Interview

: Ataman:"Debatte stößt Millionen vor den Kopf"

06.01.2023 | 22:03 Uhr
Die Debatte über die Silvesterkrawalle läuft weiter. Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman ist "irritiert". Es gehe gar nicht um die Gewalt selbst, nur um die Täter-Herkunft.
Böllerverbote, harte Strafen? Sechs Tage nach Neujahr wird die Debatte über die Ausschreitungen in der Silvesternacht und die Konsequenzen daraus noch immer hitzig geführt. Darf man in Deutschland überhaupt aussprechen, dass die Mehrheit der Täter Migrationshintergrund hat?
Ja, findet Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Diskriminierung. Dann aber müsse die Herkunft auch bei Tätern mit deutschen Wurzeln immer erwähnt werden.
Sehen Sie oben das ganze ZDF-Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Ferda Ataman dazu ...

... wie es zu den Ausschreitungen kommen konnte:

"Die Gewalt, die ich auch gesehen habe, die wir beobachten konnten, hat mich schockiert und sehr betroffen gemacht. (...) Hier wurden rote Linien überschritten und das kann man so nicht akzeptieren. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich gerade sehr irritiert bin über die Debatte, die wir führen."
"Statt darüber zu reden, dass es große Probleme offenbar mit Jugendgewalt gibt (...), reden wir eigentlich seit sechs Tagen darüber, ob man jetzt sagen darf, wie viele der Täter*innen vor Ort einen Migrationshintergrund hatten oder nicht." 

... dass viele Täter Migrationshintergrund hatten

"Tatsächlich wissen wir überhaupt nicht, ob es eine Mehrheit der Angreifer deutschlandweit ist. Wir warten gerade auf das Lagebild, das das Innenministerium macht. Das, was sie sagen, was wir wissen, ist, dass es in Neukölln eine Mehrheit der Täter*innen war."
"Das darf, ehrlich gesagt, jetzt nicht verwundern. Wenn man sich auskennt, weiß man, in Neukölln, einem Stadtteil in Berlin, der sehr stark migrantisch geprägt ist, sind über die Hälfte der Kinder und Jugendlichen aus Einwandererfamilien."
Insofern sind sowohl auf der Seite der Täter*innen als auch auf der Seite der Polizist*innen, die vor Ort waren, Menschen mit Migrationshintergrund. Das ist erstmal ganz normal in Deutschland heutzutage. 
Ferda Ataman

... ob der Migrationshintergrund erwähnt werden darf

"Also, es wäre richtig, entweder immer Migrationshintergründe (...) zu sagen - oder eben nie. Punktuell sich jetzt rauszugreifen, bei dieser einen Gruppe sagen wir, das sind aber viele Menschen mit Migrationshintergrund - und bei anderen Übergriffen auf die Polizei zum Beispiel, sagen wir dann aber nicht, das waren aber alles weiße Deutsche und die haben jetzt die Polizei angegriffen. Das ist dann eben ein Ungleichgewicht".
Es sind Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund gerade genauso empört über das, was sie gesehen haben in den Nachrichten. Und wenn man das mitbetrachtet, dann ergibt es ein Gesamtbild.
Ferda Ataman
"Wenn man aber nur punktuell bei Problemen auf Migrant*innen und ihre Nachkommen zeigt, dann stigmatisiert man eine Gruppe, die dazu führt, dass viele Menschen im Alltag tatsächlich öfter Benachteiligung erleben und sich bei uns, bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, melden und rassistische Diskriminierung beklagen." 

... was man tun sollte, damit sich das nicht wiederholt

"Tatsächlich muss einiges geschehen. Gerade in Brennpunkt-Gebieten, wie zum Beispiel Neukölln in Teilen eines ist. (...) Aber das hat eben nichts mit Migrationshintergrund per se zu tun."
"Das, glaube ich, ist ganz wichtig, dass wir im Moment merken: Wir führen eine Debatte, die Millionen von Menschen in Deutschland vor den Kopf stößt und die sie ratlos hinterlässt, weil sie einerseits sehen, dass sie genauso empört sind wie alle anderen auch, aber nur genannt und gesehen werden, wenn es um die Täter geht."  

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