: Wale und Kühlschränke - Gründe zur Hoffnung

von Colin Devey
23.10.2022 | 06:34 Uhr
Es gibt wieder mehr Wale! Klingt wie eine Nachricht unter vielen. Bei genauerem Hinschauen zeigt sie aber: Die Menschheit kann durchaus weitreichende, positive Wirkungen entfalten.

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Ich bin an sich ein sehr positiv denkender Mensch, forsche allerdings an einem Meeresforschungszentrum, wo wir viel mit Plastik im Meer oder den Risiken und Folgen der globalen Erderwärmung zu tun haben. Das sind düstere Themen und es ist oft frustrierend zu sehen, wie wenig die Regierungen der Welt dagegen unternehmen. Zum Verrückt werden!
Und dann tauchen (in dem Fall buchstäblich!) Studien wie die Walbeobachtungen von "Whales Bermuda" auf. Diese "Forschungsorganisation" besteht aus einem einzigen Menschen ohne formelle wissenschaftliche Ausbildung: Andrew Stevenson. Andrew ist 71 Jahre alt und war früherer Banker. Doch seit 20 Jahren verbringt er zwischen Dezember und April jede verfügbare Stunde auf dem Wasser und beobachtet Buckelwale, die in Bermuda einen "Migrationsboxenstopp" zwischen dem Nordatlantik und der Karibik einlegen. Von jedem vorbeiziehenden Tier fotografiert Andrew die schwarz-weißen Farbmuster auf der Unterseite ihrer Schwanzflosse.

Einzigartige Fotosammlung angelegt

Die Farbmuster der Flosse sind einzigartig und der "Fingerabdruck" eines Wals; mit Hilfe des Musters lässt sich jeder Wal eindeutig identifizieren. In jeder Saison sammelt Andrew Bilder von bis zu 200 unterschiedlichen Flossen. Über die Jahre ist es ihm so gelungen eine einzigartige Flossenunterseiten-Fotosammlung anzulegen. Zwar gibt es andere Personen im Atlantik, die Buckelwalflossen fotografieren, nur hat niemand so gigantische Einsatzzeiten wie Andrew. Er ist Rentner und kann nicht anders...

Nicht nur die Flossen der Wale sind unterschiedlich – auch ihr Gesang hat eine einzigartige Note. Endlich haben Forscher ihren Sprachcode geknackt und lernen daraus Erstaunliches.

01.04.2021 | 43:48 min

Warum die Walpopulation wieder ansteigt

Aber eine umfangreiche Fotosammlung bringt noch niemanden weiter. Deswegen hat Andrew Stevenson seinen Bilderschatz nun zusammen mit Kolleg*innen aus Edinburgh statistisch ausgewertet. Die daraus resultierenden Daten zeigen eindeutig, dass die Buckelwalpopulation um Bermuda während der letzten 20 Jahre langsam, aber stetig gewachsen ist. Auch wenn nur 15 Prozent von ihnen häufiger als einmal bei in der Gegend gesichtet wurde.
Der Grund für die Walzunahme ist mit ziemlicher Sicherheit im Jahr 1986 zu suchen: Vor inzwischen 36 Jahren entschied ein Großteil der Nationen, mit dem Walfang aufzuhören. Die Auslöser dieser Entscheidung waren sicherlich komplex und vermutlich ein Gemisch aus Emotionen in der Bevölkerung, fehlender Rentabilität und die Verfügbarkeit von Ersatzprodukten für beispielsweise Waltran, -fleisch oder -knochen. Das Moratorium zeigt jedenfalls Wirkung, die Wale kommen wieder.

