: Lässt sich das Artensterben aufhalten?

von Christian Deker
22.05.2022 | 09:49 Uhr
Vor 30 Jahren beschloss die Menschheit, die Artenvielfalt zu schützen. Daraus ist nicht viel geworden. Höchste Zeit zu handeln, sagen Wissenschaft und Naturschutzorganisationen.
Ranger James Mwenda betreut die letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner. Fatou ist erst 19 Jahre alt, also im besten Teenager-Alter. Quelle: ZDF/Lee Jackson
Am 22. Mai 1992 schwammen chinesische Flussdelfine im Jangtse, in den Regenwäldern Costa Ricas suchten Chiriquí-Harlekinfrösche nach Nahrung. An diesem Tag wurde in Nairobi das "Übereinkommen über die biologische Vielfalt" unterzeichnet. Heute - 30 Jahre später - gelten beide Tierarten als ausgestorben.
Dieser Trend hält an. "Die Biodiversität ist sehr bedroht durch den starken Rückgang der Arten und durch den Verlust der Lebensräume, der wirklich eklatant ist", sagt Kirsten Thonicke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Wir schaffen es zurzeit noch nicht, die Verluste aufzuhalten, geschweige denn eine Trendumkehr zu schaffen.
Kirsten Thonicke, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Rund eine Million Arten gefährdet

Der Weltbiodiversitätsrat IPBES warnt davor, dass rund eine Million Tier- und Pflanzenarten in wenigen Jahrzehnten aussterben könnten. Das sind zwölf Prozent aller Arten. Das Artensterben sei heute mindestens zehn- bis hundertmal heftiger als im Durchschnitt in den vergangenen zehn Millionen Jahren.
Laut "Living Planet Index" der Naturschutzorganisation WWF ist seit 1970 die Anzahl der wildlebenden Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien weltweit um 68 Prozent gesunken. In Deutschland ist mehr als jede vierte Insektenart in ihrem Bestand gefährdet. Bei den Amphibien ist es jede zweite Art, bei den Reptilien sogar mehr als zwei Drittel der Arten, so das Bundesamt für Naturschutz und das Rote-Liste-Zentrum.

Die Welternährung hängt von nur 30 Pflanzenarten ab. Und das macht unsere Ernährungssicherheit anfällig. Denn Klimawandel und Schädlinge führen zunehmend zu Ernteausfällen. Gibt es Rettung durch mehr Vielfalt auf dem Acker?

28.04.2019 | 28:37 min

Landnutzungsänderungen als Treiber fürs Artensterben

"Die größten Treiber für Artensterben sind Landnutzungsänderungen, also der Verlust von Lebensräumen", sagt Kirsten Thonicke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Weil wir Wälder abholzen, weil wir Wiesen umbrechen, weil wir Feuchtgebiete und Moore trockengelegt haben, gehen wertvolle Arten verloren.
Kirsten Thonicke, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Ein Stopp der weltweiten Entwaldung, wie auf der Weltklimakonferenz in Glasgow 2021 beschlossen, schütze sowohl das Klima als auch die Biodiversität, sagt Thonicke. Der Mensch ist auf die Natur angewiesen: 75 Prozent der Nahrungsmittelpflanzen, einschließlich Obst und Gemüse sowie Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao und Mandeln, sind auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen, so der Weltbiodiversitätsrat.

Brachflächen, verlassene Hallen, alte Ruinen. Die Natur nutzt jede kleine Lücke zwischen Steinen und Beton – sofern der Mensch es zulässt. Es ist ein Kampf zweier mächtiger Gegner.

17.04.2022 | 28:44 min

Wissenschaftler fordern Politik zum Handeln auf

Erst am Donnerstag hatte ein großes Bündnis aus Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftlern die Bundesregierung dazu aufgerufen, den Schutz der Biodiversität voranzutreiben.
Wir können aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig und klar sagen: Es gibt Möglichkeiten, etwas zu tun.
Bernhard Misof, der Direktor des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels
Die Forscherinnen und Forscher fordern etwa ökologisch nachhaltige Lieferketten in der Wirtschaft, weniger umweltschädliche Subventionen im Verkehrs- und Energiebereich sowie mehr Geld für internationale Artenschutzprogramme. Deutschland habe mit seiner G7-Präsidentschaft eine besondere Verantwortung bei der Bekämpfung dieser Krise.

Borkenkäfer fressen sich durch die Wälder. Die Brennhaare Tausender Eichenprozessionsspinner verbreiten Schrecken. Gleichzeitig sterben unzählige Insekten. Wie passt das zusammen?

11.07.2021 | 28:35 min

Artensterben könnte bis 2030 umgekehrt werden

Herausragende Bedeutung für die globale Entwicklung wird die Weltartenschutzkonferenz haben, der im Laufe des Jahres im chinesischen Kunming stattfinden soll. Die war wegen Corona schon mehrmals verschoben worden. Hier soll über ein neues Abkommen verhandelt werden, das sicherstellen soll, dass die biologische Vielfalt erhalten bleibt.
Die Konferenz wird von Naturschutzorganisationen wie dem WWF als letzte Gelegenheit gesehen, das Steuer noch herumzureißen. Dies scheint auch nicht unrealistisch zu sein - der Weltbiodiversitätsrat IPBES hält es für möglich, bis 2030 den Verlust der Biodiversität noch umzukehren. Dazu müssten bei der Weltartenschutzkonferenz aber wohl weitreichende Maßnahmen beschlossen und anschließend auch umgesetzt werden.

Rotbuntes Husumer Schwein oder Poitou-Esel. Viele alte Nutztierrassen sind bedroht. Ihr Verlust würde unsere Landwirtschaft hart treffen. Spezialisten kämpfen um ihren Erhalt.

20.01.2019 | 28:35 min

Schutz der Artenvielfalt - eine Herkulesaufgabe

Eine der Kernforderungen ist es, dass die Weltgemeinschaft 30 Prozent der Land- und Seeflächen bis 2030 unter Schutz stellt und den Anteil bis 2050 weiter steigert. Dies hatte auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (B90/Die Grünen) schon als mögliches Ziel erklärt. Es werde aber darauf ankommen, dass Erfolg und Misserfolg bei der Umsetzung klar messbar sind, so Lemke im März.
Ohne starke Umsetzungsmechanismen werden die neuen Ziele wieder nur Absichtserklärungen bleiben.
Steffi Lemke (Grüne), Bundesumweltministerin
Daneben werden auch finanzielle Mittel eine große Rolle spielen. Gerade ärmere Länder im globalen Süden sind beim Schutz von Biodiversität auf Geld angewiesen, um die große Artenvielfalt vor Ort zu schützen. "Die Herausforderung ist: Wir brauchen ein ganz konkretes Vertragswerk - mit konkreten Zielsetzungen, mit konkreten Mechanismen", sagt Kirsten Thonicke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Das alles zu verhandeln, ist eine Herkulesaufgabe.
Kirsten Thonicke, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Christian Deker ist stellvertretender Leiter der ZDF-Umweltredaktion.