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: Johnson-Nachfolge: Erste Abstimmungsrunde

13.07.2022 | 12:34 Uhr
Johnsons Erbe ist heiß umkämpft. Acht Kandidatinnen und Kandidaten ringen um die Nachfolge als Tory-Chef und Premier. Heute gibt es eine erste Abstimmungsrunde in der Fraktion.
Boris Johnson verlässt die Downing Street 10 (Archivbild)Quelle: Reuters
Das Rennen um die Nachfolge des scheidenden britischen Premierministers Boris Johnson geht am heutigen Mittwoch in die nächste Phase. Acht Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich in einer ersten Abstimmungsrunde in der konservativen Parlamentsfraktion zur Wahl.

Wie läuft die Wahlprozess ab?

Die Auswahl treffen zunächst die 358 Abgeordneten der konservativen Fraktion im Unterhaus, und zwar in geheimer Wahl. Im ersten Wahlgang fliegt raus, wer nicht mindestens 30 Unterstützer hinter sich bringt. Anschließend wird bei jeder weiteren Runde der Letztplatzierte ausgesiebt - bis nur noch zwei übrig sind.
Dann entscheiden die Parteimitglieder per Brief in einer Stichwahl. Wie viele Tories stimmberechtigt sind, ist unbekannt. Schätzungen gehen von 100.000 bis 200.000 aus Wer Tory-Parteichef wird, soll spätestens am 5. September feststehen. Dann kehrt das Parlament aus der Sommerpause zurück.

Wer folgt auf Boris Johnson? Die Entscheidung soll am 5. September bekanntgegeben werden. Bis jetzt haben elf Bewerber ihren Hut in den Ring geworfen.

11.07.2022

Wer sind die Kandidaten?

Auf der Bewerberliste sind sowohl hochrangige Kabinettsmitglieder als auch Außenseiter. Als gesetzt für die finale Runde gilt Ex-Finanzminister Rishi Sunak. Der 42-Jährige hat zahlreiche prominente Unterstützer um sich geschart. Allerdings schlägt ihm auch heftige Ablehnung entgegen, weil er für die größte Steuererhöhung seit Jahrzehnten verantwortlich gemacht wird und als Johnson-Gegner gilt.
Erwartet wird, dass sich Außenministerin Liz Truss und Handels-Staatssekretärin Penny Mordaunt ein Duell um den zweiten Platz liefern. Truss gilt als Favoritin der Johnson-Getreuen, Mordaunt als Liebling der konservativen Basis.
Kurz vor Beginn der ersten Abstimmungsrunde nahm der Ton an Schärfe zu: Kulturministerin Nadine Dorries bezichtigte das Team um Ex-Finanzminister Rishi Sunak "schmutziger Tricks", um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sunak-Unterstützer, so der Vorwurf, hätten Ex-Gesundheitsminister Jeremy Hunt Stimmen geliehen, um einen leicht zu schlagenden Kandidaten in die Endrunde zu bringen.
Brexit-Staatssekretär Jacob Rees-Mogg griff Sunak ebenfalls an. Der Ex-Finanzminister habe "wirtschaftlich schädliche" Steuererhöhungen durchgesetzt, sagte Rees-Mogg dem Sender Sky News. Sunaks Steuerpolitik hatte er zuvor sogar mit Sozialismus - einem Schimpfwort unter britischen Konservativen - verglichen. Sowohl Dorries als auch Rees-Mogg gelten als treue Johnson-Unterstützer. Beide sprachen sich für Truss als dessen Nachfolgerin aus.
Die Kandidaten für Johnsons Nachfolge im Überblick:

Ex-Finanzminister Rishi Sunak

Quelle: Reuters
Der frühere Finanzminister Rishi Sunak etablierte während der Corona-Pandemie ein Rettungsprogramm für die Wirtschaft - und sorgte damit für Aufsehen. Mehrere einflussreiche Tory-Politiker sprachen sich für ihn aus. Viele Briten halten die Unterstützung seines Ministeriums angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten aber für zu gering und die Steuern für zu hoch. Der 42-Jährige wurde zudem wie Johnson für Verstöße gegen Lockdown-Auflagen bestraft.

Vor der Abstimmungsrunde sagte er dem "Telegraph", er wolle an die Tradition von Ex-Premierministerin Margaret Thatcher anknüpfen und Steuern "verantwortungsvoll" senken. "Man muss zuerst verdienen, was man ausgibt", sagte er.

Außenministerin Liz Truss

Quelle: dpa
Die 46-Jährige gilt als Liebling der konservativen Basis. In Johnsons Regierung war sie zunächst zwei Jahre lang Außenhandelsministerin, bevor die überzeugte Brexit-Befürworterin zur Außenministerin berufen wurde. Seit vergangenem Jahr vertritt sie zudem als Chef-Unterhändlerin in Brüssel britische Positionen. Ihr öffentliches Image pflegt Truss sorgfältig: Vergangenes Jahr ließ sie sich in einem Panzer ablichten, was an ein bekanntes Bild von Großbritanniens erster Premierministerin, Margaret Thatcher, erinnert.

Staatsministerin für Außenhandel, Penny Mordaunt

Quelle: dpa
2019 wurde sie die erste britische Verteidigungsministerin, derzeit ist die 49-Jährige Staatsministerin für Außenhandel. 2016 kämpfte sie für den Brexit. Die Reservistin der Royal Navy gilt als gute Rednerin. Einige sehen in ihr eine Kompromisskandidatin für den Vorsitz der zerstrittenen Torys.

