: "Letzte Generation" - kriminelle Vereinigung?

von Jan Henrich und Laura Kress
24.05.2023 | 13:16 Uhr
Bundesweite Razzien und Ermittlungen - doch ist die "Letzte Generation" wirklich eine kriminelle Vereinigung? Unter Juristen ist eine solche Einordnung umstritten.
Klimaaktivisten blockieren einen Autobahn - wie ist die Gruppe "Letzte Generation" juristisch einzuordnen? Quelle: dpa
Insgesamt 15 Wohnungen und Räume von Klimaaktivisten der "Letzten Generation" haben Beamte am Mittwochmorgen durchsucht. Auch Vermögenswerte und Konten wurden beschlagnahmt sowie die Internetseite der Gruppe abgeschaltet.
Vorausgegangen war die Polizeiaktion von der Münchener Generalstaatsanwaltschaft - genauer die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Sie ermittelt gegen sieben mutmaßliche Mitglieder der Gruppe wegen Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat bundesweit Wohnungen von Klimaaktivisten der "Letzten Generation" durchsucht.

24.05.2023 | 02:38 min
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Durchsuchungen bei den Klimaaktivisten mit diesem Vorwurf stattfinden. Doch es ist umstritten, ob die "Letzte Generation" wirklich als kriminelle Vereinigung eingeordnet werden kann.

Vorschrift zu "krimineller Vereinigung" soll öffentliche Sicherheit schützen

Nicht nur einzelne Straftaten, sondern auch deren organisatorische Grundlage kann im deutschen Strafrecht verfolgt werden. Nach §129 Strafgesetzbuch (StGB) macht sich also strafbar, wer einen Zusammenschluss von mehr als zwei Personen gründet oder unterstützt, der auf die dauerhafte Begehung von Straftaten gerichtet ist. Wobei die Straftaten eine gewisse Erheblichkeit haben müssen.
Die Vorschrift soll vor allem die öffentliche Sicherheit vor Strukturen schützen, von denen größere Gefahren ausgehen können. In den vergangenen Jahren wurden insbesondere Mitglieder rechtsextremer Gruppe, die gewalttätige Überfälle geplant und verübt hatten, deswegen verurteilt.

Hauptziel auf Straftaten gerichtet?

Dass bei Protestaktionen der "Letzten Generation" teilweise Straftaten begangen werden, daran gibt es kaum Zweifel. In mehreren Urteilen und Strafbefehlen wurden Straßenblockaden beispielsweise als strafbare Nötigung eingestuft. Die Gruppe selbst schreibt auf ihrer Internetseite, dass eine Verfolgung wegen Straftaten möglich ist, wenn sich Personen bei den Aktionen beteiligen.
Doch ob die strafbaren Handlungen wirklich Hauptziel der Gruppe sind, ist fraglich. Die Gruppe will in erster Linie die Politik zu einer klimafreundlicheren Politik bewegen. Sogar die Staatsanwaltschaft Berlin hatte in einem Beschluss festgestellt, dass zumindest die Anliegen der Aktivisten "im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen stehen."

Auf die Erheblichkeit der Straftaten kommt es an

Auch nicht jede Art von bezweckter Straftat macht eine Gruppe zu einer kriminellen Vereinigung. Die einzelnen Handlungen müssen eine gewissen Schwelle überschreiten. Milan Kuhli, Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg, bezweifelt, dass die Protestaktionen der "Letzten Generation" dieses Kriterium erfüllen. Er plädiert, vorsichtig bei der Einordnung einer kriminellen Vereinigung zu sein:
Ich sehe zurzeit noch keine erheblichen Delikte, die die Annahme einer kriminellen Vereinigung rechtfertigen.
Milan Kuhli, Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg
Allerdings ist gerade in diesem Punkt auch eine andere Einschätzung möglich. Das Strafgesetzbuch wurde 2017 in diesem Bereich geändert und der Rahmen, welche Straftaten eine Gruppe zu einer kriminellen Vereinigung machen, enger gefasst.

Schon Ermittlungsverfahren hat Folgen

In jedem Fall, so Kuhli, sei es wichtig, dass die Einordnung als kriminelle Organisation von den Strafverfolgungsbehörden nicht nur deshalb getroffen werde, um Ermittlungsmaßnahmen gegen Gruppenmitglieder einleiten zu können.

Die Behörden ermitteln gegen Mitglieder der "Letzten Generation" - wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zu Recht? Bei ZDFheute live streiten zwei Juristen.

24.05.2023 | 42:42 min
Doch bei den heutigen Razzien kann genau dieser Eindruck entstehen. Im Zuge der Durchsuchungen wurden nicht nur Finanzmittel der Gruppe beschlagnahmt, auch Webseiten und E-Mail-Verteiler sollen abgeschaltet sein. Harte Einschnitte, obwohl bisher nur ein Ermittlungsverfahren stattfindet. Ein gerichtliches Urteil zur Frage, ob die "Letzte Generation" wirklich eine kriminelle Vereinigung darstellt, gibt es noch nicht.
Sollte die gerichtliche Feststellung folgen, droht auch weiteren Mitgliedern ein Strafverfahren: "Dies kann unter Umständen bereits bei der Teilnahme an einer Protestaktion der Letzten Generation anzunehmen sein.", so Milan Kuhli.
Die Autoren sind Mitarbeiter der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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