: AfD: Wie rechts darf es denn sein?

von Nicole Diekmann
09.01.2022 | 17:53 Uhr
Rechts oder extrem rechts: Der alte Richtungsstreit in der AfD flammt wieder auf. Unter Beschuss: die Fraktionsführung. Sie scheut die Distanz zu den radikalen "Freien Sachsen".
Skandale, gegenseitige Beleidigungen, Flirts mit der extremen Rechten - das alles ist nicht neu bei der AfD. Mehr noch: Es gehört fast schon zu ihrem Markenkern.
Neu aber ist ihre Rolle im noch frisch konstituierten Bundestag: Die Fraktion ist durch ein Wahlergebnis geschrumpft, das sich Teile der Funktionäre zunächst schönzureden versuchten, dadurch nicht mehr Oppositionsführer, und nun gehen auch noch Leute von Bord.
Ende vergangenen Jahres verkündeten der Abgeordnete Uwe Witt aus Schleswig-Holstein und der Bayer Johannes Huber ihren Abschied aus Fraktion und Partei. Ihre Motive könnten unterschiedlicher nicht sein und bilden die Pole ab, zwischen denen die einst als vor allem Euro-kritisch angetretene AfD seit Jahren kämpft.

Bei der Bundestagswahl 2021 hat die AfD weniger Stimmen erhalten als bei ihrem Einzug ins Parlament 2017. Wer wählte die Partei? Mirko Drotschmann zeigt es im Politbarometer2go.

10.12.2021 | 09:54 min

AfD-Mitglieder überschreiten Grenzen - und treten aus

Uwe Witt, der gemessen an den vom Verfassungsschutz beobachteten Teilen der AfD als gemäßigt gilt, begründet seinen Schritt raus aus der Partei mit "Grenzüberschreitungen".
Und meint damit Leute wie Johannes Huber, denn der hat anscheinend genau das getan: Grenzen überschritten. Das ARD-Magazin "Kontraste" veröffentlichte im vergangenen Dezember Telegram-Äußerungen Hubers. Antisemitismus, rechtsextremes verschwörungsmythisches Vokabular, Kontakte zum wegen Volksverhetzung per Strafbefehl gesuchten Ex-Vegan-Promi-Koch Attila Hildmann - da ist Einiges mit dabei, das selbst der AfD zu heiß werden könnte.
Für diesen März wird die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts erwartet, ob die gesamte Partei unter Beobachtung gestellt wird. Huber zog also die Notbremse, womöglich auch nach Druck aus der Partei, und ging.

Chrupalla will sich nicht von Rechten distanzieren

In einer Pressemitteilung "bedauerten" die Fraktionschefs Tino Chrupalla und Alice Weidel die Abgänge - undifferenziert. Ob nun jemand geht, weil es ihm zu radikal geht, oder ob jemand geht, weil er radikal ist - das ist erst mal nicht so wichtig.
Das bekräftigt Chrupalla auch indirekt nochmal im Gespräch mit dem ZDF: Momentan streitet - da ist er wieder, der Markenkern - die Partei über ihren Umgang mit den rechtsextremen "Freien Sachsen". "Ich halte nichts von einer pauschalen Distanz", so Chrupalla. Im selben Gespräch sagt er den Satz:
Wo am Ende die Wähler herkommen, sage ich Ihnen ganz ehrlich, das ist mir eigentlich relativ egal.
Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher
Chrupalla, der auch Parteichef ist und bleiben will, könne gar nicht anders, meint der Potsdamer Sozialwissenschaftler Gideon Botsch:
Sobald sie sich auf den Pfad der Distanzierung von rechts außen begeben, werden Sie in dieser Partei geschlachtet.
Gideon Botsch, Sozialwissenschaftler
"Das können Sie an Herrn Meuthen ja sehen. Dann sind sie sozusagen ein Verräter. Sie sehen hier sicherlich auch Angst von Herrn Chrupalla um seine eigene Position", meint Botsch.

Meuthen tritt nicht mehr zur Wahl zum Parteichef an

Tatsächlich scheiterten bisherige AfDler, die zur Mäßigung aufriefen oder indirekt mäßigend wirkten, etwa indem indem sie sich offen gegen den mittlerweile angeblich aufgelösten, mächtigen rechtsextremistischen "Flügel" der Partei stellten.
Jüngstes und prominentestes Beispiel ist Chrupallas Co-Parteivorsitzender Jörg Meuthen. Der warnte auf dem Parteitag in Kalkar im Dezember 2020 vor dem inzwischen offen vollzogenen Schulterschluss mit der sogenannten Querdenker-Bewegung. Meuthen wird auf dem nächsten Parteitag nicht mehr zur Wahl als AfD-Chef antreten und kommt damit seiner ziemlich sicheren Abwahl zuvor.

Lucassen bringt sich für Meuthen-Nachfolge in Stellung

Einer, der sich als Meuthen-Nachfolger in Stellung bringt, ist der Vorsitzende der großen und damit mächtigen nordrhein-westfälischen Landesgruppe. Rüdiger Lucassen kritisiert die Fraktionsführung in diesen Tagen immer unverhohlener.
Man müsse endlich zeigen, dass "wir zur Selbstkritik fähig sind", sagt Lucassen: "Trotz des Erfolges, wieder in den Bundestag gekommen zu sein, führt ja nun nichts an der Tatsache vorbei, dass wir 20 Prozent unsere Wähler verloren haben und wir immer noch dabei sind, uns zu fragen, was werden dann jetzt in unserer neuen Rolle als Oppositionspartei?"
Neben der Strategiefrage müsse die Fraktionsspitze endlich durchgreifen und zur Mäßigung aufrufen, so Lucassen.
Es hilft ja nichts, wird es ja nichts, das beste Produkt im Regal zu haben, wenn der Laden nach außen hin schlecht aussieht.
Rüdiger Lucassen, Chef der AfD-Landesgruppe NRW

Lucassen verteidigt extreme AfD-Parteifreunde

Da klingt Lucassen wie Meuthen. Gleichzeitig aber verteidigt er bis heute Matthias Helferich. Der hat die Fraktion ebenfalls verlassen, gleich zu Beginn der Legislatur. Helferich hatte sich in Chats als "das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus" bezeichnet.
Was die AfD aber nicht daran hindert, ihn weiter in seiner Funktion als stellvertretenden Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe zu belassen: "Ich kenne Matthias Helferich", springt ihm Lucassen zur Seite. "Er hat sich in einem Privatchat vor Jahren mal leichtfertig geäußert. Wenn Leute das nutzen, um ihn zu denunzieren, ist es meine Aufgabe, korrigierend einzugreifen."

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