: Warum der Veggie-Day immer wieder polarisiert

von Max Schwarz
05.02.2023 | 13:50 Uhr
Einen Tag in der Woche ohne Fleisch - dieser Vorschlag sorgt immer wieder für heftigen Streit. Ernährungssoziologe Stefan Wahlen erklärt, warum fleischfreie Ernährung polarisiert.

In diesem Pflegeheim wird jeden Mittwoch nur noch vegetarisch gekocht. Bei den Bewohnern kommt die Umstellung gut an, während Patientenschützer den Veggie-Day harsch kritisieren.

25.01.2023 | 01:21 min
Beim Thema Ernährung geht es häufig um unseren Körper, die richtigen Nährstoffe und was in welcher Menge gesund ist. Doch was wir essen, hat auch eine politische und kulturelle Dimension. Das zeigt sich aktuell bei der Diskussion um einen Pflegeheimbetreiber in Baden-Württemberg. Ab sofort gibt es mittwochs in all seinen Pflegeeinrichtungen ausschließlich vegetarische Gerichte. Patientenschützer sind empört und finden, es sei eine Unverschämtheit, über die Köpfe der Bewohnerinnen und Bewohner hinweg zu entscheiden.
Stefan Wahlen, Professor für Ernährungssoziologie an der Universität Gießen, beobachtet seit Jahren die Debatten um Veggie-Days und erkennt ein Muster:
Ob ich Fleisch esse oder nicht, deutet auf meine moralische Richtschnur hin. Anhand dieser Moral und was wir essen, lässt sich also eine ganze Bandbreite an Meinungen und Einstellungen ablesen.
Stefan Wahlen, Professor für Ernährungssoziologie

Fleisch als Symbol

Besonders beim Fleischkonsum gehen die Meinungen weit auseinander. Um die Debatten darüber besser zu verstehen, sei es wichtig, Fleisch als ein Symbol zu betrachten, unterstreicht Wahlen.
"Zum einen ist Fleisch immer noch ein Statussymbol, denn früher konnten sich nur die Wenigsten regelmäßig Fleisch leisten", so Wahlen. "Zum anderen kommt bei Fleisch auch immer die Männlichkeit zu tragen".
Fleischfreie Ernährung polarisiert, weil sie als weniger männlich gilt und mit einem niedrigeren sozialen Status verbunden ist.
Stefan Wahlen, Professor für Ernährungssoziologie
Viele würden sich zudem stark mit ihrem Fleischkonsum beziehungsweise ihrem Fleischverzicht identifizieren. Die Ernährungsform sei eine Art sich mitzuteilen, erklärt der Soziologe: "Der Mensch ist eben, was er isst."

Nicht nur die Verbraucher sind in der Pflicht

Ein Veggie-Day erscheint daher als Zwang zum Fleischverzicht und somit als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Eine Reaktion, die der Soziologe grundsätzlich nachvollziehen kann. Spannender sei es, sich dagegen bewusst zu machen, wie stark die Politik bereits an vielen Stellen in das Ernährungssystem eingreift. Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung:
Es wird oft gefordert, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Fleischkonsum reduzieren sollen, aber es wird selten gesagt, dass die Fleischproduzenten ihre Produktionsmethoden verändern oder die Produktion reduzieren müssen.
Stefan Wahlen, Professor für Ernährungssoziologie

Sinnvoller Fleisch-Streit

In Zukunft alle gesellschaftlichen Akteure in die Verantwortung zu nehmen, wäre laut Wahlen ein Ansatz, um die Auseinandersetzungen über das Fleisch produktiv zu nutzen. "Es kann nicht sein, dass man nur die Extreme hat", sagt Wahlen. "Auf der einen Seite die Fleischliebhaber, auf der anderen Seite die Fleischabstinenzler. Alle müssen hier einen Schritt aufeinander zugehen."
Sein Vorschlag: weniger Moral, mehr sachliche Argumente. Ob das in Zukunft wirklich funktioniert, möchte Stefan Wahlen nicht vorhersagen. Aber er hofft, dass in einigen Jahren die Shitstorms über einen fleischfreien Tag in der Woche verhallt sind.
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