FAQ

: Warum so viele Kinder gerade an RSV erkranken

von Katja Belousova
25.11.2022 | 15:54 Uhr
Angesichts vieler RSV-Fälle bei Kindern warnt die Divi vor "Katastrophenzuständen". Was hat es mit dem Virus auf sich? Wie wird es behandelt? Und wie akut ist die Situation?
Dieses Jahr spricht er von "Katastrophenzuständen", im vergangenen Jahr war von einem "Tsunami" die Rede: Die Zahl der Atemwegserkrankungen bei Kindern und ihre Behandlung in deutschen Kliniken bereiten Florian Hoffmann Sorgen.
Dabei verweist der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München vor allem auf ein Virus, das nicht nur in Deutschland, sondern auf der gesamten Nordhalbkugel für ein "dramatisches epidemisches Geschehen" sorge: das Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV).
Was hat es mit RSV auf sich? Warum erkranken gerade so viele Kinder daran? Und wie lässt es sich behandeln? Ein Überblick.

Reporterin Corinna Klee hat bei einem Experten ‎nachgefragt.

21.10.2022 | 05:20 min

Was ist RSV?

Bei RSV handelt es sich um einen Erreger, der Atemwegsinfektionen hervorruft. "Das war schon vor der Covid-19-Pandemie der häufigste virale Atemwegserreger bei jungen Kindern, die stationär behandelt wurden", erklärt Tobias Tenenbaum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Sana-Klinikum in Berlin-Lichtenberg. "In der Regel verläuft die Erkrankung mild. In etwa einem Prozent der Fälle trifft RSV die Kinder aber so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen", so Tenenbaum.
Vor allem von November bis April herrscht in Mitteleuropa RSV-Saison. Während der Corona-Pandemie kam es zum Teil aber bereits im Juli zu RSV-Wellen, weil die Saison durch Covid-Schutzmaßnahmen im Herbst und Winter quasi ausgefallen war - und sich dann in den Sommer verlagerte.

Was ist RSV?

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein weltweit verbreiteter Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter und einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen und Kleinkindern. "Meistens haben die Kinder dann eine sogenannte Bronchiolitis mit Husten, Fieber und bei schwereren Verläufen auch Atemnot", erklärt Matthias Kopp vom Inselspital in Bern.

Wie viele Kinder bekommen RSV?

Nach aktuellen Schätzungen kommen RSV-Atemwegserkrankungen weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1.000 Kindern im ersten Lebensjahr vor. Innerhalb des 1. Lebensjahres haben 50 bis70 Prozent und bis zum Ende des 2. Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine Infektion mit RSV durchgemacht. Eine langfristige Immunität besteht nicht. Reinfektionen sind häufig, insbesondere bei Erwachsenen mit regelmäßigem Kontakt zu Kleinkindern.

Wann tritt RSV normalerweise auf?

RSV-Infektionen treten zyklisch auf. In Mitteleuropa ist die Inzidenz von November bis April am höchsten (RSV-Saison), in den übrigen Monaten kommen sporadische Infektionen vor. Der Gipfel der RSV-Saison erstreckt sich über etwa vier bis acht Wochen und liegt meist im Januar und Februar, seltener auch im November und Dezember. In den letzten Jahren wurde außerdem ein jährlicher Wechsel dieser winterlichen RSV-Saison mit einer früheren Saison im September und Oktober beobachtet.

Wer sind die Risikogruppen?

"Ein erhöhtes Risiko für eine besonders schwere RSV-Bronchiolitis haben z.B. ehemalige Frühgeborene oder Kinder mit einem angeborenen Herzfehler", sagt Matthias Kopp vom Inselspital in Bern. Das gilt auch für Erwachsene mit kardialen oder pulmonalen Vorerkrankungen sowie alle immundefizienten und immunsupprimierten Personen. Besonders gefährdet sind auch Empfänger von Lungen- oder anderen Organtransplantaten.

Quelle: ZDF und Robert-Koch-Institut

Wen trifft das Atemwegsvirus?

