Interview

: "Kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft"

von Michael Kniess
23.02.2023 | 05:49 Uhr
Christiana Bukalo ist in München geboren, doch in ihren Ausweispapieren steht unter Staatsangehörigkeit: XXA. Einblicke in das herausfordernde Leben als staatenloser Mensch.
Christiana Bukalo ist eine von rund 122.000 staatenlosen Personen in Deutschland. Quelle: Benjamin Jenak
Rund 122.000 Menschen leben in Deutschland ohne Staatsangehörigkeit. Sie sind staatenlos. Weltweit sind es laut Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) etwa zehn Millionen. Christiana Bukalo ist selbst davon betroffen und spricht im ZDF-Interview von ihrem Leben mit großen Schwierigkeiten.
ZDFheute: Wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass Sie staatenlos sind?
Christiana Bukalo: Das Bewusstsein dafür hat sich schleichend und mit zunehmendem Alter entwickelt. Es gibt einen Unterschied zwischen den Momenten, in denen man merkt, dass man nicht die gleichen Rechte hat wie die anderen und dem Moment, in dem man versteht, warum das so ist.
Während der Schulzeit durfte ich zum Beispiel bei Klassenfahrten ins Ausland entweder gar nicht mit oder nur mit Sondergenehmigung der Ausländerbehörde.
Christiana Bukalo
Das erste Mal verstanden, dass all das mit der Staatenlosigkeit zusammenhängt, habe ich mit 18, als ich einen so genannten Reiseausweis erhalten habe. Im Begleitschreiben von der Behörde hatte ich den Begriff erstmals schwarz auf weiß vor Augen.
Anstatt Menschen über ihre Rechte und Möglichkeiten aufzuklären, wird man alleingelassen mit dem Kürzel XXA und muss selbst herausfinden, was dieses bedeutet.

Christiana Bukalo ...

... ist 29 Jahre alt, in München geboren, aber selbst staatenlos. Sie ist Gründerin der Plattform und Nonprofit-Organisation "Statefree". Sie setzt sich für die Rechte staatenloser Menschen ein und will ihnen einen Austausch ermöglichen.
ZDFheute: Was bedeutet es für Sie heute im Alltag, staatenlos zu sein?
Bukalo: Staatenlosigkeit ist im Alltag sehr präsent. Das beginnt bei Kleinigkeiten, wie der Tatsache, dass ich Schwierigkeiten habe, meine Identität bei der Eröffnung eines Bankkontos oder Beantragung einer Kreditkarte nachzuweisen.
Es betrifft aber auch lebenseinschneidende Dinge, wie das Thema "Heirat", das für mich beispielsweise schwierig werden könnte, da ich keine Geburtsurkunde habe. Dasselbe gilt fürs Reisen: Für die meisten Länder benötige ich ein Visum. Das wiederum kann ich aber leider nicht ohne Weiteres beantragen.
Der größte Einschnitt ist letztendlich, dass ich als staatenloser Mensch nicht wählen darf.
Während 100 Prozent der politischen Entscheidungen Einfluss auf mich und mein Leben haben, habe ich keinerlei Einfluss darauf, von wem diese Entscheidungen getroffen werden.
Christiana Bukalo
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ZDFheute: Sie haben die Plattform und Nonprofit-Organisation "Statefree" gegründet. Was ist die Idee dahinter?
Bukalo: Zunächst war die Hauptidee, die angesprochenen Informationslücken zu schließen, indem man eine Community schafft, in der Staatenlose aus aller Welt ihre Erfahrungen teilen und sich so gegenseitig unterstützen können. Inzwischen gehen wir einen Schritt weiter:
Wir wollen staatenlosen Menschen das Recht auf ihre Rechte ermöglichen und dafür gemeinsam mit ihnen politische Lösungen anstoßen.
Christiana Bukalo
Dabei gehen wir ins Gespräch mit Politiker*innen, entwickeln aber auch kreative, künstlerische Projekte, um dafür zu sorgen, dass dieses Thema in der Gesellschaft wahrgenommen wird.
ZDFheute: Haben Sie das Gefühl, dass es in der Gesellschaft und in der Politik ein Bewusstsein für das Thema "Staatenlosigkeit" gibt?
Bukalo: Noch vor zwei Jahren hätte ich darauf ganz klar mit "Nein" geantwortet. Inzwischen würde ich sagen, dass sich ein solches Bewusstsein entwickelt, dieses ist aber lange noch nicht groß genug. Ich bin aber davon überzeugt, dass Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen kann, wenn es um die gesellschaftliche Integration von staatenlosen Menschen geht.
ZDFheute: Was muss sich Ihrer Ansicht nach dafür als Erstes ändern?
Bukalo: Ein konkreter Ansatz ist sicherlich die anstehende Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Hier besteht die große Chance, Staatenlose von vornherein mitzudenken und dafür zu sorgen, dass Menschen, die in Deutschland geboren wurden oder bereits lange hier leben, endlich ganzheitlich Teil der Gesellschaft werden können.
Denn wir können das Thema nicht länger vor uns herschieben. Die Zahl der staatenlosen Menschen in Deutschland steigt stetig. Es sind inzwischen mehr als 122.000.
ZDFheute: Was macht es mit Ihnen, in einem Land zu Hause zu sein, dass Sie de facto nicht haben möchte?
Bukalo: Ich hatte dadurch nie das Gefühl, vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft zu sein. Das ist schade, weil ich bis dato mein ganzes Leben hier verbracht habe.
Inzwischen treibt mich vor allem die Sorge um die Kinder um, die bereits als staatenlose Menschen in Deutschland leben oder in Zukunft als solche hier geboren werden.
Christiana Bukalo
Sie sollen nicht auch ihre prägenden Jahre damit verbringen müssen, zu hinterfragen, inwiefern sie hier gewollt sind, anstatt sich darauf konzentrieren zu können, wie sie sich entfalten und in Deutschland einbringen können.

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