: Bundeswehr bei Ausrüstung weiter blank

von Nils Metzger
23.11.2022 | 18:49 Uhr
100 Milliarden Sondervermögen, zwei Prozent Verteidigungshaushalt - im Februar versprach die Bundesregierung eine Zeitenwende. Doch bei der Truppe kam noch nichts davon an. Warum?
Fast neun Monate sind vergangen, seit Olaf Scholz im Bundestag in Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine eine sicherheitspolitische Zeitenwende verkündete: 100 Milliarden Euro Sondervermögen und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr für Verteidigung versprach der Kanzler.
Inzwischen wird klar: Die 100 Milliarden reichen nicht einmal aus, um die wichtigsten Lücken bei den Streitkräften zu stopfen. Von den geplanten Beschaffungen aus dem Sondervermögen hat bislang nichts die Bundeswehr erreicht. Stattdessen wird im regulären Bundeshaushalt, den das Parlament am Freitag beschließen will, um jeden weiteren Euro für die Bundeswehr gerungen.

Was sind die größten Baustellen?

Auf viele Beschaffungsprojekte aus dem Sondervermögen hofft die Truppe schon lange, teils liegen sie seit Jahren in der Schublade und warten auf die Finanzierung: Milliarden für schwere Transporthubschrauber, Kampfjets, Funkgeräte oder Schutzausrüstung.
Doch die Inflation hat auch Rüstungsgüter deutlich verteuert. Nachdem der Bundesrechnungshof im Oktober rügte, dass der geplante Finanzrahmen gesprengt werde, flogen diverse Großprojekte wieder aus dem Sondervermögen. Schiffe, Transportpanzer und anderes sollten doch wieder über den regulären Haushalt finanziert werden – konkurrieren dort aber mit anderen nötigen Beschaffungen.
Trotzdem rechtfertigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ihr Vorgehen bei einer Rede an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am Dienstag: "Diese 100 Milliarden ist ja keine Summe, die Olaf Scholz und ich zusammengewürfelt hätten, damit es so nach richtig viel aussieht. Sondern es ist das, was jetzt dringend erforderlich ist, um Lücken zu schließen."

Verteidigungsministerium schweigt zu Munitionsbeständen

Besonders mangelt es an der Munition. Nato-Vorgabe ist, dass jedes Mitglied Reserven für 30 Tage Krieg vorrätig haben muss. Experten schätzen die Bundeswehr-Bestände jedoch auf wenige Tage.
Wie viel Munition Deutschland in den kommenden Jahren tatsächlich an die Nato melden kann, wollte die Unionsfraktion im Bundestag mit einer Kleinen Anfrage herausfinden. Doch das Verteidigungsministerium (BMVg) verweigerte die Auskunft unter Verweis auf Sicherheitsinteressen, wie aus der ZDFheute vorliegenden Antwort hervorgeht.
Die Antwort war, dass uns das als Parlamentarier mehr oder weniger nichts angeht und wir das auch unter geheim eingestuft nicht zur Kenntnis bekommen. Das finde ich eine Ungeheuerlichkeit.
CDU-Verteidigungspolitiker Jens Lehmann
Laut der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) fehlt der Bundeswehr Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Lediglich eine Milliarde zusätzlich pro Jahr hat der Haushaltsausschuss Mitte November bewilligt. "Ich ziehe den Schluss, dass wir die Nato-Zusagen absolut nicht einhalten können", so der Bundestagsabgeordnete Lehmann zu ZDFheute.
Im Sondervermögen ist Munition gar nicht erst vorgesehen. Ministerin Lambrecht sagte dazu am Dienstag lediglich, dass Munition "eine Selbstverständlichkeit" sei und man bei den Haushaltsverhandlungen "jetzt darum kämpfen werde".

Das sogenannte Sondervermögen soll einmalig in diesem Jahr für das deutsche Militär aufgebracht werden. Der größte Teil soll an die Luftwaffe gehen.

23.08.2022 | 02:39 min

Bundeswehr steht schlechter da als vor neun Monaten

Experten kritisieren das Tempo von Lambrechts Ministerium als unzureichend: "Es wäre falsch zu erwarten, dass jetzt schon alle Projekte auf den Hof rollen würden. Aber es vermittelt sich der Eindruck, dass man in den letzten Monaten nicht Tag und Nacht daran gearbeitet hat, alles so möglich zu machen, dass es der neuen Sicherheitslage angemessen ist", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ZDFheute.
Die Mängel in allen Bereichen - Munition, Personal, Material - sind seit langem bekannt. Von daher habe ich auch keine Erklärung dafür, warum die Bundesregierung im Rahmen der Zeitenwende nicht als erstes auf den Knopf gedrückt hat und gesagt hat, wir bestellen erstmal alles, was wir tatsächlich brauchen.
Christian Mölling, DGAP
Auch ohne Ukraine-Krise hätte man Munition, neue Fahrzeuge und Flugzeuge gebraucht, so Mölling. Tatsächlich sei die Materiallage bei der Bundeswehr durch die Abgaben an die Ukraine sogar noch schlechter geworden. Das bestätigte auch Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" Mitte November.
Es ist weniger da als vor dem Kriegsbeginn.
Alfons Mais, Inspekteur des Heeres

Zwei-Prozent-Ziel der Nato wird 2022 verfehlt

Der Finanzbedarf der Streitkräfte könnte noch weiter steigen. "Es ist zu erwarten, dass ab 2023 mit dem nächsten Nato-Gipfel neue Versprechungen dazukommen müssen", so Experte Mölling. Bis 2025 hat die Bundeswehr der Nato etwa eine einsatzbereite Division mit rund 30.000 Soldatinnen und Soldaten zugesagt.
Die dafür nötigen Investitionen lassen weiter auf sich warten. Das Zwei-Prozent-Ziel wird Deutschland 2022 nicht erreichen. "Ich würde das sehr gerne. Wenn die Industrie liefern könnte, fände ich das ganz prima. Aber das ist eben nicht so", sagt Ministerin Lambrecht. Sie vertröstet auf die kommenden Jahre.
Diese zwei Prozent werden wir in einem fünfjährigen Durchschnitt erreichen. Da werden wir dran gemessen und da lasse ich mich auch gerne dran messen.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht
Doch Mölling bleibt mit Blick auf die begrenzten Kapazitäten der Rüstungsindustrie skeptisch: "Die Unternehmen haben jetzt volle Auftragsbücher und es kommen immer neue Aufträge dazu. Solange Deutschland nicht bestellt, rutscht es immer weiter nach hinten."
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Themen

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine