: Die AfD und die Inkompetenz der Anderen

von Nicole Diekmann
06.11.2022 | 12:00 Uhr
Die Ampel streitet, die AfD freut es: Kaum neue Forderungen und trotzdem gewinnt die AfD wieder an Stimmen. Alice Weidel und Tino Chrupalla stellen das Positionspapier vor.
AfD-Fraktionsklausur in Oberhof in Thüringen.Quelle: Kay Nietfeld/dpa
"Sind das nicht entsetzliche Zeiten? Wir haben alle gedacht, Corona wäre schlimm", seufzt die Kellnerin in der kleinen Hinterhof-Gaststube, als sie uns einen Kaffee serviert. "Und jetzt hört das gar nicht mehr auf mit den Problemen. Wenn jetzt auch noch der Wintersport ausfällt - das will ich mir gar nicht vorstellen. Dann müssen wir zumachen."

"Nachhaltiges Oberhof" trotz Schneekanonen

Wir sitzen in Oberhof, in einem der wenigen geöffneten Lokale. Der thüringische Ort ist wie ausgestorben. Noch herrscht Ruhe vor dem alljährlichen Sturm, von dem sie hier leben. Oberhof gehört zu den deutschen Wintersportzentren. Biathlon, Skilanglauf, Rennrodeln - in wenigen Wochen herrscht hier High Life.
Damit das auch so bleibt, wird viel Geld investiert. Solar- und Bioenergie und Abwärme stehen im Zentrum des millionenschweren Projekts "Nachhaltiges Oberhof". Erneuerbare Energien sollen etwa Lifte mit Strom versorgen - und die umstrittenen, angesichts milder Kilmawandel-Winter aber immer wichtigeren Schneekanonen.

AfD: "Wohlstand bewahren - Energiesicherheit und Preisstabilität herstellen"

Quer über die Straße, Luftlinie 500 Meter von uns entfernt, brütet während unserer Kaffeepause die AfD-Bundestagsfraktion über einem Papier, das diese Art der Energiegewinnung ausdrücklich nicht empfehlen wird. An diesem Wochenende trifft man sich hier zur Klausur in einem Hotel, das seinen Namen nicht veröffentlicht haben möchte. Zu groß die Sorge des Hauses, Kunden zu verlieren wegen seiner Gastfreundschaft gegenüber der vom Verfassungsschutz beobachteten AfD.
Ein sogenanntes Positionspapier werden deren beiden Fraktionschefs an diesem Freitagnachmittag in jenem Hotel auf einer Pressekonferenz präsentieren. Acht Punkte, überschrieben mit "Wohlstand bewahren - Energiesicherheit und Preisstabilität herstellen".

Diverse Forderungen an Bundesregierung

Zehn Minuten lang fassen Alice Weidel und Tino Chrupalla, die auch die Partei gemeinsam führen, ihre Forderungen zusammen, gespickt von den Untergangsszenarien, die die Partei seit Kriegsbeginn an die Wand malen. "Eine Katastrophe" gelte es abzuwenden, eine "Armutswelle" rolle auf Deutschland zu.
Von diesen düsteren Prognosen leitet die AfD diverse Forderungen ab: den Ausstieg vom Atomausstieg. Das Ende der Sanktionen gegen Russland, die Öffnung von Nord Stream 1 und 2. Ebenso die Senkung der Umsatzsteuer auf Lebensmittel und Energie auf null Prozent und die Absage an eine Vermögensteuer, die Chrupalla als "Kriegssteuer" bezeichnet.
Weidel und Chrupalla präsentieren hier kaum etwas, das über das hinausgeht, was sie seit Kriegsbeginn fordern. Das müssen sie aber auch gar nicht, denn: Es zieht. Nach zehn verlorenen Wahlen in Folge geht es wieder bergauf. Zuletzt hat die AfD ihr Ergebnis in Niedersachsen fast verdoppelt.

Energiepreise, Inflation, Krise: In Ostdeutschland gehen dagegen viele Menschen auf die Straße. Zu den Demos mobilisieren neben der AfD auch rechtsradikale Gruppierungen.

05.11.2022 | 05:01 min

Befragung: AfD fehlt wirtschaftspolitische Kompetenz

Deshalb ist der Eindruck, hier auf dieser Pressekonferenz einer inhaltlich peinlich dünnen Veranstaltung beizuwohnen, nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere lautet: Viel mehr muss die AfD gar nicht anbieten. Sie wird gewählt - obwohl so gut wie niemand ihr inhaltlich etwas zutraut. Eine Nachwahlbefragung in Niedersachsen lieferte erschütternde Ergebnisse: Gerade einmal sechs Prozent der Befragten nannten die AfD kompetent in den Themengebieten "Wirtschaft" und "Arbeitsplätze".
Warum aber sich anstrengen, wenn es auch so läuft? Wenn die Ampel ständig streitet, zuerst über Atom, zuletzt über die China-Reise des Kanzlers, die CDU unter Friedrich Merz durch die Themen torkelt, und die Linke ums Überleben kämpfen muss und somit nicht die eigene Kompetenz, sondern der anderen Inkompetenz die Wähler ranschafft? Dieses Signal sendet diese Pressekonferenz.

Dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla gehen die "Entlastungen nicht weit genug": Die Bundesregierung "doktert nur an den Symptomen herum". Zudem bedürften die Russland-Sanktionen einer Nachjustage.

03.11.2022 | 06:06 min

Fast die Hälfte fehlt bei AfD-Fraktionsklausur

Natürlich ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist es bei der AfD ja noch seltener als anderswo. Etliche Fraktionsmitglieder sind nicht angereist, die Rede ist von knapp 40, fast die Hälfte. Die Gründe dafür - schwer zu sagen. Joana Cotar, eine der so genannten Gemäßigten, hat auch abgesagt.
Und ihre Theorie, warum auch so viele andere an diesem Wochenende fehlen, auf Facebook gepostet: "Das zeigt die Motivation in der Fraktion. Ebenso die überwältigende Präsenz im Plenum von nicht selten nur 5-7 AfDlern. Die Fraktionsführung", schreibt Cotar sarkastisch, habe "alles im Griff." Die Umfragen sagen, hat sie. Und das scheint im Moment das Einzige, was zählt für die AfD.

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