: Das Ahrtal: Deutschlands größte Baustelle

von Marion Geiger, Rech
26.11.2022 | 14:29 Uhr
Zu Gast im Katastrophengebiet, vier Wochen im Ahrtal. Wir sind unterwegs zwischen Dorsel und Sinzig - und möchten erfahren, wie es den Menschen hier geht, 16 Monate nach der Flut.
Das Ahrtal leuchtet, als wir ankommen. In den Weinbergen über Rech ist die Welt heil geblieben, die Sonne scheint und das Laub der Rebstöcke glüht in Orange, Rot und Gelb. Die Region war ein touristischer Hotspot vor der Flut. Jetzt aber sind unten am Fluss die Orte verwüstet, immer noch.

Flut-Spuren noch lange sichtbar

Es hat etwas Unwirkliches hierher zu kommen. Zu sehen, wo überall das Wasser gewesen sein muss, in welch ungeheuren Mengen und mit welcher Kraft. In den Dörfern und Städten entlang der Ahr gibt es ein Nebeneinander von Ruinen und schon instandgesetzten Häusern, Brachen, wo abgerissen werden musste, einige Neubauten, vor allem aber Gebäude, in denen saniert wird. Reste alter Steinbogenbrücken, vom Wasser zerfetzt. Aufgerissene Straßen. Überall das Geräusch von Bauarbeiten. Bagger, Presslufthämmer. "Wir sind Deutschlands größte Baustelle", sagen die Leute hier.
In der Altstadt von Ahrweiler zeichnet sich an manchen Fassaden immer noch die braune Kante ab, der Höchststand der Schlammflut vom letzten Jahr. Das Erdgeschoss der Häuser ist oft dunkel, teils vernagelt mit Spanplatten. Wo Läden und Restaurants waren, sind nur noch entkernte Räume. Doch es gibt auch viele Neueröffnungen, herausgeputzte Geschäfte und Cafés, städtisches Leben kehrt zurück. Die Menschen, denen wir begegnen, schwanken zwischen Aufbruch und Erschöpfung.
Überblick über das AhrtalQuelle: ZDF

Für viele zählt nur die "Flucht nach vorn"

Parthena Amanatidis findet erschreckend, wie sehr "es mittlerweile Alltag geworden ist, dass ich in einer Geisterstadt wohne." Für Patrick Groß ist belastend, dass der Wiederaufbau so lange dauert.
Wir hätten gedacht, dass es schneller geht und die Läden früher aufmachen.
Patrick Groß
"Flucht nach vorn ist das Credo", meint Dominik Schlich. Es müsse weitergehen und er wolle "das Beste draus machen."
Der Wiederaufbau wird Jahre dauern, so viel steht fest. Staatliche Hilfen sind versprochen, doch Betroffene stöhnen über die Bürokratie bei den Antragsverfahren. Immer wieder hören wir, dass Handwerker fehlen. Die Einheimischen kämpfen um Termine mit den richtigen Gewerken, auch das macht den Neustart für viele zäh und schleppend.

Im Ahrtal braucht es viel Geduld

Judith Tauchmann erzählt, ihr Haus würde auch dieses Jahr nicht mehr fertig. "Es ist alles sehr langwierig", sagt sie, "wir brauchen langen Atem, viel Geduld und starke Nerven".
Ich hoffe, dass wir genügend Luft haben durchzuhalten und nicht sagen: Komm wir hauen ab.
Reinhard Krause
Sehen Sie hier ein frontal spezial zum Jahrestag der Flut:

Was passiert, wenn es wieder passiert?

05.07.2022 | 45:05 min
Und dann steckt noch die Frage in den Köpfen, was beim nächsten Hochwasser passiert.
Ich habe ein Stück weit Angst, dass sich das nochmal wiederholen könnte. Aber verhindern kann ich‘s nicht und deswegen: Ich muss es aushalten.
Klaudia Diewald
Seit der Katastrophe am 14. und 15. Juli letzten Jahres haben wir in vielen Sendungen des ZDF über die Flut und ihre Folgen berichtet. Nun werden wir in einem Zweier-Team für vier Wochen im Ahrtal wohnen und arbeiten, sind gespannt auf den Alltag hier. Wir möchten weiter mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen, die Themen aufgreifen, die sie umtreiben.
Sehen Sie hier eine 3-D-Darstellung von der Ahr-Flut:

Die Animation zeigt die unvorstellbare Wasserwand im Juli 2021 im Querschnitt.

14.07.2022 | 00:56 min
Wir, das sind Christoph Timm, Kameramann und Cutter, und ich, Marion Geiger, Reporterin. Welche Geschichte liegt Ihnen und Euch am Herzen? Wo hakt es beim Wiederaufbau und was macht Mut? Schreiben Sie uns an: zdfin@zdf.de. Wir freuen uns auf Themenvorschläge!

Thema

Mehr zum Jahrhunderthochwasser