FAQ

: Brauchen wir deutsche AKWs im Winter 23/24?

von Jan Schneider
04.01.2023 | 09:04 Uhr
Die Diskussion um eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland reißt nicht ab. Experten sehen darin jedoch eine "Phantomdebatte": Es sei aktuell einfach nicht möglich.
Noch bis 15. April am Netz: das AKW Emsland. Danach soll Schluss sein.
Mit der Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke wurde auch die grundsätzliche Diskussion um Atomkraft in Deutschland nochmal verlängert. Der neueste Vorstoß kommt von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen neuen Anlauf nimmt, um die Weiternutzung der verbliebenen Atomkraftwerke doch noch durchzusetzen: Er schlägt vor, die Entscheidung darüber an eine unabhängige Expertenkommission auszulagern.
Die Union fordert zeitgleich in den Zeitungen der Funke Mediengruppe, das deutsche Stromsystem einem weiteren Stresstest zu unterziehen und eine weitere Laufzeitverlängerung der verbliebenen Atomkraftwerke bis 2024 vorzubereiten. Wie sinnvoll und umsetzbar sind diese Forderungen? Ein Überblick:

Wann werden die AKWs in Deutschland abgeschaltet?

Eigentlich sollten zum jetzigen Zeitpunkt schon alle AKWs in Deutschland heruntergefahren sein. Der Atomausstieg wurde vor über zehn Jahren im Juni 2011 vom Bundestag beschlossen: Demnach sollten die letzten drei Kraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland zum 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden.

Deutschland will im April 2023 seine Atomkraftwerke abschalten. Doch wie halten es andere EU-Länder? Wir blicken nach Frankreich, Finnland und Österreich.

02.01.2023 | 03:39 min
Durch den Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise wurde ein Streckbetrieb bis zum 15. April 2023 erlaubt. Danach soll aber endgültig Schluss sein.
Atomkraft ist teuer und gefährlich, deswegen schalten wir die letzten Atomkraftwerke in Deutschland am 15.4.2023 endgültig ab.
Julia Verlinden, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag

Brauchen wir die deutschen AKWs im nächsten Winter noch?

"Meiner Meinung nach brauchen wir die AKWs nicht für den nächsten Winter", erklärt Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE auf Anfrage von ZDFheute. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Stromerzeugung und stellt seine Ergebnisse in den "Energy-Charts" zur Verfügung. "Es gibt aktuell genügend Gas, auch ohne Russland. Wenn der nächste Winter nicht extrem kälter wird als der jetzige, dann haben wir kein Problem."
ZDFheute Infografik
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Es sei aber auch irrelevant, ob der Strom aus den AKWs benötigt wird, er steht schlichtweg gar nicht zur Verfügung, so Burger. Es gebe keine Brennelemente und kein Personal. Zudem sei die alle zehn Jahre nötige Sicherheitsüberprüfung - auch Revision genannt - schon seit 2019 überfällig: Ohnehin hätten die Betreiber der Kernkraftwerke einen Weiterbetrieb ausgeschlossen.
Das ist eine Phantomdebatte, die wir schleunigst beenden sollten.
Bruno Burger, Energieexperte

Was sagen die Kraftwerksbetreiber?

Die Betreiber der letzten drei deutschen Atomkraftwerke sind EnBW (Neckarwestheim 2), Eon (Isar 2) und RWE (Emsland). Die deutlichste Absage an eine weitere Verlängerung der Laufzeit der Kraftwerke kommt von EnBW:
Die Bundesregierung hat die Verlängerung der Laufzeiten bis zum 15. April 2023 beschlossen und gleichzeitig deutlich gemacht, dass darüber hinaus keine Verlängerung vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion über eine nochmalige Verlängerung rein theoretischer Natur.
Unternehmenssprecher EnBW
In der "Süddeutschen Zeitung" hatte auch der EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos bereits Mitte Dezember klargemacht, dass es nach dem 15. April nicht weitergeht, und das mit zu wenig neuen Brennelementen und zu wenig Personal begründet:
Es gibt diese Industrie in Deutschland einfach nicht mehr, die haben wir über zehn Jahre zurückgebaut.
Georg Stamatelopoulos in der "SZ"

Wie viel Leistung bringen die AKWs überhaupt noch?

Der Anteil der Atomkraft im deutschen Strommix ist stark geschrumpft und hat 2022 nur noch 6,7 Prozent ausgemacht - damit hat sich der Anteil gegenüber 2021 knapp halbiert.
Energieexperte Burger zur Stromerzeugung 2022
Die nun noch laufenden AKWs befinden sich schon im Streckbetrieb, ihre Brennelemente werden also länger genutzt als eigentlich geplant. In Neckarwestheim 2 muss deshalb aktuell eine Pause eingelegt werden, um die Brennstäbe neu zu konfigurieren. Durch diesen Streckbetrieb verliert ein Reaktor aber an Leistung. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit geht von etwa 0,5 Prozent Leistungsverlust pro Tag aus. Die noch am Netz gehaltenen AKWs bringen nach Berechnungen von Energieexperte Burger aktuell so viel Strom (29. Dezember 2022):
  • Emsland A bringt noch 1.098 Megawatt (MW) von maximal 1.336 MW also noch 80 Prozent der regulären Leistung.
  • Isar 2 schafft noch fast die volle Leistung mit 1.373 MW von 1.410 MW bzw. 97 Prozent.
  • Neckarwestheim 2 stand vor der Pause bei 995 MW von 1.320 MW also 75 Prozent.
Diese Leistung verringert sich jeden Tag weiter, solange keine neuen Brennstäbe genutzt werden.

Wäre ein Weiterbetrieb nach dem 15. April erlaubt?

Ein Weiterbetrieb nach dem 15. April ist aktuell durch die 19. Atomgesetznovelle ausgeschlossen, könnte aber - sollten sich Bundesrat und Bundestag darauf verständigen, auch nochmal verlängert werden.
Es gibt aber noch weitere rechtliche Aspekte dabei zu bedenken: Bei der Laufzeitverlängerungen der belgischen Kraftwerke Doel 1 und Doel 2 hatte der Europäische Gerichtshof zum Beispiel eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gefordert. Das könnte auch auf die deutschen AKWs zukommen, sollte die Laufzeit nochmal verlängert werden.

Und was ist mit der Forderung nach einem weiteren Stresstest?

"Sinnvoll ist ein weiterer Stresstest für den nächsten Winter auf jeden Fall", erklärt Experte Bruno Burger. Es müsse geklärt werden, welche Kraftwerke in Deutschland zur Verfügung stehen - und noch wichtiger: wie die Versorgung der Nachbarländer läuft. Frankreich habe das deutsche Stromnetz 2022 sehr belastet und auch Österreich und die Schweiz seien im Winter von Importen aus Deutschland abhängig.
Die Lage in unseren Nachbarländern ist meiner Ansicht nach kritischer als in Deutschland.
Bruno Burger, Energieexperte

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