: Warum die Ukraine Bachmut nicht aufgeben will

von Christian Mölling und András Rácz
10.03.2023 | 21:05 Uhr
Wie geht es weiter in Bachmut? Trotz aller russischen Angriffe hält die Ukraine stand, schickt sogar Verstärkung. Moskau bildet eine neue Freiwilligentruppe - der Wochenrückblick.
Soldaten an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Bachmut, UkraineQuelle: Reuters
Russland hat am Morgen des 9. März erneut die Energieinfrastruktur der Ukraine angegriffen. Den ukrainischen Angaben zufolge wurden insgesamt 81 Geschosse abgefeuert, darunter sechs Hyperschallraketen vom Typ Kinschal (Dolch) sowie eine Mischung aus Marschflugkörpern, Schiffsabwehr- und Luftabwehrraketen. Der Einsatz der fortschrittlichen Kinschal-Raketen gegen gewöhnliche Ziele der Energieinfrastruktur ist besonders bemerkenswert, da auch weniger fortschrittliche Systeme diese hätten treffen können.

Russische Angriffe: Vergeltung und Propaganda

Es ist wahrscheinlich, dass der Einsatz der Kinschals auch einen Propagandazweck hatte, um der russischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass Moskau trotz mangelnder Fortschritte auf dem Schlachtfeld immer noch in der Lage ist, die Ukraine hart zu treffen. Möglicherweise war dieser Angriff auch eine Reaktion auf den Vorfall in Bryansk in der vergangenen Woche, als eine irreguläre bewaffnete Formation aus der Ukraine die Grenze zu Russland überquerte.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Dennoch richtete der Angriff im ganzen Land erheblichen Schaden an. In Kiew, Charkiw und auch Lemberg kam es zu Stromausfällen, in Lemberg verloren fünf Zivilisten ihr Leben, als eine russische Rakete in einem Wohngebiet einschlug.

Ukraine hält Bachmut noch immer

Bachmut ist trotz des starken russischen Drucks noch immer in ukrainischer Hand. Fast alle Versorgungswege sind abgeschnitten, die übrigen werden regelmäßig von den Russen beschossen. Doch am 6. und 7. März beschloss die Ukraine, Verstärkung nach Bachmut zu schicken. Die offizielle Erklärung konzentriert sich auf die strategische Bedeutung der Stadt, Präsident Selenskyj behauptete, dass die Russen bei einem Fall von Bachmut einen offenen Weg weiter in die Ukraine hinein hätten.
In Wirklichkeit wäre jedoch selbst bei einem Fall von Bachmut der weitere russische Vormarsch durch die befestigten Städte Chasiv Yar, Konstantiniwka und vor allem Kramatorsk, wo sich das Hauptquartier der Ukraine im Donbass befindet, blockiert. Folglich würde der Verlust von Bachmut nicht den Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigungskräfte bedeuten. Es wäre zwar eine politische Niederlage und auch ein gewisser territorialer Verlust, aber kein Zusammenbruch.
Journalistin Sabine Adler bei "illner" über den Krieg in der Ukraine und den Kampf um Bachmut:
Eine alternative Erklärung für die jüngste Verstärkung ist, dass das Verlustverhältnis im Stadtkampf für die Russen äußerst ungünstig ist. Ukrainische Quellen sprechen von einem Verhältnis von 1:7 zwischen Ukrainern und Russen, aber selbst Experten der Nato schätzen, dass auf jeden getöteten Ukrainer fünf Russen kommen.
Wenn diese Quote aufrechterhalten werden kann, könnte es sinnvoll sein, die Ruinen der Stadt noch eine Weile zu halten und die russischen Kräfte ausbluten zu lassen.

Im Süden des Donbass kämpfen die Russen um Vuhledar

Eine dritte Möglichkeit ist, dass die Hauptaufgabe der Verstärkung darin besteht, die russische Zange um die Stadt ein wenig zu öffnen und so die Versorgung der Einheiten und möglicherweise auch einen organisierten Rückzug zu erleichtern.
Unterdessen versuchen die russischen Streitkräfte im Süden des Donbass weiterhin, Wuhledar einzunehmen, jedoch ohne Erfolg. Sie erleiden kritische Verluste: Die einstige Eliteeinheit die 155. Marine-Infanteriebrigade wurde bei den Kämpfen praktisch vernichtet, so dass sie durch eine minderwertige mechanisierte Infanterieeinheit aus Dagestan ersetzt werden musste.

Noch eine private russische Söldnertruppe

Das russische Unternehmen Gazpromneft hat damit begonnen, eine neue Freiwilligeneinheit aufzustellen. Die Einheit ist nach Pavel Sudoplatov benannt, einem legendären - und berüchtigten - sowjetischen Geheimdienstoffizier und Attentäter.
Die Aufstellung dieser Einheit im Rahmen eines Staatsunternehmens ist wahrscheinlich ein weiterer russischer Versuch, die Rekrutierungsprobleme der regulären Armee anzugehen, da diese Einheit wahrscheinlich wesentlich höhere Löhne bieten kann. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich das Sudoplatow-Bataillon bei der Besetzung seiner Reihen sein wird.
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