Exklusiv

: Bundeswehr fehlen Panzer für Nato-Speerspitze

von Nils Metzger, Thomas Reichart
06.03.2023 | 17:18 Uhr
Die Bundeswehr kann ihre Zusagen an die Nato für die Eingreiftruppe VJTF kaum erfüllen. Interne Dokumente belegen anhaltende massive Ausfälle bei brandneuen Leopard-2-Kampfpanzern.
Von ihr hängt die Sicherheit Europas ab: die schnelle Nato-Eingreiftruppe VJTF. Im Kriegsfall zieht sie als erste ins Gefecht; sie soll Angreifer aufhalten, bis der Rest der Nato mobilisiert werden kann. Es ist eine der schwierigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben im Bündnis – Jahr für Jahr übernimmt darum ein anderes Land die Führung.
2023 stellt Deutschland mit rund 8.000 Soldatinnen und Soldaten den Kern dieser Nato-Speerspitze. Innerhalb von zwei bis sieben Tagen müssen sie bereit sein für eine Verlegung an die Front. Seit vielen Monaten bereiten sie sich auf diese Aufgabe vor.

Kann die Bundeswehr ihre Nato-Verpflichtung erfüllen?

Die Bundeswehr hat der Nato konkrete Truppen mit konkreten Fähigkeiten garantiert. Ein zentraler Verband ist das Panzerbataillon 393 im thüringischen Bad Frankenhausen. Dieses Bataillon wurde ausgewählt, weil es als einziges vollständig mit hochmodernen Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 A7V ausgestattet ist. Auf diese Panzer baut die Nato.
Offiziell ist der Verband top vorbereitet. Als Deutschland im Januar seine Führungsrolle übernahm, titelte das Verteidigungsministerium (BMVg) auf seiner Webseite: "Deutsches Heer bereit für die VJTF 2023." Doch interne Bundeswehr-Dokumente belegen handfeste Probleme bei der Einsatzbereitschaft der VJTF-Panzertruppe.
30 seiner 44 Leopard-2-Panzer muss das Panzerbataillon 393 jederzeit für den Ernstfall bereithalten - das ist der Nato zugesagt. ZDF frontal liegt eine als Verschlusssache eingestufte "Verfügbarkeitsprognose" der Panzergrenadierbrigade 37 von Anfang Februar 2023 vor, wonach bei dem ihr unterstellten 393er-Bataillon im Januar statt 30 lediglich 17 Panzer einsatzbereit waren. 20 waren es im Februar.
Mit Stand heute verfügt das Panzerbataillon 393 über 20 einsatzbereite und verfügbare Kampfpanzer Leopard 2 A7V.
Interner Bericht der Panzergrenadierbrigade 37 vom 8. Februar 2023
Ob die Bundeswehr ihre VJTF-Verpflichtungen in den ersten Monaten 2023 hätte erfüllen können, scheint so mehr als fraglich. "Es wäre natürlich ein erhebliches Problem, weil diese Panzer gegenüber der Nato zugesagt wurden und ein integraler Bestandteil der Abschreckung gegenüber Russland sind", sagt Aylin Mathlé, Sicherheitsexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Bataillon in Bayern wird verdeckt für VJTF geplündert

Auch im Rest des Jahres bleibt die Lage im 393er-Verband dem Schreiben zufolge prekär. In keinem Monat werden dort mehr als 23 Leopard 2 A7V einsatzbereit zur Verfügung stehen, im Juli sogar nur 14.
ZDFheute Infografik
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Die Leopard-Lücken beim Bataillon 393 soll nun unter der Hand ein anderer Verband behelfsmäßig schließen. "Die VJTF-Verpflichtung kann nur unter Rückgriff auf das Panzerbataillon 104 erfolgen", so der Bericht. Im Kriegsfall müsste also das in Bayern ansässige Bataillon 104 innerhalb kürzester Zeit seine Panzer abgeben. Die Soldaten dort stünden ohne Gerät da.
Doch eine verlässliche Lösung ist das nicht: Denn offiziell darf von den Panzer-Problemen in Thüringen nichts nach außen dringen. Auf eine Rolle in der Nato-Speerspitze sind die Panzer des Bataillons 104 bislang kaum vorbereitet.
Ist die Einsatzbereitschaft dort ähnlich schlecht wie beim VJTF-Verband in Thüringen, könnte die Bundeswehr selbst nach dem Plündern mit zu wenig Material dastehen. Denn das Bataillon 104 verfügt bislang erst über wenige Leopard 2 A7V. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Berichts waren neun von der Industrie ausgeliefert, Ende Februar 13, ab Ende April sollen es 25 sein.

