: "Klimaterroristen" zum Unwort gekürt

10.01.2023 | 08:19 Uhr
Der Begriff "Klimaterroristen" ist Unwort des Jahres 2022. Damit würden Menschen diskreditiert, die sich für Klimaschutz einsetzten, erklärte eine Jury aus Sprachwissenschaftlern.
Klimaaktivisten in der Münchner Innenstadt (Archivbild).Quelle: dpa
Das "Unwort des Jahres" 2022 lautet "Klimaterroristen". Das gab die sprachkritische "Unwort"-Aktion am Dienstag in Marburg bekannt. Der Ausdruck sei im öffentlichen Diskurs benutzt worden, um Aktivisten und deren Proteste für mehr Klimaschutz herabzusetzen, begründete die Jury ihre Wahl.
Sie kritisierte die Verwendung des Begriffs, weil Aktivistinnen und Aktivisten mit Terroristen "gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden". Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt, rügte die Jury.
Die seit 1991 stattfindende "Unwort"-Wahl soll auf einen unangemessenen Sprachgebrauch aufmerksam machen und so für einen bedachten Umgang mit Begriffen sensibilisieren.

"Sozialtourismus" auf Platz zwei gelandet

Auf Platz zwei setzte die mehrheitlich aus Sprachwissenschaftlern bestehende Jury den Ausdruck "Sozialtourismus", der 2013 zum "Unwort" gekürt worden war. CDU-Chef Friedrich Merz hatte das Wort im vergangenen September im Zusammenhang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine verwendet und sich später dafür entschuldigt.
Die Jury sah in dem Wortgebrauch "eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen". Zudem verschleiere das Wort ihr prinzipielles Recht darauf.
Auf Platz drei kam die Formulierung "defensive Architektur", die als irreführend und beschönigend kritisiert wurde. Der Ausdruck bezeichnet eine Bauweise, die verhindert, dass sich etwa Wohnungslose länger an öffentlichen Orten niederlassen können.

1.476 Einsendungen mit 497 verschiedenen Begriffen

Das "Unwort des Jahres" wurde nach verschiedenen Kriterien aus Vorschlägen ausgewählt, die Interessierte bis zum 31. Dezember 2022 eingereicht hatten. Insgesamt gab es 1.476 Einsendungen mit 497 verschiedenen Begriffen, von denen knapp 55 den Kriterien der Jury entsprachen.
In Frage kommen Worte, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind. Bei der "Unwort"-Kür kommt es nicht darauf an, wie oft ein Begriff vorgeschlagen wurde.
2021 war die Wahl auf "Pushback" gefallen.

2022: "Klimaterroristen"

Die Verwendung des Begriffs kritisiert die Jury, weil Aktivistinnen und Aktivisten mit Terroristen "gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden". Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.

2021: "Pushback"

Der aus dem Englischen stammende Begriff bedeutet zurückdrängen oder zurückschieben und wird im Zusammenhang mit möglichen illegalen Zurückweisungen von Migranten an der EU-Außengrenzen verwendet. Die Jury kritisiert die Nutzung des Ausdrucks, "weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess" beschönigt werde.

2020: "Corona-Diktatur" und "Rückführungspatenschaften"

Erstmals gibt es ein "Unwort"-Paar: "Corona-Diktatur" sei ein Begriff von sogenannten Querdenkern und rechten Propagandisten, um die Politik zur Eindämmung der Pandemie zu diskreditieren.

"Rückführungspatenschaften" sei zynisch und beschönigend. Mit Rückführung sei nichts anderes gemeint als Abschiebung und die Patenschaft sei ein eigentlich positiv besetzter Begriff.

2019: "Klimahysterie"

Mit dem Wort werden nach Auffassung der Jury Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert.

2018: "Anti-Abschiebe-Industrie"

Der Ausdruck "Anti-Abschiebe-Industrie" wurde 2018 durch den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag eingeführt. Laut Jurymitglied Janich zeigt sich dadurch "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern."

2017: "Alternative Fakten"

Die Bezeichnung "alternative Fakten" ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen, so die Jury.

2016: "Volksverräter"

Das Schlagwort werde "antidemokratisch und diffamierend verwendet", begründete eine Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, die Entscheidung.

2015: "Gutmensch"

Der Vorwurf diffamiere Hilfsbereitschaft und Toleranz pauschal als naiv und dumm, begründet die "Unwort"-Jury ihre Wahl.

2014: "Lügenpresse"

Diese pauschale Verurteilung "verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit", so die Jury.

2013: "Sozialtourismus"

Der Ausdruck diskriminiert laut Jury Menschen, "die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu".

2012: "Opfer-Abo"

Die "Unwort"-Jury kritisiert, der Begriff stelle Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann hatte die Wortschöpfung, die seine Frau Miriam erfunden habe, unter anderem in einem "Spiegel"-Interview verwendet. Darin ergänzte er: "Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden."

2011: "Döner-Morde"

Dieser Begriff ist für die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Terroristen verwendet worden. Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, erklärt die Jury.

2010: "Alternativlos"

Das Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei.

2009: "Betriebsratsverseucht"

Damit würden Arbeitnehmer-Interessen in völlig unangemessener Weise als Seuche dargestellt.

2008: "Notleidende Banken"

Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf.

(Quelle: dpa)

Quelle: dpa

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