: Wie radikal muss Klimaprotest sein?

von Thora Schubert
22.01.2023 | 07:54 Uhr
Die Aktionen der "Letzten Generation" werfen Fragen auf - über Schaden und Nutzen, über Konsequenzen und Rechtmäßigkeit, über gesellschaftlichen Wandel. Was ist mit Antworten?

Klimaaktivismus hat sich in den vergangenen Monaten gewandelt. Statt von Demonstrationen an Freitagen hört man immer häufiger von Blockaden, ausgelöst von Menschen, die sich mit Sekundenkleber an der Straße befestigen. Ein Satz, der mir bei dem Thema immer wieder begegnet, ist: "Solche Proteste sind doch kontraproduktiv!"

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Nun habe ich persönlich noch niemanden getroffen, der aus Frust über Klimaproteste einen 15-Liter-SUV gekauft hat. Dennoch finde ich den Gedanken nachvollziehbar: Die Aktionen der "Letzten Generation" stören Menschen in ihrem Alltag.
Sie wollen stören, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ist das vielleicht doch ein Problem? Verknüpfen wir irgendwann zu viel Negatives mit dem Thema Klimaschutz? Höchste Zeit, die Küchenpsychologie hinter uns zu lassen und einen Blick auf Forschungsergebnisse zu werfen. 

Welche Überzeugungskraft kann radikaler Klimaprotest haben? In der deutschen Geschichte sind sie laut Protestforscher Simon Teune noch harmlos. Gehen die Aktionen dennoch zu weit?

09.11.2022 | 04:06 min

Studie: Extremer Protest mit positivem Effekt für Klimabewegung

Eine besonders spannende Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, dass extreme Protestformen dem größeren Ziel nicht schaden - im Gegenteil. Wie sie zu ihrem Ergebnis kommen? Die eine Hälfte der Proband*innen las zuerst einen Bericht über eine fiktive Klimaschutzgruppierung mit gemäßigten Zielen und Methoden: Sie fordert, im Laufe der nächsten 15 Jahre aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen, und nutzt dazu friedliche Demonstrationen und Informationskampagnen.
Die andere Hälfte las derweil von einer extremeren - ebenfalls fiktiven - Gruppierung, die den Ausstieg innerhalb eines Jahres fordert und auch vor Sachbeschädigung nicht zurückschreckt. Im Anschluss sollten alle Proband*innen eine zweite, gemäßigte Klimaschutzgruppierung danach beurteilen, wie sehr sie sich mit ihr identifizierten und ob sie sie unterstützen würden.
Das Ergebnis: Diejenigen, die sich vorher mit der extremeren Gruppierung beschäftigt hatten, waren anschließend eher bereit, die gemäßigte Gruppierung zu unterstützen, als diejenigen, die sich zuvor schon mit einer gemäßigten Gruppierung befasst hatten. Das Vorhandensein der Extremen ließ die Gemäßigten also unterstützenswerter erscheinen. Auf die Realität übertragen hieße das: Dass es die "Letzte Generation" gibt, schadet der Klimabewegung nicht, ganz im Gegenteil, es fördert sie sogar.

Vor allem der Klimaprotest rund um das Dorf Lützerath flutet die Nachrichten. Der Symbolträchtige Ort soll zu Gunsten des Braunkohleabbaus weichen. Wissenschaftler stehen hier auf Seiten der Aktivisten – Die Zeit der Kompromisse ist vorbei. Doch was bedeutet das konkret?

11.01.2023 | 28:28 min

Unterschied zwischen Gemäldeattacke und Straßenblockade

Allerdings beschäftigt sich nicht nur die sozialwissenschaftliche Forschung mit der "Letzten Generation". Auch juristisch tun sich permanent neue Fragen auf, insbesondere was die Beurteilung von Straftaten der Mitglieder betrifft. So muss immer wieder abgewogen werden, ob Aktionen verwerflich sind - eine moralische Frage.
Für die Antwort ist entscheidend, ob das Fernziel der Aktivist*innen - besserer Klimaschutz - berücksichtigt wird. Voraussetzung dafür ist, dass das Nah- und das Fernziel zusammenhängen. Konkret: Wenn Kartoffelbrei auf ein Gemälde geworfen wird, hat das nicht wirklich was mit Klimaschutz zu tun. Wenn durch eine Straßenblockade Autos nicht fahren können und damit der CO2-emittierende Autoverkehr angeprangert wird, besteht da schon eher ein Zusammenhang.
Unter Jurist*innen wird heiß diskutiert, ob und wie stark das Fernziel berücksichtigt werden sollte. Sobald es in die moralische Bewertung einer Aktion einfließt, sieht es für die Aktivist*innen gleich deutlich besser aus: 2021 hat das Bundesverfassungsgericht das 1,5-Grad-Ziel zum "hohen Verfassungsgut"“ erklärt. Damit ist klar: Klimaschutz hat auch juristisch einen hohen Stellenwert.

Moralisches Handeln und die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt hat längst Einzug in ethische Debatten gefunden. Was unterscheidet radikale KlimaaktivistInnen von Ökoterroristen?

18.11.2021 | 24:51 min

Klimawandel lässt sich nicht wegtragen

Protestaktionen der "Letzten Generation" werden uns auch in diesem Jahr wieder beschäftigen. In Staus, in Museen, aber auch in Forschungsinstituten und Gerichten. Und gleichzeitig tut sich politisch zu wenig, um den Klimawandel wirksam zu bremsen.
Ich persönlich werde die Aktionen der "Letzten Generation" weiter mit Interesse verfolgen, denn ihre Proteste bringen nicht nur Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz. Sie erinnern auch daran, dass sich der Klimawandel und seine Folgen nicht mal eben von der Polizei wegtragen lassen.

Auf den Spuren der Klimaforschung: Hitze, Dürre, Stürme und Fluten – Was ist Wetter, was ist Klima? Nur wissenschaftliche Fakten geben das Rüstzeug für ein verantwortungsvolles Handeln in der Zukunft.

20.10.2019 | 43:30 min

Thora Schubert ...

… ist Geowissenschaftlerin aus Leidenschaft. Sie ist eine der Moderatorinnen von Terra Xplore und neuerdings auch Host des Terra-X-Podcasts. Ihr Herzensthema ist der sorgsame Umgang mit unserem Planeten und seinen Ressourcen - vom Bergbau über Recycling hin zur Energiegewinnung. Wenn es nach ihr ginge, wäre Geologie ein Schulfach, in dem jede und jeder mindestens einmal an einem Stein lecken muss.

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