat. Ich rechne damit, dass es noch deutlich mehr wird.
Bis vor einem halben Jahr hatte ich auch noch einen Nebenjob, aber aus gesundheitlichen Gründen musste ich damit aufhören. Besuche im Stadion oder besondere Ausflüge können wir uns auf ganz lange Zeit wohl nicht mehr leisten.
Meine größte Sorge ist, dass mein Sohn uns irgendwann unterstützen müsste, weil wir die laufenden Kosten nicht mehr zahlen können.
Wolfgang Klemmer, Rentner

Der Bundeswirtschaftsminister ruft die Bürger zum Energiesparen auf. Doch was, wenn das nicht reicht?

14.07.2022 | 02:32 min
Ich bin eine richtige Frostbeule und weiß, dass ich mich im Winter dicker anziehen werde, um Heizkosten zu sparen. Meine Frau hat vorsorglich schon mal zwei Wärmflaschen gekauft, damit wir im Winter wenigstens warme Füße haben.

Sybille Steiner, 65, Herne, Rentnerin

Ich habe Angst, dass ich die nächste Nebenkostenabrechnung nicht mehr bezahlen kann. Die gestiegenen Preise merke ich deutlich beim Einkauf, aber auch meine Miete wurde dieses Jahr erhöht.
Sybille Steiner wurde gerade auch die Miete erhöht.Quelle: privat
Ohne die Witwenrente meines Mannes könnte ich nicht überleben.
Ich lebe von der Hand in den Mund, spare an allem, kaufe mir keine neuen Klamotten und habe jetzt auch eine Versicherung gekündigt.
Sybille Steiner, Rentnerin
Vielen meiner Freundinnen geht es ähnlich, und wir helfen uns gegenseitig. Wir treffen uns zum Kochen und jeder bringt etwas mit, das spart auch schon Einiges.
Bis zu meiner Krankheit habe ich in Teilzeit als Küchenhilfe gearbeitet und bekomme ab November dann meine Rente, die weniger sein wird als meine derzeitige Erwerbsminderungsrente. Wie hoch die sein wird weiß ich nicht, aber sicher weniger als jetzt.

"Die Horror-Zahlen schüren Ängste bei den Menschen", so Ramona Pop, oberste Verbraucherschützerin in Deutschland über Inflation, Preise und die Lage der Verbraucher.

15.07.2022 | 05:21 min

Fatima*, 39, Wiesbaden, Putzfrau

Wir sind eine sechsköpfige Familie und es ist momentan schon schwierig für uns, mit dem Geld auszukommen. Mein Mann arbeitet als Paketfahrer, ich putze nebenbei.
Wir müssen jetzt über 1.100 Euro für Strom nur für den Zeitraum November bis Mai nachzahlen und sagen den Kindern jetzt, dass sie nur Licht in dem Zimmer anmachen sollen, wo sie sich auch gerade aufhalten.
Fatima, Putzfrau
Nicht nur Strom und Essen, alles ist teurer geworden, mein Mann bekommt aber nicht mehr Geld. Es gibt auch manchmal Streit unter den Kindern, weil ich jeden Monat entscheiden muss, wer Geld für größere Ausgaben wie Fußballschuhe oder ein neues Spiel bekommt.
Baden dürfen sie nur einmal die Woche, aber duschen müssen sie schon täglich, weil die größeren Jungs auch viel Sport machen und sonst stinken. Es ist schwierig momentan und ich hoffe, dass das Leben nicht noch teurer wird.
* Name von der Redaktion geändert.

Cornelia Shahzad, 56, Chemnitz, Krankenschwester

In den letzten Monaten habe ich die Preissteigerung extrem gemerkt. Am meisten versuche ich, mit dem Autofahren einzuschränken.
Klar brauche ich das Auto für die Arbeit und Arzttermine, aber alles, was Erholung oder Genuss bedeutet, versuche ich einzusparen. Ausflüge in die Natur oder eine andere Stadt fallen weg.
Cornelia Shahzad ist - trotz steigender Kosten - auf das Auto angewiesen.Quelle: privat
Mein Mann ist arbeitssuchend und bekommt keine Unterstützung, daher leben wir nur von meinem Einkommen, was rund 1.500 Euro ist. Davon bleibt momentan kaum etwas übrig.
An die Zukunft denke ich mit einem mulmigen Gefühl. Ich habe Sorge, dass wir vielleicht irgendwann die Miete nicht mehr zahlen können.
Cornelia Shahzad, Krankenschwester
Meine Hoffnung ist, dass mein Mann bald Arbeit findet und es uns dann finanziell wieder etwas besser geht.

Dagmar Heintz, 79, Frankfurt/Main, Tafel Frankfurt Bonames

Seit Frühjahr kommen zu unserer Essensausgabe rund 15 bis 20 Kunden zusätzlich - die meisten sind aber Flüchtlinge aus der Ukraine. Insgesamt kommen nun rund 100 Kunden und wir haben einen Aufnahmestopp.
Unser Problem ist, dass die Lebensmittelspenden der Märkte weniger werden, denn die Unternehmen versuchen natürlich auch effizienter zu werden.
Dagmar Heintz, Leitung Lebensmittelausgabe Tafel Frankfurt Bonames
Viele Waren halten heute länger, und es wird besser kalkuliert wie viel verkauft wird. Sollte sich die Situation im Winter verschärfen, dann möchten wir mehr Menschen helfen und werden die Ausgabemengen einfach verkleinern.
Ich blicke dennoch optimistisch in die Zukunft. Wir hatten schon viele Krisen und werden auch diese überstehen, denn irgendwie findet sich immer ein Weg.
Die Interviews führte Nadja Baran.

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