: Selenskyj schließt Mariupol-Befreiung aus

08.05.2022 | 23:59 Uhr
Ukraines Präsident schließt die Befreiung von Mariupol derzeit aus. In Berlin tobt ein Streit um das Verbot ukrainischer Flaggen beim 8. Mai-Gedenken. Die Lage an Tag 74.

Das Wichtigste in Kürze

  • Streit um Verbot ukrainischer Flaggen bei Gedenken in Berlin
  • Selenskyi: Befreiung von Mariupol derzeit nicht möglich
  • Bundestagspräsidentin Bas trifft Präsident Selenskyj in Kiew
  • Viele Tote bei Luftangriff auf Schule befürchtet
  • Kanadas Premier Trudeau und US-First-Lady Jill Biden überraschend in die Ukraine gereist

Anmerkung der Redaktion

Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.

Das ist an Tag 74 im Ukraine-Krieg passiert:

  • Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat die Verordnung der Berliner Polizei verurteilt, das Zeigen ukrainischer Flaggen beim Gedenken an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland zu verbieten. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte die Auflagen für insgesamt 15 Gedenkorte der Hauptstadt scharf kritisiert. Der Senat verteidigte die Entscheidung und erklärte, durch diese Regeln solle ein "würdevolles, friedliches Gedenken" ermöglicht werden. Überall sonst seien Fahnen in der Öffentlichkeit erlaubt.
Kuleba zum Verbot ukrainischer Flaggen
  • Bei dem Bombenangriff auf die Dorfschule in der ostukrainischen Region Luhansk sind laut Ministerpräsident Wolodymyr Selenskyj etwa 60 Menschen getötet worden. Es handele sich um Zivilisten, die dort Unterschlupf gesucht hätten. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "entsetzt" über den Angriff. Er bekräftigte, dass "Zivilisten und zivile Infrastruktur in Kriegszeiten" nicht angegriffen werden dürften. Der Angriff sei "eine weitere Erinnerung daran, dass in diesem Krieg, wie in so vielen anderen Konflikten, die Zivilisten den höchsten Preis zahlen".
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Befreiung der von russischen Truppen besetzten Hafenstadt Mariupol derzeit ausgeschlossen. "Die Ukraine hat nicht genügend schwere Waffen, um Mariupol auf militärischem Wege zu befreien", sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz mit Kanadas Regierungschef Justin Trudeau.
  • Vor der Militärparade in Moskau am 9. Mai zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland haben sich die in Mariupol verschanzten ukrainischen Kämpfer auf einen russischen Sturmangriff eingestellt. Nach der Evakuierung hunderter Zivilisten aus dem Azovstal-Stahlwerk befanden sich in dem Industriekomplex am Sonntag noch hunderte ukrainische Soldaten.
  • Ungeachtet ihrer äußerst schwierigen Lage wollen die letzten ukrainischen Kämpfer im belagerten Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol nicht aufgeben. "Kapitulation ist keine Option für uns, weil Russland kein Interesse an unserem Leben hat", sagte Illja Samojlenko vom Asow-Regiment bei einer Online-Pressekonferenz, bei der er eigener Aussage zufolge aus dem Inneren des Werks zugeschaltet war. Er und die anderen Kämpfer würden Azovstal weiter gegen die russische Armee verteidigen, versicherte der Offizier.
  • Ukraines Präsident Selenskyj hat die Zerstörung von Kulturgütern in der Ukraine durch russische Truppen beklagt. In dem seit zweieinhalb Monaten dauernden Angriffskrieg seien 200 Kulturerbestätten getroffen worden, sagte Selenskyj in einer Videoansprache vom Samstagabend in Kiew. "Leider kehrt das Böse zurück, wenn Menschen die Rechte anderer Menschen missachten, das Gesetz missachten und die Kultur zerstören", sagte Selenskyj auch mit Blick auf den Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland.
  • US-First-Lady Jill Biden hat überraschend die Ukraine besucht. Mitreisende US-Journalisten berichteten, die First Lady sei am Sonntag von der Slowakei aus in die Ukraine eingereist und knapp zwei Stunden dort geblieben. In der Stadt Uschorod sei sie mit Flüchtlingen zusammengekommen. Sie habe außerdem die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Olena Selenska, getroffen. Biden und Selenska hätten rund eine Stunde lang ein bilaterales Gespräch geführt.

Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?

Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.

Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.

Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?

Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.

Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?

Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.

Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.

