: Therapie: Depressive warten bis zu 22 Wochen
04.06.2022 | 17:10 Uhr
22 Wochen Wartezeit auf einen Therapieplatz. Das sei die Realität für Menschen mit Depressionen in Deutschland, betont die Deutsche Depressionsliga. Experten fordern ein Umdenken.In Frankfurt hat der Patientenkongress Depression begonnen - mit einem Moment der Stille. 22 Sekunden lang schwieg die Vorsitzende der Deutschen Depressionliga (DDL), Waltraud Rinke, auf der Bühne vor 1.000 Menschen, darunter vor allem Betroffene von Depressionen und deren Angehörige.
Die Schweigedauer war bewusst gewählt, denn: Laut Rinke warteten Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland durchschnittlich 22 Wochen auf einen Therapieplatz. "Eine Ewigkeit für einen Menschen, der schwer erkrankt ist", kritisierte sie.
DDL-Vorsitzende: Es braucht deutlich mehr Therapieplätze
Mit einem Offenen Brief fordern die Experten die Bundesregierung demnach auf, an diesem "unhaltbaren Zustand", wie die DDL-Vorsitzende ihn nennt, etwas zu ändern. Auch wenn sich die Wahrnehmung des Themas in den vergangenen Jahren erhöht habe, sei es "noch ein weiter Weg, bis die Depression gesellschaftsfähig ist und akzeptiert wird wie jede andere Krankheit auch", so Rinke.
Es reiche nicht aus, Maßnahmen zur Suizidprävention von der Politik zu fordern, fügte Rinke hinzu. Deutlich mehr Therapieplätze wären jedoch ein wichtiger Schritt, da der überwiegende Anteil der jährlich rund 10.000 Suizidfälle in Deutschland im Zusammenhang mit Depressionen stehe.
Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Pandemie hat Lage für viele Betroffene verschlimmert
Susanne Baldauf, Geschäftsführerin der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, mahnte auf dem Kongress:
Diese Krankheit gehört nicht an den Rand der Gesellschaft.
Dem Stiftungsvorsitzenden Ulrich Hegerl zufolge sind mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland jedes Jahr von einer behandlungsbedürftigen Depression betroffen. Zudem berichteten hochgerechnet zwei Millionen Betroffene, dass sich ihre Depression während der Corona-Pandemie verschlechtert habe.
Gründe dafür seien, dass die medizinische Versorgungsqualität abgenommen habe und unterstützende Maßnahmen wie Selbsthilfe- oder Sportgruppen lange nicht stattgefunden hätten. Deshalb sei es umso wichtiger, der "leisen Erkrankung Depression" nach der pandemiebedingten Pause nun eine laute Stimme zu geben, betonte Hegerl.

Immer mehr polnische Kinder leiden unter Depressionen. Ein Schmetterlingsmuseum in Bochnia mit rund 5.000 Tages- und Nachtschmetterlingen bringt Farbe in ihr Leben.
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Die größte Schwierigkeit bei Depressionen sei, dass viele Menschen eine falsche Vorstellung davon hätten, so Hegerl. Es handle sich um eine eigenständige Krankheit, nicht um eine Reaktion auf Lebensumstände.
Es ist lächerlich, da nicht drüber zu reden. Ich rede schon so lange über Depressionen, dass es ersten Leuten auf die Nerven geht. Und das gefällt mir sehr gut, denn wenn die Leute etwas nervt, dann dringt es tiefer in ihr Bewusstsein ein. Ich höre nicht auf, darüber zu reden.
In einem Grußwort erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), er sehe "Potenzial für die Zukunft" in der großen Akzeptanz, die Videosprechstunden oder telefonische Behandlungen während der Pandemie gefunden hätten. Die Bundesregierung werde sich, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, verstärkt für ein gesellschaftliches Klima einsetzen, "in dem psychische Probleme und Erkrankungen offen angesprochen werden können".
Zahlreiche Infostände für Betroffene während Patientenkongress
Die Veranstaltung steht unter dem Motto "Den Betroffenen eine Stimme geben: Gemeinsam zurück ins Leben". Den Angaben zufolge nahmen neben Fachleuten und Prominenten auch 1.000 Betroffene und Angehörige teil.
Veranstalter sind die DDL und die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, mit Infoständen sind unter anderen die Telefonseelsorge, der Verein AGUS für Angehörige um Suizid und die Online-Suizidprävention der Caritas, [U25] in der Alten Oper in Frankfurt dabei.
Quelle: KNA