Die Bundeswehr steckt in einer Krise: defekte Panzer, fehlende Munition, frustrierte Soldaten. Ministerinnen und Minister wechselten, die Probleme aber wuchsen.

17.01.2023 | 12:52 min

Monatelange Verzögerungen bei der Panzer-Wartung

Ohne die Anwendung bürokratischer Kniffe würde das Bataillon 393 sogar mit noch weniger Panzern dastehen. So sei eine vorgeschriebene Wartungsfrist für die VJTF-Kampfpanzer kurzerhand von 12 auf 24 Monate verlängert worden. Andernfalls wären elf weitere Leopard 2 des Verbands "schlagartig" als nicht einsatzbereit eingestuft worden, heißt es in dem Schreiben.
Grund für die vielen Ausfälle sind laut der internen Schilderung Verzögerungen bei der Leopard-2-Wartung in einem Werk des Herstellers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in Kölleda. Dort seien Stand Februar 19 der 393er-Kampfpanzer gebunden. Die Truppe plane mit einer durchschnittlichen Abwesenheit dieser Fahrzeuge von sechs Monaten – was weit mehr sei als die vorgegebene Richtzeit.
Laut dem Schreiben wurden die Probleme bereits gegenüber den obersten militärischen Ebenen angesprochen, inklusive Kommando Heer. Am 15. Februar soll es eine "Krisenbesprechung zur Lage in Kölleda" gegeben haben. "Ob die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Beschleunigung Erfolg haben, kann mit Ende des ersten Quartals 2023 bewertet werden", so das Schreiben.

Bundeswehr: "Können Bündnisaufgaben erfüllen"

Soldaten der Brigade sind frustriert - und werfen der Bundeswehr vor, Verbündete über die reale Einsatzbereitschaft des deutschen VJTF-Verbands im Unklaren zu lassen:
Die Nato weiß natürlich nichts davon. Wir melden wie verrückt, jeder in der Meldekette weiß, wie die Truppe dasteht – dennoch kommt oben immer nur Gutes an.
Soldat der Panzergrenadierbrigade 37
Auf ZDF-frontal-Anfrage hin wollten sich Bundeswehr und Hersteller KMW nicht zur Einsatzbereitschaft der Leopard 2 A7V in der VJTF äußern. "Unabhängig davon kann die Bundeswehr aber weiterhin ihre Bündnisaufgaben, einschließlich VJTF 2023, ausnahmslos erfüllen", teilte ein Sprecher des Heeres mit. KMW betonte, man habe den Leopard 2 A7V und damit verbundene Logistik vertrags- und termingerecht an die Bundeswehr ausgeliefert.
Die Nato, unsere Alliierten können sich zu hundert Prozent auf die Zusagen aus Deutschland verlassen und das gilt auch für die VJTF. Selbstverständlich werden wir da die gemachten Zusagen einhalten. Wir haben immer mitgedacht, wir haben immer mitgeplant, dass es Probleme geben kann.
Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im Dezember 2022
Die Bundeswehr scheint zu hoffen, dass der Ernstfall nicht eintritt und die Mängel und die zahlreichen Behelfslösungen schlicht nicht auffallen. Käme der Marschbefehl der Nato, die Bundeswehr müsste Stand jetzt die versprochenen einsatzbereiten Leopard 2 A7V erst zusammensuchen.

Whistleblower-Jagd nach Puma-Skandal

Es ist nicht das erste Mal, dass die Einsatzbereitschaft der deutschen VJTF-Kontingente für negative Schlagzeilen sorgt. Im Dezember zitierte der "Spiegel" aus einem internen Schreiben von Divisionskommandeur Ruprecht von Butler und löste damit den "Puma-Skandal" aus.

In dem Brandbrief hatte sich der Generalmajor über Ausfälle beim Schützenpanzer Puma beklagt. Von der VJTF wurden diese Fahrzeuge in der Folge vorerst abgezogen; die Vorfälle trugen mit zum Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bei.

Bis heute versucht die Leitung des Heeres die Quelle des "Spiegel" herauszufinden - Soldaten mit Kenntnis des Schreibens mussten zuletzt eine schriftliche Erklärung abgeben, keine Informationen weitergegeben zu haben. Kenner der Vorgänge sprechen gegenüber ZDF frontal von einer "Paranoia in der Bundeswehr". Vermeintlichen "Nestbeschmutzern" solle es an den Kragen gehen.

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