: Weniger Intensivbetten, mehr Sorgen

von Lukas Nickel
08.07.2022 | 18:22 Uhr
Auf vielen Intensivstationen bleiben Betten leer, weil das Personal fehlt. Das Problem gibt es schon lange, durch Corona hat es sich verschlimmert. Wie wird der Herbst?
Eine Intensiv-Pflegerin versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten. (Archivbild)Quelle: Boris Roessler/dpa
Das Telefon klingelt auf der Intensivstation der Uniklinik Homburg. Ein Mitarbeiter meldet sich krank, die Corona-Sommerwelle macht auch vor der Krankenhausbelegschaft keinen Halt.
Das bedeutet für Intensivpfleger Frank Lehmann: Er muss sich um Ersatz kümmern. Und dieser kommt oft von einer anderen Station oder er fragt bei Kollegen an, die eigentlich frei haben. "Klar hat man schon mal ein schlechtes Gewissen, aber es geht halt nicht anders", sagt Lehmann.

Station kann nur mit halber Last betrieben werden

Lehmanns Station in Homburg hat 24 Intensivplätze - theoretisch. Praktisch sind es nur zwölf Patienten, um die er und seine Kollegen und Kolleginnen sich kümmern können. Die Pflegekräfte fehlen. Der Personalmangel im Pflegebereich ist nicht neu, hat sich aber während der Corona-Pandemie zugespitzt.
Dafür gibt es viele Gründe: hohe Arbeitsbelastung, schlechte Bezahlung, wenig Anerkennung. Während der Pandemie liefen die Intensivstationen voll, die Belegschaft war am Limit.
Man brennt schon aus. Allein die Anstrengung, die ganze Zeit mit den Schutzkitteln herumzulaufen, das hat Spuren hinterlassen.
Intensivpfleger Frank Lehmann, Uniklinik Homburg

Divi: Aktuelle Lage "schwierig"

So wie in Homburg sieht es auf vielen Intensivstationen in Deutschland aus: 1.300 Standorte melden dem Intensivregister des Robert-Koch-Instituts in Zusammenarbeit mit der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) regelmäßig ihre Situation.
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Ziel des Divi ist es, die in Deutschland verfügbaren Kapazitäten in den Intensivstationen darzustellen. Und die aktuelle Lage ist schwierig, sagt Christian Karagiannidis, Leiter des Divi und Mitglied des Covid-Expertenrats der Bundesregierung:
Mehr als die Hälfte der Krankenhäuser kann derzeit aufgrund von Personalproblemen nicht alle seine Intensivbetten betreiben.
Christian Karagiannidis, Leiter des Divi

Nur noch 3.000 Intensivbetten frei

Laut Intensivregister gab es Anfang 2020 noch gut 30.000 Intensivbetten in deutschen Kliniken. Zwei Jahre später, im Juli 2022, können Krankenhäuser in Deutschland nur 21.000 Intensivbetten verwenden. Hinzu kommt, dass vor zwei Jahren zu Hochzeiten der Pandemie noch gut 10.000 Betten verwendbar waren. Heute sind nur noch rund 3.000 Betten nicht belegt.

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Der Deutschen Krankenhausgesellschaft zufolge blieben 2021 gut 8.000 Stellen für Intensivfachkräfte unbesetzt. Auch wenn die Kliniken viel dafür tun, ihr Personal zu halten und neue Kräfte zu finden, der Personalmangel ist ein Problem, das bleiben wird, erklärt Christian Karagiannidis. "Deutschland hat extrem viel Luft nach oben. Nicht nur bei der Digitalisierung, auch bei den Grundstrukturen im Gesundheitswesen."

Was, wenn eine heftige Grippewelle kommt?

In Homburg ist der Regelbetrieb in der Uniklinik trotz der häufigen Krankmeldungen aus der Belegschaft noch gesichert, versichert Serhat Sari, Pflegedirektor der Uniklinik Homburg. Aber "wir können den Winter nur überstehen, wenn wir die Kräfte bündeln und uns eng abstimmen", gibt er gleichzeitig zu. Denn was nach dem Sommer kommt, ist unklar. "Wovon wir sicher nicht verschont bleiben, ist eine relativ starke Grippewelle", warnt Karagiannidis.
Auch eine neue Corona-Variante ist denkbar. Werden die Intensivstationen dadurch stärker belastet, müsste zusätzliches Personal umgeschichtet werden. Diese Kräfte fehlen dann erneut auf anderen Stationen, nicht überlebensnotwendige Operationen müssten unter Umständen verschoben werden. Im Moment befindet sich noch kein Covidpatient auf der Intensivstation von Pfleger Lehmann: "Die letzten zwei Jahre haben uns viel Kräfte gekostet. So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben."

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