: Faeser: "Abgrund terroristischer Bedrohung"

07.12.2022 | 18:24 Uhr
Nach der Razzia gegen ein mutmaßliches Terrornetzwerk fordern Politiker und Verbände mehr Härte gegen die Reichsbürger-Szene und extremistische Beamte. Reaktionen im Überblick.

Das Wichtigste in Kürze

  • 25 Menschen aus der Reichsbürgerszene bei Razzia festgenommen
  • Ihr mutmaßliches Ziel: Ein Staatsstreich, der Umsturz des politischen Systems in Deutschland
  • Kopf soll der Frankfurter Reichsbürger Prinz Heinrich XIII. Reuss sein
  • 22 Festgenommenen sollen Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein, drei gelten als Unterstützer
  • Razzia mit 130 Duchsuchungen war einer der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten in der Geschichte der Bundesrepublik
Nach den Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lassen die bundesweiten Ermittlungen gegen die Reichsbürger-Szene "in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung" blicken. Die mutmaßliche terroristische Vereinigung sei nach dem Stand der Ermittlungen von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben gewesen, sagte Faeser in Berlin. Erst die weiteren Ermittlungen würden ein klares Bild ergeben, wie weit die Umsturzpläne schon gediehen waren, fügte sie hinzu.
Am Morgen waren 22 mutmaßliche Mitglieder einer Reichsbürger-Gruppe sowie drei mutmaßliche Unterstützer festgenommen worden, zugleich wurden in elf Bundesländern mehr als 130 Häuser, Wohnungen und Büros durchsucht.

Steinmeier sieht "neues Niveau"

Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die Polizeiaktion als "Anti-Terror-Einsatz". Generalbundesanwalt Peter Frank wirft den Beschuldigten Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung vor. Sie hingen Verschwörungsmythen an, erklärte Frank.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach angesichts der ersten Erkenntnisse der Ermittler von einem "neuen Niveau". Die liberale Demokratie müsse auch eine wehrhafte sein, sagte er dem MDR. Wenn terroristische Straftaten in Vorbereitung seien, müsse gehandelt werden und das Strafrecht Grenzen setzen.

Amnesty: Mehr Härte gegen extremistische Staatsdiener

Amnesty International forderte staatliche Behörden in Deutschland auf, stärker gegen menschenfeindliche Einstellungen in den eigenen Reihen vorzugehen. "Die heutigen Festnahmen zeigen die Gefährlichkeit von rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Ideologien", erklärte die Amnesty-Expertin Beate Streicher in Berlin. Dies sei "besonders besorgniserregend", warnte Streicher, insbesondere wenn unter den Verdächtigen auch Menschen mit militärischer Spezialausbildung seien.
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle will deshalb das öffentliche Dienstrecht schnell nachschärfen. "Besonders problematisch ist die erneute Verbindung der Gruppe zu Bundeswehr und Polizei. Wer die staatliche Ordnung in Deutschland ablehnt oder gar beseitigen will, kann kein Beamter sein", schrieb Kuhle auf Twitter.
FDP-Fraktionsvize Kuhle bei Twitter
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat nach den Razzien gegen sogenannte Reichsbürger angekündigt, das Thema im Ausschuss behandeln zu wollen. "Ich habe umgehend dieses Thema auf die Tagesordnung des Verteidigungsausschusses setzen lassen", sagte Strack-Zimmermann der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Sie kündigte ein konsequentes Vorgehen an:
Wir werden diese braune Suppe austrocknen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)

Polizei-Gewerkschaft warnt vor Gefahr für Rechtsstaat

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang warnt im Zusammenhang mit dem Schlag gegen die Reichsbürger vor einer "gewaltbereiten Mischszene". Von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gehe eine anhaltend hohe Gefahr aus, teilte Haldenwang mit. "Die Szene ist nach wie vor sehr aktiv und dynamisch und hat im vergangenen Jahr erneut erheblichen Zulauf erhalten." Das aufgedeckte Netzwerk sei ein "Musterbeispiel" für die Herausbildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene, in der
Reichsbürgerideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der sogenannten Delegitimierer und rechtsextremistische Narrative zusammenfließen würden.
Die Gewerkschaft der Polizei schätzt Reichsbürger als eine Bedrohung für die Demokratie ein. "Die Reichsbürgerszene ist eine eklatante Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat, akut für potenzielle Ziele dieser mutmaßlichen Terrornetzwerke in politischen Reihen und natürlich auch für polizeiliche Einsatzkräfte", sagte der Bundesvorsitzende Jochen Köpelke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 

"Reichsbürger", Selbstverwalter und Systemverweigerer – sie alle eint die Ablehnung des Staates, seiner Institutionen und der Demokratie. Und die Szene radikalisiert sich.

16.12.2022 | 44:49 min

AfD-Parteispitze distanziert sich von Ex-Abgeordneter

Die Parteispitze der AfD wusste nach eigenen Angaben nichts von möglichen Aktivitäten der früheren Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann im sogenannten Reichsbürgermilieu. "Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab" hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel.
"Der Verdacht wiegt sehr schwer", hieß es von der Berliner AfD-Vorsitzenden Kristin Brinker. Allerdings gelte auch für Malsack-Winkemann zunächst die Unschuldsvermutung. "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre sicher ein Parteiausschlussverfahren die Folge."
Am Gericht soll Malsack-Winkemann nicht mehr eingesetzt werden: Der Präsident des Berliner Landgerichts erließ eine Eilverfügung, der zufolge Malsack-Winkemann als Richterin der Zivilkammer ausscheidet, in der sie momentan eingesetzt ist. Demnach wurde der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts entsprechend geändert.
Quelle: dpa, EPD, AFP, AP, Reuters

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