FAQ
: Russland provoziert Atom-Wettrüsten in Europa
Es war eine Ankündigung mit Sprengkraft: Russland wird nach Angaben von Präsident Wladimir Putin "in den kommenden Monaten" atomwaffenfähige Raketen an Belarus liefern. Das kündigte Putin bei einem Treffen mit dem belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko am Samstag an.
Konkret will Russland das Raketensystem Iskander-M an Belarus liefern, das auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann. Zusätzlich sollen belarussische Kampfflugzeuge aufgerüstet werden, damit diese ebenfalls mit Atomwaffen bestückt werden können. Das Vorhaben wird schon länger vorbereitet: Im Februar 2022 hatte Belarus ein Referendum für die Aufgabe der bisherigen nuklearen Neutralität abgehalten.

Es ist Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine überfallen. Seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Nato rüstet auf, Russland droht – was wird aus Europa?
16.07.2022 | 28:49 minWarum ist die Ankündigung Putins so zentral?
Es ist eine Gemeinsamkeit, die Belarus und die Ukraine teilen: Beide Staaten gaben nach dem Zerfall der Sowjetunion die ihnen zugefallenen Atomwaffen auf. Beide unterzeichneten 1994 das Budapester Memorandum, traten im gleichen Jahr dem Atomwaffensperrvertrag bei.
Im Gegenzug garantierte der Westen in der Nato-Russland-Grundakte, keine Atomwaffen in neuen Mitgliedsstaaten in Ost- und Zentraleuropa zu stationieren. Diese und andere Dokumente waren ein Bestandteil der europäischen Friedensordnung nach dem Kalten Krieg.
Mit der Krim-Annexion und dem Ukraine-Krieg unterläuft Russland diese und andere Dokumente seit Jahren. Die Stationierung von Atomwaffen-fähigen Raketen in Belarus wäre eine weitere Dimension, in der Russland internationale Vereinbarungen aufkündigt.
Wird Russland die Atomwaffen-Drohung umsetzen?
Experten sind bislang skeptisch, dass Russland diese Drohung tatsächlich umsetzt. "Meine Interpretation ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Stationierung von Atomwaffen in Belarus bei etwa null liegt", schreibt der UN-Atomwaffenexperte Pavel Podvig auf Twitter.
UN-Experte Pavel Podvig
Ein Hinderungsgrund: Belarus müsste alte Lagerstätten für Atomraketen wieder aktivieren. Unklar, ob das nach Jahrzehnten noch praktikabel ist – und ausländische Geheimdienste hätten ein genaues Auge auf diese Entwicklungen.
Podvig hält es aber für möglich, dass die Sprengköpfe in Militäranlagen auf russischem Gebiet nahe der Grenze gelagert werden könnten. Vor einem Einsatz könnten die Sprengköpfe nach Belarus verlegt werden, wo Trägersysteme einsatzbereit warten. "Eine Art nuklearer Teilhabe ist möglich, auch wenn die Atomwaffen nicht in Belarus stationiert werden", erklärt Podvig.
Wie kann die Nato jetzt reagieren?
Putin formulierte seine Ankündigung bewusst vage - dass mit den Raketen auch Atomsprengköpfe nach Belarus verlegt werden, hat er explizit nicht gesagt. Aber das ist die Botschaft, die ankommen soll.
Diese Unklarheit ermöglicht es Russland, jede Reaktion der Nato als übertrieben und ungerechtfertigt darzustellen. Zudem wird Russland vermutlich erneut auf die nukleare Teilhabe der Nato verweisen, die auch Deutschland umfasst. Anders als die Pläne von Russland und Belarus ist diese Teilhabe jedoch in internationalen Verträgen implizit festgeschrieben.
Der anstehende Nato-Gipfel kommende Woche in Madrid bietet dem Militärbündnis einen optimalen Zeitpunkt für eine öffentlichkeitswirksame Reaktion. Doch wie soll diese Ausfallen? Will man Russlands Eskalation mitgehen, könnte man die Nato-Russland-Grundakte in Frage stellen. Und so die Tür aufstoßen für die Stationierung von Atomwaffen entlang der Nato-Ostflanke.
Ex-Nato-General Heinrich Brauß
Es wäre ein Schritt, der an die Hochzeit des Kalten Krieges und den Nato-Doppelbeschlusses von 1979 erinnert – und eine Schwächung der Anti-Atomwaffen-Bemühungen weltweit.
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Quelle: Mit Material von AFP