: "Es braucht klaren grünen Widerspruch"

von Kristina Hofmann
06.06.2023 | 16:08 Uhr
Der Widerstand an der grünen Parteibasis gegen den Ampel-Kurs in der Asylpolitik wächst. Lieber sollte die EU-Reform scheitern, heißt es. Dabei geht es eigentlich um die FDP.

Die EU-Innenminister wollen über ein neues Regelwerk zum Asylrecht beraten. Die Bundesregierung signalisiert zwar Zustimmung, doch von den Grünen kommt Kritik.

06.06.2023 | 01:52 min
730 Unterschriften an drei Tagen. Angesichts von 125.000 Parteimitglieder bei den Grünen mögen 730 Unterstützer nicht viel sein. Aber ihre Kritik ist keine Kleinigkeit. Sie kratzen am Kern der Partei und an der Glaubwürdigkeit der Ampel-Bundesregierung.

Kritik: Mit Koalitionsvertrag nicht vereinbar

Diese 730 Mitglieder fordern in einem offenen Brief an die Fraktions- und Parteispitze der Grünen, den Kurs in der Asylpolitik zu ändern. Die Ampel habe in ihrem Koalitionsvertrag eine neue, menschenwürdigere Flüchtlingspolitik versprochen.
Wenn am Donnerstag die EU die neue Asylreform und Verfahren an den Außengrenzen verhandele, sei das mit dem Koalitionsvertrag nicht mehr vereinbar. Und dann sei es auch besser, dass die Verhandlungen scheitern.
Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend, gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefes. Er befürchtet:
Solche Lager wie in Moria drohen zum europäischen Standard zu werden.
Timon Dzienus (Grüne)

Seit Monaten schlagen Länder und Kommunen Alarm: Geflüchtete aufzunehmen sei kaum noch möglich. Asylanträge sollen deshalb künftig bereits an den europäischen Außengrenzen geprüft werden.

02.05.2023 | 02:26 min
Die Bundesregierung stimme "in den Chor der europäischen Rechtspopulisten", so Dzienus, ein und setze auf Abschottung, Zäune und Aushöhlen der individuellen Asylverfahren. Eine "Nebelkerze" sei das, statt die konkreten Probleme der Anrainer-Staaten an den Außengrenzen oder den aufnehmenden Kommunen anzugehen.  Viele Parteimitglieder hätten laut Dzienus "mit Unbehagen" gesehen, wie die Bundesregierung in den vergangenen Wochen agiert habe.

Streit um Ausnahmen für Familien

Streitpunkt in der Koalition und in der EU ist vor allem, ob es Ausnahmen für Schwangere oder Familien mit Kindern geben soll. Sie könnten nicht in den Außenlagern ihre Asylanträge stellen müssen. Manche in der EU wollen Ausnahmen für bis Zwölfjährige. Die Grünen und die SPD für Minderjährige, also bis 18 Jahre. Die FDP findet, schon jetzt über Ausnahmen zu reden, erschwere die Suche nach einem Kompromiss.
Weil die FDP das fordert, so Dzienus, brauche es klaren grünen Widerspruch. Deswegen habe man den offenen Brief geschrieben:
Da kann man keine Rücksicht darauf nehmen, wie es um den Zustand der Koalition steht
Timon Dzienus (Grüne)

Experten: Müssen Grüne aushalten

Die Streitereien innerhalb der Ampel-Koalition haben zu sinkenden Umfragewerten von SPD und Grünen sowie sinkender Akzeptanz der Ampel-Regierung geführt. Die jüngste Debatte um das Heizungsgesetz ist noch nicht beendet, da käme nun der nächste Streit. Allerdings: Ob das Thema Asyl überhaupt Sprengkraft für die Partei oder die Koalition hat, ist derzeit schwer abzuschätzen.
"Migration ist ein wichtiges Thema für die Grünen, der Klimawandel ist ein wichtigeres. Zumal es auf dem rechten Flügel der Partei, in den Kommunen und Landkreisen, auch Stimmen gibt, die eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen fordern", sagt Michael Koß, Professor für Politische Systeme an der Leuphana-Universität in Lüneburg. Ein Konflikt, den die Partei aushalten müsse.
Das sieht Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen ähnlich. Die Grünen lernten gerade, im Bund zu regieren. Und das heiße auch: Die Dynamik des Miteinanders in einer Dreier-Koalition auszuhalten, die, so Korte, "systematisch kontroverser sein muss".
Insofern sehe ich nicht die inhaltliche Gefährdung, sondern eher eine Gewöhnung der verschiedenen Ebenen an den Alltag des Regierens.
Karl-Rudolf Korte
Offene Briefe würden da aber eher weniger helfen, als viel mehr der intensive "Resonanzaustausch", so Korte.

Nouripour: Diskussion "völlig normal"

Grünen-Parteichef Omid Nouripour sieht den Brief ebenfalls gelassen. Dass über ein Thema, das so zentral für seine Partei ist, diskutiert wird, sei eine "Selbstverständlichkeit" und "völlig normal".
Wir haben eine lebendige Diskussionskultur.
Omid Nouripour (Grüne)
Am Ende werde man einer EU-Vereinbarung nur zustimmen, wenn sie das Asylrecht nicht aushöhlt, so Nouripour. Die Zustände an den Außengrenze müssten besser, nicht schlechter werden. Ob es aber zu einer Asylreform am Donnerstag kommt, sei völlig offen.

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