: Belarus: Angst vor Kriegseintritt nimmt zu

27.04.2023 | 11:45 Uhr
Wird Belarus in Russlands Krieg gegen die Ukraine hineingezogen? Die Militärübungen für Tausende belarussische Männer schüren Ängste in der Bevölkerung. Widerstand formiert sich.
Russische Soldaten bei Übungen im vergangenen Dezember in Belarus.Quelle: dpa
Als der belarussische Ingenieur Ruslan kürzlich in der Hauptstadt Minsk eine Vorladung zur militärischen Ausbildung erhielt, war der Krieg in der Ukraine plötzlich ganz nah. Die Militärübungen für Tausende Männer schüren Ängste, dass Belarus in die Kämpfe hineingezogen werden könnte. Der 27-Jährige, der anonym bleiben will, sagt am Telefon:
Russische Truppen sind bereits in Belarus, und ich sehe, wie das Land allmählich in eine Militärkaserne verwandelt wird.
Ruslan, belarussischer Ingenieur

Lukaschenko vermeidet direkte Kriegsbeteiligung

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hieß zuletzt Tausende russische Truppen in seinem Land willkommen, erlaubte dem Kreml, das Land für den Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 zu nutzen, und bot an, taktische Atomwaffen in seinem Land zu stationieren. Eine direkte Beteiligung von Belarus an den Kämpfen vermied er jedoch bisher.
Der belarussische Militärbeobachter Aliaksandr Alesin glaubt, dass es im Fall einer Entsendung der 45.000 Mitglieder starken belarussischen Armee in die Ukraine zu einer massenhaften Befehlsverweigerung kommen könnte. Lukaschenko werde dies nach seiner Einschätzung nicht tun, weil er befürchte, Unzufriedenheit unter den Soldaten zu schüren, die ihre Waffen dann in eine andere Richtung lenken könnten.

Putin macht Belarus zu "nuklearer Festung"

Die Zustimmung zur Stationierung einiger taktischer Atomwaffen Russlands bezeichnete Lukaschenko als Schutzmaßnahme gegen "aggressive Pläne der Nato und westliche Schikanen". Laut Kremlchef Wladimir Putin wird der Bau von Atomwaffen-Depots in Belarus bis zum 1. Juli abgeschlossen sein. Russland rüstete bereits belarussische Kampfflugzeuge für den Transport von Atomwaffen um und stellte Kurzstreckenraketen zur Verfügung, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können.
Während des Kalten Krieges waren nach Angaben Alesins in Belarus etwa zwei Drittel des Moskauer Arsenals an atomar bestückten Mittelstreckenraketen stationiert. Dutzende Lagerstätten aus der Sowjet-Ära könnten noch immer für solche Waffen genutzt werden.
Belarus war eine sowjetische nukleare Festung, und jetzt haben Putin und Lukaschenko beschlossen, sie nicht nur wiederherzustellen, sondern sogar zu verstärken..
Aliaksandr Alesin, belarussischer Militärbeobachter
Die westlichen Sanktionen lähmten die belarussische Wirtschaft - sie schrumpfte 2022 um 4,7 Prozent. Lukaschenko hofft, dass ein Anstieg von 70 Prozent im Handel mit Russland die Auswirkungen mildert. Laut Alesin versorgt Moskau Minsk mit billiger Energie und Krediten und öffnet seinen riesigen Markt im Austausch für die Möglichkeit, die belarussische Militär-Infrastruktur zu kontrollieren.

Unzufriedenheit in Belarus nimmt zu

Doch die wachsende Beteiligung des Landes am russischen Krieg schürt weit verbreitete Unzufriedenheit, wie der belarussische Politologe Waleri Karbalewitsch erklärt. In Belarus habe sich eine breite Guerilla-Bewegung entwickelt, deren Mitglieder Bahngleise und russische Kampfflugzeuge in die Luft sprengten und russische und belarussische Websites angriffen.
Die Verwandlung von Belarus in ein militärisches Drehkreuz Russlands und das allmähliche Hineinziehen in den Krieg sorgten für öffentlichen Unmut und zwangen Lukaschenko, die Repressalien zu verschärfen.
Waleri Karbalewitsch, belarussischer Politologe

Politologe: Lukaschenko wird weiter zögern

Nach Einschätzung von Karbalewitsch wird Lukaschenko weiterhin zögern, in den Krieg einzutreten. Doch Moskau könnte mit der Drohung eines weiteren Einmarsches von Belarus in die Ukraine spielen, um Kiew zu zwingen, eine große Anzahl Truppen an der Grenze zu behalten.
"Die unmotivierte und schwache belarussische Armee würde auf dem Schlachtfeld nicht viel ändern, doch der Kreml muss Kiew und dem Westen weiterhin zeigen, dass die belarussische Bedrohung bestehen bleibt", sagt er.
Es ist für Putin praktischer, Minsk als militärische Drehscheibe zu nutzen und gleichzeitig die ständige Drohung eines Kriegseintritts von Belarus zu wahren, um den Druck auf die Ukraine aufrechtzuerhalten.
Waleri Karbalewitsch, belarussischer Politologe
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Quelle: Yuras Karmanau, AP

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