: Digitale Landwirtschaft - Fluch und Segen

von Christine Elsner
23.01.2023 | 16:38 Uhr
Die Digitalisierung ist aus der Agrarwirtschaft nicht mehr wegzudenken. Oberstes Ziel: Ertragssteigerung. Artenverlust und Klimawandel verlangen aber nachhaltigere Technologien.
Die Digitalisierung in der Landwirtschaft könnte auch der Umwelt zugute kommen.Quelle: picture alliance/All Canada Photos
Um den wachsenden Bedarf an qualitativ hochwertigen Produkten zu decken, setzen die Landwirte auf digitale Innovationen wie etwa Drohnen, Agrar-Apps und GPS-gesteuerte Roboter. Die moderne Technologie hat die Arbeitsabläufe auf dem Feld sowie im Stall grundlegend verändert. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) beobachtet diese Entwicklung aber mit Skepsis.
Ob und wie die Digitalisierung zur Bewältigung der drängenden globalen Krisen wie dem Klimawandel und Biodiversitätsverlust beitragen kann, ist offen.
Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamt für Naturschutz
Vor diesem Hintergrund hat sie eine Studie in Auftrag gegeben, mit der Fragestellung, inwieweit eine digitalisierte Agrarwirtschaft signifikante Nutzen für die biologische Vielfalt bringt. Wissenschaftler des Leibnitz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) sowie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) haben die Studie durchgeführt.
   

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Kluft zwischen Theorie und Praxis in der Landwirtschaft

Wenn weniger Düngemittel gezielter ausgebracht werden, entlastet das die Ökosysteme in Böden und Gewässern. Wenn leichtere Roboter und Landmaschinen zum Einsatz kommen, wird der Boden weniger stark verdichtet - so lautet die Formel der Digitalisierung.
Die Realität aber sieht anders aus. Denn die Forschenden vom IÖW und ZALF stellen fest: Aktuell werden technische Neuerungen in der Agrarbranche meist nicht für ökologische Verbesserungen entwickelt, sondern in erster Linie für die Ertragssteigerung oder Arbeitserleichterungen. "Wenn sich dieser Trend fortsetzt, rückt eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft in weite Ferne", meint Lea Kliem vom IÖW.
Die Autoren der Studie stellen zudem fest, dass die Digitalisierung Rebound-Effekte hat. Beispiel Wassermanagement: Die Bewässerung eines Feldes wird durch digitale Technik effizienter. Doch die damit einhergehende Einsparung wird wieder wettgemacht. Denn es werden mehr Nutzpflanzen angebaut, das heißt der Wasserbedarf ist höher als zuvor. "Auch schwer zugängliche Nischenflächen, die derzeit der Natur überlassen bleiben, können durch Feldroboter bewirtschaftet werden", ergänzt Kliem.    

Politik könnte Digitalisierung in der Landwirtschaft fördern

Die Studie empfiehlt daher eine Reform der Förderprogramme. Nur mit Hilfe einer "smarten" Landwirtschaft ließen sich Schutz und Erhalt der Biodiversität verbessern. "Erst wenn Biodiversitätsschutz als Leistung für das Gemeinwohl gewürdigt wird, werden Landwirt*innen digitale Technologien gezielt dafür einsetzen", sagt Sonoko Bellingrath-Kimura, Co-Autorin der Studie.

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Zudem sollte die Politik nur solche digitalen Innovationen fördern, die klare Potenziale für Natur- und Umweltschutz bieten. Übersetzt heißt das: Keine Förderung für hochtechnisierte Roboter, die unzugängliche Naturflächen urbar machen. Und auch kleinen Betrieben soll smarte Landwirtschaft ermöglicht werden.

Botschaft an die Grüne Woche

"Gewinner der Digitalisierung sind bisher die Agrarkonzerne, die die Technologien bereitstellen und große Daten an Nutzerdaten auswerten können", kritisieren die Autoren der Studie. Das festige die ökonomische Vormachtstellung der Konzerne.
Dadurch gäbe es immer mehr Hightech für immer größere Agrarbetriebe. "Dabei braucht Artenvielfalt auch eine Vielfalt an Betrieben und Anbausystemen", so die Autoren. Eng verknüpft sei eine Umwandlung zur nachhaltigen, smarten Technik sowohl auf dem Feld als auch im Stall.
Die anlässlich der Grünen Woche in Berlin veröffentlichten Studie kommt zum Schluss: Ein effizienterer Einsatz von Ressourcen allein reicht nicht aus, um substanzielle Verbesserungen im Klima- und Biodiversitätsschutz zu erzielen.
Klar ist, dass wir das Ziel einer nachhaltigen Transformation der Landwirtschaft nur erreichen, wenn der Natur- und Umweltschutz auch für die digitalisierte Agrarwirtschaft zum Leitziel wird.
Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamt für Naturschutz

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