: Warum Belarus' Militär ein Scheinriese ist

von Christian Mölling und András Rácz
21.12.2022 | 19:55 Uhr
Immer wieder wird spekuliert, ob Belarus an der Seite Russlands in den Ukraine-Krieg eintreten könnte. Doch die belarussische Armee wäre auf einen Kampfeinsatz nicht vorbereitet.
Gemeinsame Militärübungen der Streitkräfte aus Russland und Belarus in der Region Brest.Quelle: Reuters
Während in internationalen Medien darüber spekuliert wird, ob Russland einen weiteren Angriff auf die Ukraine von belarussischem Territorium aus starten oder die belarussische Armee selbst in den Krieg eintreten könnte, scheinen beide Szenarien zumindest kurzfristig sehr unwahrscheinlich zu sein.
Die belarussischen Streitkräfte können offensive Operationen nahezu nicht durchführen - sie haben darin keinerlei Erfahrung. Aus historischen Gründen ist es ein Eckpfeiler der Sicherheitspolitik Belarus', dass keine Soldaten zu Kampfeinsätzen im Ausland entsandt werden dürfen. Dies wurde bis Januar 2022 strikt eingehalten, als die Teilnahme an der Operation der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) in Kasachstan den ersten Einsatz einiger belarussischer Spezialeinheiten in einer Krisenbewältigungsmission bedeutete.

Belarussische Armee unerfahrenste Streitkraft Europas

Dies änderte jedoch nichts am Gesamtbild: Die belarussische Armee ist die am wenigsten erfahrene Streitkraft in Europa, da sie noch nie live im Einsatz war und noch nie Aufgaben in Auslandsmissionen übernommen hat.
Unter diesen Umständen ist es höchst unwahrscheinlich, dass der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko der Entsendung seiner Streitkräfte gegen die erfahrene, kampferprobte ukrainische Armee zustimmen würde.

Größe russischer Truppen in Belarus erlaubt keinen Angriff

Obwohl sich derzeit etwa 10.000 bis 11.000 russische Soldaten in Belarus aufhalten, stellen sie weder von der Größe noch von der Zusammensetzung her eine Invasionstruppe dar. Die derzeitige Zahl reicht schlicht nicht für einen nennenswerten Angriff aus, abgesehen von möglichen kleineren Ablenkungsmanövern.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Die Zusammensetzung der russischen Truppen in Belarus ist sehr heterogen. Einige von ihnen gehören zum Gemeinsamen Ausbildungs- und Gefechtszentrum für Luftverteidigung und Luftwaffe in Hrodna, das belarussische Piloten und Luftverteidigungskräfte ausbildet. Andere bemannen die beiden von Belarus aus operierenden russischen Militäreinrichtungen (ein Marinekommunikationszentrum und ein Frühwarnradarsystem).

Ausbildung neu mobilisierter russischer Soldaten in Belarus

Bei den meisten der 10.000 Soldaten handelt es sich um Neuankömmlinge, die erst vor relativ kurzer Zeit nach Belarus entsandt wurden - ukrainischen Quellen zufolge sind jedoch etwa 80 Prozent von ihnen frisch mobilisierte russische Soldaten, die höchstwahrscheinlich dort ausgebildet werden.
Belarus bildet bereits seit mindestens November mobilisierte russische Soldaten aus. Dies wurde erstmals am 3. September offiziell bestätigt, als der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit Lukaschenko zusammentraf und der belarussische Staatschef während des Treffens zugab, dass nicht nur russische Soldaten ihre belarussischen Kameraden ausbilden, sondern dass auch russische Truppen in Belarus von belarussischen Ausbildern trainiert werden.
Der Grund, warum Russland auf die belarussischen Ausbildungskapazitäten zurückgreifen muss, ist, dass der russische Rekrutierungs- und Ausbildungsapparat durch die Mobilisierung im September und die anschließende Einberufung im November stark überlastet war.

Kompliziertes Gelände in Grenzregion

Ein weiterer Grund, warum ein erneuter russischer Bodenangriff derzeit unwahrscheinlich ist, liegt in dem äußerst komplizierten Gelände und den Verteidigungsvorbereitungen der Ukraine. Die rund 1.000 Kilometer lange belarussisch-ukrainische Grenzregion ist größtenteils von den Pripyat-Sümpfen und dichten Wäldern geprägt. Außerdem sind Teile dieser Region noch immer durch die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 verseucht. Zudem bereitet sich die Ukraine seit Februar intensiv auf einen möglichen Angriff aus dieser Richtung vor. Die wenigen Straßen, die durch die Grenzregion führen, sind vermint, Brücken sind bereits gesprengt.
Allerdings bereitet sich Russland wohl eher darauf vor, die vom belarussischen Territorium und Luftraum aus geführten Luft- und Raketenangriffe gegen die ukrainische Infrastruktur zu intensivieren. Kürzlich verlegte Russland ein Flugzeug des Typs Beriev A-50 nach Belarus, das als luftgestützte Frühwarn- und Kommandozentrale dienen kann.

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