: Mehr Bedürftige, weniger Lebensmittel

10.12.2022 | 12:40 Uhr
Hohe Energiekosten, teure Lebensmittel - die Folgen dieser Entwicklung sehen auch die Tafeln deutlich. Viele Menschen, die sonst noch über die Runden kamen, brauchen jetzt Hilfe.
Die Tafeln verzeichnen einen enormen Andrang, vielerorts müssen sie Bedürftige abweisen.Quelle: dpa
Schon eine Stunde vor Öffnung der Lebensmittelausgabe des Arbeiter-Samariter-Bundes in Hamburg-Jenfeld stehen die ersten an einem nasskalten Tag hinter Flatterband an.
Während sie mit ihren Tüten oder Einkaufstrolleys geduldig warten, bis eine grüne Ampel Einlass gewährt, bauen drinnen Ehrenamtliche Kisten auf - gefüllt mit Salat, Käse oder Brot. In Kooperation mit der Hamburger Tafel, die ihre Zentrale nebenan hat, können Bedürftige sich hier einmal wöchentlich gespendete Lebensmittel abholen.

Viele Tafeln verhängen Aufnahmestopp

So wie viele der Tafeln in Deutschland hat auch diese Ausgabestelle einen Aufnahmestopp verhängt. Denn der Ukraine-Krieg und starke Preissteigerungen haben einen enormen Zulauf ausgelöst.
Die Zahl der Bedürftigen nehme zu, während gleichzeitig weniger Lebensmittel gespendet, würden, sagte der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln, Jochen Brühl, in Berlin.:
Die Lage der Tafeln in Deutschland ist so herausfordernd wie noch nie zuvor in der 30-jährigen Geschichte.
Jochen Brühl, Vorsitzender des Dachverbandes der Tafeln
Menschen in der Grundsicherung, Alleinerziehende, Rentner, Geflüchtete, Obdachlose - mehr als zwei Millionen Menschen kommen den Angaben zufolge zu den mehr als 960 Tafeln in Deutschland.
In den vergangenen Monaten ist eine neue Gruppe hinzugekommen: Immer mehr Menschen aus dem Niedriglohn-Sektor, die sonst immer noch knapp über die Runden gekommen seien, seien plötzlich auf Hilfe angewiesen, berichtet Brühl.

Hamburger Tafel: Scham, zur Tafel zu gehen

Auch in Hamburg ist das spürbar. Viele spürten Scham, zur Tafel zu gehen, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Tafel, Jan-Henrik Hellwege.
Es ist gesellschaftlich tabu, finanzielle Not zu zeigen.
Jan-Henrik Hellwege, Hamburger Tafel
Partnereinrichtungen übernehmen in Hamburg die Ausgabe an registrierte Bedürftige. Fast alle 31 Lebensmittel-Ausgabestellen haben laut Hellwege einen Aufnahmestopp verhängt. Bei der Lebensmittelausgabe des Arbeiter-Samariter-Bundes in Jenfeld rufen täglich etwa fünf Menschen an, die man erst einmal vertrösten müsse, berichtet Koordinatorin Daniela Skaza.

Atmosphäre möglichst wie in einem normalen Laden

Maike Funk kommt schon seit drei Jahren zu dieser Ausgabestelle. Dieser Schritt sei ihr anfangs sehr schwer gefallen, erinnert sich die Frührentnerin. Am Eingang zeigt sie einen Nachweis vor und zahlt zwei Euro als kleinen Betrag für die Nebenkosten der Aktion.
Die Ehrenamtlichen versuchen für die Bedürftigen, die sie Kunden nennen, eine Atmosphäre wie in einem Geschäft zu schaffen. "Butter?", fragt eine Mitarbeiterin, als Funk vorbeikommt. "Oh ja, Kekse backen", freut sich die 60-Jährige und verstaut die Ware in ihren Tüten.

Tafeln bekommen weniger Lebensmittel

"Das Wichtigste ist es, den Menschen frische Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, damit sie richtig kochen können", erklärt Tafel-Geschäftsführer Hellwege. Am Lager der Hamburger Zentrale stapeln sich überschüssige Lebensmittel, die Händler und Hersteller abgegeben haben. Doch es sind weniger als in früheren Zeiten.
Schon im April diesen Jahres waren die Tafeln bundesweit am Limit:
"Schon länger bemüht sich der Handel durch verschiedene Strategien, weniger zu verschwenden", sagt Brühl vom Dachverband der Tafeln. "Durch den Krieg sind zudem Logistikketten gestört. Deshalb gibt es weniger Überschüsse."
Die Menge der Lebensmittel, die an von Armut Betroffene ausgegeben wird, hat nach Angaben des Dachverbandes deshalb vielerorts reduziert werden müssen. Zudem seien die Tafeln selbst von den Preissteigerungen etwa für Energie und Transport betroffen. Bereits seit Beginn der Pandemie müssten die Ehrenamtlichen viel leisten - oft spüre man bei den Helfern Erschöpfung. "Die Tafeln sind am Limit", sagt Brühl.
Quelle: dpa

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