Die Situation in den ukrainischen Städten:

  • Russische Truppen haben nach wochenlangen Kämpfen laut ukrainischen Angaben die in Ruinen liegende Kleinstadt Popasna in der Region Luhansk eingenommen. "Leider haben sich unsere Truppen tatsächlich etwas aus Popasna zurückgezogen, weil die Stadt mehr als zwei Monate lange beschossen wurde", sagte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, am Sonntag laut der Nachrichtenagentur Unian in einem Fernsehinterview. Die Ukrainer seien auf zuvor vorbereitete Stellungen etwas außerhalb der Stadt ausgewichen, fügte er hinzu.
  • In den umkämpften ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens sechs Zivilisten getötet worden. Zwölf weitere Menschen seien verletzt worden, teilt die Gebietsverwaltung im Nachrichtendienst Telegram mit. Unter den Toten seien auch zwei Kinder, die im Dorf Prywillja bei Beschuss mit Mehrfachraketenwerfern des Typs "Grad" (Hagel) getötet worden sein sollen.
  • In weiten Teilen der Ukraine ist in der Nacht zum Sonntag Luftalarm ausgelöst worden. Betroffen waren nach Angaben der Agentur Unian die Hauptstadt Kiew und ihr Umland, aber auch Lemberg im Westen, Charkiw und Donezk im Osten, Odessa im Süden und andere Gebiete. In Odessa waren nach Berichten von vor Ort Explosionen zu hören. Dabei blieb zunächst unklar, ob es sich um russische Raketentreffer handelte oder um Abwehrfeuer der ukrainischen Luftverteidigung. Auch in der Stadt Mykolajiw im Süden gab es offenbar Explosionen. 
  • Nach mehreren Tagen ohne nennenswerte Fortschritte haben die russischen Truppen bei ihren Angriffen im Donbass-Gebiet nach ukrainischen Angaben nun wieder Geländegewinne erzielt. "In Richtung Liman hat der Feind durch Angriffe den Nordrand von Schandrigolowe erobert", teilte der ukrainische Generalstab am Sonntag in seinem Lagebericht mit. Schandrigolowe liegt rund 20 Kilometer nördlich der Großstadt Slowjansk, die Teilziel der russischen Operation im Donbass ist. Darüber hinaus fahren die russischen Truppen auch weiterhin Angriffe Richtung Sjewjerodonezk, Popasna, und Awdijiwka.
  • Die ukrainische Führung setzt auf eine Rückeroberung der von russischen Truppen besetzten Stadt Cherson im Süden des Landes. "Es wird keine Volksrepublik Cherson geben", sagte Mychajlo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, im ukrainischen Radio. Das Gebiet werde vollständig befreit werden, so Podoljak am Samstag in Kiew. Er reagierte damit auf Äußerungen von russischer Seite, nach denen Einwohner der Stadt das Recht auf russische Pässe bekommen sollten.

Reaktionen und Folgen des russischen Angriffs:

  • Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat in Kiew gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Dass sie "als Repräsentantin des Landes, das den Zweiten Weltkrieg (...) zu verantworten hat", am Gedenktag zum Ende des Krieges in die Ukraine eingeladen worden sei, "ist ein großer Schritt", sagte Bas am Sonntag. Am Grabmal des unbekannten Soldaten in Kiew legte sie einen Kranz nieder. Zuvor war sie vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj empfangen worden.
Die Ansprache des Bundeskanzlers zum 8. Mai in voller Länge:

Kanzler Scholz betont in seiner TV-Rede zum 8. Mai die historische Verantwortung Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine. Aber: Die Nato werde keine Kriegspartei werden.

08.05.2022 | 08:06 min
  • Zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Einmarsch in die Ukraine als "Epochenbruch" bezeichnet. Außerdem betonte er die Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie. "Wir waren uns zu sicher, dass Frieden, Freiheit, Wohlstand selbstverständlich sind", sagte Steinmeier angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine am Sonntag beim DGB-Bundeskongress in Berlin. "Dieser Krieg macht uns auf eine brutale Weise klar, dass wir unsere Demokratie schützen und verteidigen müssen - nach innen und nach außen."
  • Das Entwicklungsministerium erhöht offenbar die humanitäre Soforthilfe für die Ukraine: "Mir ist es wichtig, dass Deutschland die Ukraine nicht nur militärisch unterstützt, sondern auch das Leben für die Menschen erträglicher macht", sagte Ministerin Svenja Schulze der "Bild am Sonntag". Das Sofortprogramm für die Ukraine sei von 122 Millionen auf 185 Millionen Euro aufgestockt worden. "Damit wird die Trinkwasserversorgung wiederhergestellt, werden zerstörte Wohnungen, Schulen und Kindergärten wiederaufgebaut", kündigte Schulze an.
  • Aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine sind nach Angaben des russischen Militärs seit Ende Februar 1,16 Millionen Menschen nach Russland gebracht worden. Dazu zählten 205.000 Kinder, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Russland betrachtet dies ungeachtet des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als "Rettung" bedrohter Zivilisten aus den Kämpfen und den Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk. Kiew wirft Moskau vor, die Menschen gegen ihren Willen zu verschleppen und einen Wechsel auf Ukrainisch kontrolliertes Gebiet zu verhindern.

Das war an Tag 73 passiert:

Wohl alle Zivilisten wurde aus Stahlwerk in Mariupol evakuiert, Raketenangriffe auf Odessa wurde gemeldet, Moskau soll Abspaltung der Region Cherson vorbereiten. Das war die Lage an Tag 73.

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Quelle: ZDF
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Wie arbeitet das Aktionsbündnis?

Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Quelle: dpa, Reuters, AP, AFP, ZDF

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