: Kernfusion-Durchbruch: Mehr Schein als Sein

von Ingolf Baur
18.12.2022 | 08:05 Uhr
In Kalifornien ist es gelungen, in einem Fusionsexperiment mehr Energie rauszuholen als man reingesteckt hat. Da schlägt mein Physikerherz höher. Aber so einfach ist es nicht.

Wenn das funktioniert, haben wir Energie ohne Ende und praktisch klimaneutral: In einem Kilo Fusionsbrennstoff steckt so viel Energie wie in 10.000 Tonnen Öl. Und Energie ist schließlich die Währung unseres Wohlstands. 
Die Kernfusion verspricht, dass alles so weitergehen kann wie gehabt, nur besser. Falls Sie den Verdacht hegen, dass ich die Bodenhaftung verloren habe: Bitte lassen Sie mich noch einen Moment fliegen.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Wie die Kernfusion funktioniert

Die Methode der Physiker im kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory ist brachial: 192 starke Laser schießen auf eine pfefferkorngroße Kapsel, die mit verschiedenen Wasserstoffisotopen gefüllt ist. Das heizt die Kugel auf 140 Millionen Grad auf - zehnmal so heiß wie das Innere der Sonne. Die Kugel explodiert.
Die Wasserstoffkerne im Inneren werden unvorstellbar stark zusammengepresst mit einem Druck 500 Milliarden Mal so hoch wie der Luftdruck auf der Erdoberfläche. Die Atomkerne überwinden ihre elektromagnetische Abstoßung. Die so genannte starke Kraft kann zuschlagen. Die Kerne verschmelzen. Energie wird frei. Es ist eine Art Mini-Wasserstoffbombe.
Dass es gelungen sei, mit diesem Experiment das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen, kann man nicht wirklich behaupten: Mit der freigesetzten Energiemenge ließen sich rund zwei Liter Wasser zum Kochen bringen. Aber, das ist ja auch nur ein Anfang.

Wie funktioniert die Kernfusion in der Sonne? Welchen Aufwand müssen wir in einem Reaktor betreiben, damit wir diesen Vorgang nachstellen und zur Energiegewinnung nutzen können?

18.05.2022 | 07:07 min

Beifall für Experiment von Ministerin Stark-Watzinger

Klingt es nicht tausendmal angenehmer, die Welt mit Fusionsreaktoren vor dem Klimakollaps zu retten als mit Verzicht und Zumutungen? Im Vergleich zu einer Energiewende, die unsere Landschaften zuspargelt, Mobilität und Heizen teurer macht und obendrein von uns allen Konsumverzicht einfordert, verspricht die Kernfusion das Paradies auf Erden.
Da gab es viel Beifall von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im ZDF-Interview: "Es zeigt sich, dass wir große Herausforderungen mit Technologie bekämpfen können." Und, so möchte man ergänzen, wenn die Technologie der Vergangenheit den Planeten an den Rand des Kollapses geführt hat, dann erfinden wir halt bessere Technologie, wie z.B. Kernfusionsreaktoren. Ich merke schon, die Nase meines Fliegers neigt sich nach unten.

Energiebilanz stimmt nicht ganz

War das nun der Durchbruch? Wenn man es genau nimmt, dann stimmt der verkündete Erfolg bei der Energiebilanz leider nicht. Die Energie, um die Laser zu betreiben, ließ man einfach unter den Tisch fallen. Tatsächlich wurde insgesamt rund 167 Mal mehr Energie eingesetzt, als am Ende rauskam. Und wenn schon Durchbruch, dann fand der im August 2021 statt, als es erstmals überhaupt gelang, per Laserfusion Atomkerne zu verschmelzen
Wobei die Fusion selbst auch schon anderen gelungen ist. An der Joint European Torus Anlage JET in England wurden per Magnetfusion Ende letzten Jahres fünf Sekunden lang Kerne verschmolzen.
Von einem Durchbruch zu sprechen, der uns auf Kurs zu einem Fusionsreaktor bringt, ist eher PR für die weitere Finanzierung der Forschung denn Realität. Es wird Zeit für die Landung.

Fusionsreaktor noch in weiter Ferne

Die Anlage am Lawrence Livermore Lab ist ein Experiment. Hier wird kein Reaktor gebaut oder getestet. Der Physiker Markus Roth von der TU Darmstadt hat im nano-Interview erklärt, dass er einen Reaktor nach diesem Prinzip in 15 Jahren ans Netz bringen will. Den Ehrgeiz in allen Ehren, viele Vorbilder für einen solchen Turbo in der Umsetzung von Großtechnologie gibt es nicht.
Am größten internationalen Fusionsforschungsprojekt ITER z.B. wird seit 34 Jahren gebaut und doch plant man erst in 13 Jahren den ersten Demonstrationsreaktor in Betrieb zu nehmen. Also einen, der nur zeigen soll, dass es prinzipiell möglich ist, einen Energie liefernden Reaktor zu bauen. Ein Ende als Milliardengrab ist nicht ausgeschlossen.

Was fasziniert uns an der Kraft der Atomkerne? So viel sei verraten: Da sie so klein sind und gleichzeitig enorm effektiv wirken, ist ihr Potential gigantisch. Harald erklärt, was der Vorteil von Kernfusion gegenüber Kernspaltung ist.

13.05.2020 | 24:32 min

Chancen der Kernfusion nutzen

Die größte Krux der Fusionskraftwerke könnte aber in dem Versprechen stecken, den Brennstoff, den sie verbrauchen, selbst zu erbrüten. Der Fusionsbrennstoff Tritium kommt in der Natur nicht vor und muss bisher in herkömmlichen AKW erzeugt werden. Dass die Landung so hart wird …
Ich finde, dass uns die Angst vor einem Crash trotzdem nicht davon abhalten sollte, das Fliegen wirklich zu lernen. Es wäre fahrlässig, die Chancen der Fusion auf Erden nicht auszuloten. Es soll uns nur keiner glauben machen, dass uns das die Energiewende und die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft ersparen wird.

Die ganze Sendung NANO mit Ingolf Baur zur Kolumne: Endlich wurde bewiesen, dass Fusionsenergie außerhalb der Sonne erzeugt werden kann. Doch wie geht es nun weiter? Der Physiker Prof. Markus Roth stellt sich kritischen Fragen und erklärt, warum das Experiment für ihn mehr bedeutet, als ein gelungener PR-Hype.

14.12.2022 | 28:19 min

Ingolf Baur ...

... ist studierter Physiker und Wissenschaftsjournalist. Er moderiert das tägliche 3sat-Wissenschaftsmagazin NANO, bereist die Welt für spannende Reportagen und kann richtig gut singen. Sein Motto ist "Ökologie first - es geht um alles".

Die letzten Ausgaben verpasst?

Auf unserer Themenseite können Sie alle Terra-X-Kolumnen nachlesen.

Themen

Mehr zu Terra X