Weniger Wale bedeutet weniger Algen und weniger Krill

Und das ist nicht nur eine gute Nachricht für die Wale und uns, es ist vor allem auch eine gute Nachricht für die Ozeane. Denn neue Forschungsergebnisse aus dem südlichen Ozean um die Antarktis zeigen, dass die Anwesenheit der Riesensäuger die Menge an Krill im Ozean erhöht – obwohl die Wale Krill fressen! Dieses scheinbar widersprüchliche Ergebnis ist darauf zurückzuführen, dass die Bartwale (zu denen die Buckelwale gehören) mit ihrem Kot, der aus unverdaulichen Resten von Krill besteht, die Ozeanoberfläche düngen. Insbesondere Eisen, das im Krill enthalten ist und spielt für das Wachstum von Algen – die Hauptnahrungsquelle der Krill – eine zentrale Rolle.
Fehlen die Wale, stirbt der Krill einen natürlichen Tod und sinkt auf den Meeresgrund, samt dem in ihm enthaltenen Eisen. Die ans Licht der Wasseroberfläche gebundenen Algenpflanzen kommen an das für sie elementare Eisen nicht mehr ran und bleiben ungedüngt. In der Folge gibt es weniger Algen und dann weniger Krill, eine Abwärtsspirale, die zu einem viel weniger produktiven Ozean führt. Kommen die Wale wieder, wird mit ihrem Kot, den sie nah der Oberfläche absondern und mit Flossenschläge weit verteilten, mehr Eisen für die Algen verfügbar. Das Ökosystem Ozean gedeiht.

Der Zustand der Weltmeere lässt sämtliche Alarmglocken schrillen. Noch ist es nicht zu spät, sie zu retten. Mit unkonventionellen Methoden könnte man die wichtigen Funktionen der Meere für unser Ökosystem erhalten.

03.08.2021 | 29:53 min

Ausdünnen des Ozonlochs gestoppt

Die Geschichte der Walbeobachtungen um Bermuda gibt mir deswegen zwei Gründe zur Hoffnung. Zum einen: Wenn Menschen entscheiden, dass sie durch Verzicht ihre Umwelt zum Positivem verändern wollen, kann das klappen. Etwas ähnliches haben wir zum Beispiel schon beim Ozonloch erlebt: Hier konnte durch einen globalen und fast einstimmigen Verzicht auf bestimmte Kühlmittel unter anderem in Kühlschränken ein weiteres Ausdünnen der Ozonschicht verhindert werden.
In beiden Fällen wurde die Entscheidung durch die Verfügbarkeit von Alternativen vereinfacht, der "Verzicht" war in Realität nur die Bereitschaft auf eine Alternative auszuweichen. Solche Alternativen gäbe es heutzutage auch bei einem unserer größten Probleme – der nachhaltigen Energieversorgung. Ich bin daher mittlerweile voller Hoffnung, dass wir die Kehrtwende schaffen.
Zum anderen zeigt die Walbeobachtung um Bermuda, dass auch in der globalisierten und hoch technologisierten Forschung der einzelne Überzeugungstäter etwas Einzigartiges leisten kann. Der Mensch kann sowohl kollektiv als auch individuell über sich hinauswachsen, überall auf der Welt - eine großartige Botschaft in diesen turbulenten Zeiten.  

Prof. Devey moderiert Asien-Doku

Im Terra-X-Sechsteiler "Unsere Kontinente” moderiert Prof. Colin Devey die Folge "Asien”. Er nimmt die Zuschauer*innen mit auf die Reise durch den größten und extremsten aller Kontinente, und leitet geologisch her, wie Asien wurde, was es ist – und wie Menschen es geschafft haben auch hier, in den zum Teil unwirtlichsten Regionen der Welt, eine Heimat zu finden.

Sendetermin: Sonntag, 23.Oktober um 19:30 Uhr im ZDF oder jederzeit in der Mediathek.

Asien, der größte Kontinent der Erde, überbietet sich in Superlativen: Er reicht von Sibirien im Nordosten bis zum Suezkanal im Südwesten und prägt die Entwicklung der Menschen und ihren Kulturen. Präsentiert von Professor Colin Devey.

23.10.2022 | 43:37 min

Prof. Colin Devey ...

... ist Geologe, Professor für Ozeanvulkanismus am GEOMAR und Terra-X-Moderator. Er suchte schon als Vierjähriger nach Mineralien auf den Halden der Blei- und Zinkminen in seiner Heimat Nordengland. Sein beruflicher Werdegang war damit festgeschrieben – und hat ihn nach seinem Geologie-Studium über Stationen in Oxford und Nancy nach Kiel geführt. Inzwischen blickt er auf 30 Jahre Forschungsaktivität und mehr als 20 Forschungsfahrten in den verschiedenen Weltmeeren zurück. Seine Leidenschaft für Steine und das Meer ist geblieben. Fast genauso leidenschaftlich spricht Devey aber auch von seinem Stubentiger und seinen Bienen.

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