Finanzminister Nadhim Zahawi

Quelle: Reuters
Nadhim Zahawi will das Land nach eigenem Bekunden in ruhige Verhältnisse führen und die Wirtschaft stabilisieren. Kurz vor der Abstimmungsrunde stellte er im Sender Sky News neben Steuersenkungen den Bau von 100 Schulen im Land in Aussicht, sollte er Johnson als konservativer Parteichef und Premier beerben. Zuvor hatte er auch die Erhöung des Verteidigungsetats angekündigt.

Chef des Auswärtigen Amtes, Tom Tugendhat

Quelle: dpa
Der 49-jährige ehemalige Armeeoffizier ist der Vorsitzende des einflussreichen Auswärtigen Ausschusses im Unterhaus. Er kündigte an, eine "breite Koalition" für einen "Neustart" schmieden zu wollen. Profiliert hat sich Tugendhat unter anderem mit einer harten Haltung gegenüber China und mit Kritik am Truppenabzug aus Afghanistan. Parteiintern steht ihm das Lager der Johnson-Anhänger kritisch gegenüber.

Generalstaatsanwältin Suella Braverman

Quelle: Imago
Die 42-jährige Brexit-Befürworterin ist in der Partei wegen ihrer Gegnerschaft zur EU beliebt, gilt aber als relativ aussichtslose Kandidatin. Braverman ist in der Tory-Fraktion eine der 28 sogenannten Spartaner, die den von Ex-Premierministerin Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal bei allen drei Abstimmungen im Unterhaus durchfallen ließen. Sie galt lange als Johnson-Verbündete.

Ex-Außenminister Jeremy Hunt

Quelle: Reuters
Der 55-Jährige war in einer parteiinternen Stichwahl um den Vorsitz der Konservativen Mitte 2019 Zweiter geworden, Johnson wurde automatisch Premierminister. Von Jeremy Hunt würden Beobachter einen ernsteren Regierungsstil erwarten. In den vergangenen zwei Jahren war Hunt Vorsitzender des Gesundheitsausschusses - weit ab von der aktuellen Regierung.

Ex-Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch

Die frühere britische Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch forderte kürzlich in der Zeitung "The Times" "Veränderungen". Die britische Öffentlichkeit sei "erschöpft von Platitüden und leerer Rhetorik", erklärte die 42-Jährige. "Ich kandidiere bei dieser Wahl, weil ich die Wahrheit sagen will."

Als Gleichstellungsministerin war Badenoch wegen Verzögerungen bei einem Verbot der Konversionstherapie in die Kritik geraten. Die Therapie zielt darauf ab, die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität eines Menschen zu ändern. Mitglieder des LGBT+-Beratungsgremiums der Regierung forderten, sie solle ihren Posten räumen für jemanden, der "mehr Herz für die Arbeit" habe.

Was bedeutet die Abstimmung für die Konservative Partei?

Die Ankündigungen der Kandidatinnen und Kandidaten ähneln sich. Alle versprechen Steuererleichterungen. Schon jetzt sieht es so aus, als ob die Tories noch weiter nach rechts rücken. Wer den Brexit anzweifelt oder zurück will in den EU-Binnenmarkt, hat keine Chance.
Im Streit mit der EU um Sonderregeln für Nordirland gibt es keinen Widerspruch zu Johnsons Plänen, das Abkommen auszuhebeln. Einige Kandidaten haben bereits angekündigt, Großbritannien auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zu führen. Auch beim Thema Migration halten die Bewerber an umstrittenen Vorhaben fest. Illegal Eingereiste sollen ohne Prüfung ihres Asylantrags und unabhängig von ihrer Nationalität ins ostafrikanische Ruanda gebracht werden.

Wird es eine Neuwahl geben?

Die Opposition fordert Neuwahlen. Ein neuer Premier dürfte zudem gleich unter Rechtfertigungsdruck stehen. Wahrscheinlich kommen schnell Vorwürfe, ohne eigenes Zutun lediglich von Johnsons ausgezeichnetem Ergebnis 2019 zu profitieren.
Das Problem: Aktuell sehen Umfragen die Labour-Partei weit vor den Tories. Viele konservative Abgeordnete haben kein Interesse an einer baldigen Wahl, weil sie ihren Sitz verlieren könnten. Einen gesetzlichen Zwang für eine Neuwahl nach einem Wechsel in der Downing Street gibt es nicht, doch der Druck dürfte wachsen. Regulärer Termin für die nächste Parlamentswahl: 2024.

Was sind die Baustellen für den neuen Premier?

Die Aufgaben sind gewaltig. Die Partei ist zerrissen. Ihr Image liegt nach etlichen Skandalen in Trümmern. Bei Nachwahlen gab es zuletzt schwere Klatschen. Zwar betont Johnson stets, die britische Wirtschaft sei stark aus der Corona-Pandemie gekommen.
Doch die Zahlen zeigen ein anderes Bild: Die Bevölkerung leidet unter der höchsten Inflation seit rund 40 Jahren und den höchsten Steuern seit rund 70 Jahren. Spielraum gibt es wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine kaum. Die Energiekosten steigen auch auf der Insel immer weiter Im Gegensatz zu den EU-Staaten kommt hinzu, dass die negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexits immer deutlicher werden.

Wieso braucht das Land überhaupt eine neue Führung?

Der letzte Skandal war einer zu viel: Johnson hat nach erheblichem Druck aus seiner Konservativen Partei den Rückzug von der Partei- und damit auch der Regierungsspitze angekündigt. Der 58-Jährige will aber in der Downing Street bleiben, bis die Nachfolge geklärt ist.
Letztlich stürzte er über einen Parteifreund, der beschuldigt wird, betrunken zwei Männer begrapscht zu haben. Johnson musste schließlich zugeben, dass er den Mann in ein wichtiges Fraktionsamt gehievt hatte - obwohl er von Vorwürfen der sexuellen Belästigung wusste.
Quelle: dpa

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