: Türkei greift Kurdengebiete in Syrien an

von Jörg-Hendrik Brase
11.02.2023 | 05:51 Uhr
Während die Erdbebenopfer in Nordsyrien auf dringend benötigte Hilfe warten, liefern sich kurdische Milizen und türkische Streitkräfte weitere Gefechte.
Das Beben, das Tausende von Gebäuden zerstörte, war eines der tödlichsten weltweit seit mehr als einem Jahrzehnt.Quelle: AP
Als sei das Leid nach dem Erdbeben nicht schon groß genug, auf beiden Seiten der türkisch-syrischen Grenze, flogen Bomben und Raketen.

Türkei kontrolliert große Teile Nordsyriens

Kräfte der syrisch-kurdischen sogenannten "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) sollen kurz nach dem schweren Erdbeben vom vergangenen Montag türkische Stellungen im Grenzort Öncüpinar angegriffen haben. Als Vergeltung, so das türkische Verteidigungsministerium, habe man daraufhin YPG-Einheiten in Tal Rifaat mit Luftstreitkräften angegriffen.
Seit 2018 kontrolliert die Türkei große Teile Nordsyriens und kündigte vor Monaten an, wegen anhaltender Bedrohung durch kurdische Milizen seinen Einflussbereich entlang der Grenze auszuweiten. Nach Interventionen Russlands und der USA gab Präsident Erdogan bislang noch keinen Marschbefehl.

Nach den schweren Erdbeben in der Grenzregion von der Türkei und Syrien ist die Lage noch immer dramatisch. Die Rettungskräfte und freiwillige Helfer arbeiten rund um die Uhr. Nun können UN-Konvois auch in das schwer getroffene Syrien rollen.

10.02.2023 | 08:24 min
Doch gibt es immer wieder Angriffe und Scharmützel. Die Türkei betrachtet die YPG als syrischen Ableger der in der Türkei aktiven Terrororganisation "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK).

Situation der Erdbebenopfer dramatisch

Nun liegen nach den beiden verheerenden Erdstößen Anfang der Woche große Teile auf beiden Seiten der Grenze in Trümmern. Da die türkisch-syrische Grenze bis auf einen Übergang für humanitäre Hilfe Richtung der syrischen Flüchtlingshochburg Idlib geschlossen ist, kamen bislang kaum internationale Hilfslieferungen in die Erdbebengebiete im Norden.
Die Situation der Erdbebenopfer in Syrien ist dramatisch. Es fehlt an allem. Trotz anderslautender Beteuerungen hat der syrische Machthaber Assad bislang keine Lieferungen in das von Rebellen kontrollierte Idlib zugelassen. Auch die Hilfe für die kurdische Autonomieregion läuft nur schleppend.
Internationale Organisationen forderten den türkischen Präsidenten auf, weitere Grenzübergänge zu öffnen, damit mehr Hilfe aus dem Süden der Türkei in die betroffenen Gebiete auf der syrischen Seite gelangen könne. Am Freitag soll zumindest ein weiterer Übergang geöffnet worden sein.

Unklar, ob beide Seiten auf weitere Angriffe verzichten

Dennoch gibt es weiter Kritik. Die Co-Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, besuchte das Grenzgebiet und meinte, dass "bislang zu wenig in den kurdischen Gebieten" geholfen werde. Sowohl in der Türkei, erst recht in Syrien.
Nun kündigte die PKK einen Waffenstillstand an. "Stoppt die Operationen in den Städten der Türkei" forderte das PKK-Führungsmitglied Cemal Bayik von seinen Kämpfern, vermeldete die PKK-nahe Nachrichtenagentur Firat. Voraussetzung sei, dass auch die Türkei ihre Angriffe einstelle, so Bayik. Noch ist nicht klar, ob beide Seiten tatsächlich auf weitere Angriffe verzichten werden. Zum Wohle der vom Erdbeben betroffenen Menschen. Denn die bräuchten dringend humanitäre Hilfe und keinen Bürgerkrieg.
Jörg Brase ist Korrespondent im ZDF-Studio Istanbul.

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