RSV-Infektionen kommen in allen Altersgruppen vor. Bei älteren Säuglingen und Kleinkindern ist eine RSV-Infektion aber die häufigste Ursache von Erkrankungen der unteren Atemwege und von damit verbundenen Krankenhauseinweisungen.
RSV-Infektionen treten bei Frauen und Männern gleichermaßen auf. Schwere, mit Krankenhausaufenthalt verbundene RSV-bedingte Erkrankungen bei Kindern betreffen etwa doppelt so oft Jungen wie Mädchen.
Robert-Koch-Institut

Was sind Symptome? Und wie lange dauern sie an?

RSV äußert sich in den meisten Fällen durch typische Symptome einer Atemwegserkrankung wie Husten, Schnupfen, Halsschmerzen und Fieber. Zur Krankheitsdauer schreibt das Robert-Koch-Institut: "Meist dauert die Erkrankung etwa 3 - 12 Tage, wobei respiratorische Symptome, insbesondere Husten, über mehr als 4 Wochen anhalten können."
RSV-infizierte Personen können schon einen Tag nach der Ansteckung und noch vor Symptombeginn infektiös sein. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit beträgt in der Regel 3- 8 Tage.
Robert-Koch-Institut

Wie lässt sich RSV behandeln?

Die meisten RSV-Infektionen verlaufen harmlos und können zu Hause auskuriert werden. "Eine spezifische Therapie gibt es bei leichten Verläufen nicht", erklärt Tobias Tenenbaum. Eltern können aber - wie bei anderen Atemwegserkrankungen - darauf achten, dass ihr Kind viel trinkt, und, wenn nötig, gegen Fieber vorgehen. Zum Kinderarzt sollte man vor allem dann gehen, wenn sich die Atmung des Kindes verschlechtert.
Es ist wichtig, dass man ein gutes Auge auf die Atemsituation hat.
Tobias Tenenbaum, Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg
Kommen Kinder in seltenen Fälle wegen RSV ins Krankenhaus, sind sie dort häufig auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen, manchmal auch auf eine Atemhilfe.

Gibt es eine Impfung?

Bislang werden vor allem gefährdete Frühgeborene oder Kinder mit Vorerkrankungen durch eine Passiv-Impfung geschützt - etwa durch monoklonale Antikörper. "Es laufen aktuell aber Studien, die schauen, ob die Impfung auch für gesunde Kinder sinnvoll ist", erklärt Tobias Tenenbaum.

Wie akut ist die aktuelle Situation?

Dass die Zahl der RSV-Fälle im November ansteigt, ist nicht ungewöhnlich. Tobias Tenenbaum sieht aktuell eine "sehr hohe Krankheitslast". Vor allem bei Kleinkindern würden nun Infektionen nachgeholt, die während der Corona-Pandemie nicht durchgemacht wurden. Durch die Corona-Regeln ist die normale Auseinandersetzung des kindlichen Immunsystems mit Winter-Erkältungsviren in vielen Fällen ausgeblieben.
Ob das aktuelle Geschehen aber insgesamt schlimmer sei als im vergangenen Jahr, lasse sich bislang nicht sagen, so Tenenbaum. Zahlen dazu würden noch folgen. Klar sei aber: "Die Kinderkliniken und Kinderarztpraxen platzen aktuell aus allen Nähten - auch weil andere Atemwegsinfekte hinzukommen."
Die Erreger-Vielfalt ist so hoch, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt.
Tobias Tenenbaum, Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg
Das Gesundheitssystem stoße aber auch wegen des Personalmangels an seine Grenzen, gerade in den Kliniken gebe es Versorgungsengpässe im pflegerischen Bereich, sagt Tenenbaum. Hier sei die Politik gefragt:
Sie muss gewährleisten, dass die Infrastruktur in den Kinderkrankenhäusern finanziell und personell so ausstraffiert ist, dass sie dem Bedarf gerecht werden.
Tobias Tenenbaum, Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg
Gleichzeitig müsse der Beruf der Kinderkrankenpflege wieder gestärkt werden, es bräuchte mehr Spezialisierung. Die aktuelle Ausbildung von Generalisten würde die Probleme "signifikant" verschärfen.

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