: Diplomatischer Eiertanz oder klare Kante?

von Johannes Hano
28.05.2023 | 10:05 Uhr
Auf "Risikominimierung" setzen die G7 - auch mit Blick auf ihre China-Politik. Der Begriff verdeutlicht, dass die politischen Realitäten nach langem Wegschauen akzeptiert werden.
VW-Produktion in Schanghai, China (Archivfoto)Quelle: dpa
Man wolle auf "Risikominimierung" und nicht auf "Entkopplung" setzen, um die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaften auszubauen verkündeten die G7 vergangene Woche im japanischen Hiroshima. Und das gelte auch für die Beziehungen zu China.
Risikominimierung, das hört sich irgendwie freundlicher an, nach mehr Sicherheit für alle. Weniger radikal als Entkopplung, was mehr nach endgültiger Scheidung klingt.
Und doch war es ein Statement, das klar macht, dass die Globalisierung in eine neue, konfrontative Phase tritt, dass die G7 nach langem Wegschauen beginnen, die politischen Realitäten des 21. Jahrhunderts zu akzeptieren.

Gefühl der Überlegenheit

Als das Sowjetimperium Ende der 80er Jahre in sich zusammenbrach, war das für viele im Westen Anlass, sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen. War das nicht der Beweis für die Überlegenheit kapitalistischer Demokratien?
Heute wissen wir, dass uns diese arrogante Überheblichkeit blind gemacht hat vor den enormen politischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, vor den Schattenseiten der Globalisierung.

Mehrere Hilfsorganisationen kritisieren, dass die G7 zu wenig Geld für humanitäre Krisen bereitstellen. Als Erfolg gilt die gemeinsame Haltung gegenüber Russland und China.

21.05.2023 | 01:39 min
Mit dem Gefühl der moralischen und ökonomischen Überlegenheit im Rücken sind die Unternehmen des kapitalistischen Westens Richtung Osten ausgeschwärmt, unterstützt von der Politik. "Wandel durch Handel" war das mehr als naive Credo auch deutscher Außenpolitik.

"Wandel durch Handel": Abhängigkeit von Regimen

Das Ergebnis: immer tiefere, politische, ökonomische und persönliche Verstrickungen, die uns immer weiter in die Abhängigkeit von Regimen gebracht haben, die unsere demokratischen Wertevorstellungen verachten.
Die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, dem Außenhandel mit der Volksrepublik China haben unsere demokratischen Gesellschaften erpressbar gemacht. Das politische Konzept des Wandels durch Handel hat sich umgedreht und realpolitisch gegen uns gewendet.
Der russische Einmarsch in die Ukraine und das immer aggressivere Auftreten Chinas hat mehr als 30 Jahre politisch, ökonomischer Schönfärberei mit einem Schlag beendet.

China ist die eigentliche Herausforderung

Sehr viel schneller als für möglich gehalten, hat sich Europa aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl befreit. Aber Russland ist im Vergleich zu der aufstrebenden Großmacht China ein wirtschaftlicher Zwerg. China ist die eigentliche Herausforderung.
US-Tech-Gigant Apple produziert 100 Prozent seiner iPhones in China, vier von zehn Autos deutscher Hersteller, so eine Studie des Center Automotive Research, werden in China verkauft. China ist für die USA und viele Länder in der EU der größte Handelspartner. Viele Millionen Arbeitsplätze stehen auf beiden Seiten auf dem Spiel, sollten sich die Handelsbeziehungen abrupt verschlechtern.
Beide Supermächte aber sind längst dabei, sich voneinander wirtschaftlich unabhängiger zu machen, um in der Auseinandersetzung um die geopolitische Vormachtstellung Handlungsspielräume zu gewinnen.

China bezeichnet sich als Freund Russlands und der Ukraine. Seit Russlands Angriffskrieg hat sich Chinas Verhältnis zur EU getrübt, denn die EU will von China unabhängiger werden.

04.04.2023 | 02:38 min

Peking setzt auf ökonomische Kontrolle

Mit der Initiative "Made in China" setzt Peking auf einen Strategiewechsel weg von wirtschaftlichem Wachstum hin zu ökonomischer Kontrolle. Peking will die Abhängigkeit von kritischer Technologie aus dem Ausland beenden, mit Hunderten Milliarden an Investitionen eine Dominanz heimischer Unternehmen schaffen, die so gestärkt dann auch den Weltmarkt dominieren sollen.
In den USA gibt es kein Thema, das die sonst so zerstrittenen Demokraten und Republikaner stärker eint als die wirtschaftliche Entkopplung von China. Im Wesentlichen geht es dabei um die Reduzierung chinesischer Importe, mehr heimische Produktion und den Schutz ziviler und militärischer Infrastruktur.

Chinas Wirtschaft meldet sich nach den Corona-Einschränkungen zurück: Die Exporte ziehen überraschend stark an. Vor allem der Handel mit Russland boomt.

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Diplomatische Risikominimierung

Es geht dabei für beide um die Vormachtstellung in einer sich neu entwickelnden Weltordnung. Europa, als wirtschaftlicher Riese, aber geopolitischer Zwerg, sucht nach der richtigen Strategie, will weder die USA als Schutzmacht noch China als wichtigsten Handelspartner brüskieren.
Und so hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem G7-Gipfel den Begriff der Risikominimierung ins Spiel gebracht, der diplomatisch in Richtung China etwas sanfter klingen soll als Entkopplung und gleichzeitig die USA nicht an enger Freundschaft zweifeln lässt.

Kurz vor ihrer Chinareise hielt EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine Grundsatzrede zu der Beziehung zu China. Sie forderte eine neue China-Strategie der Europäischen Union.

30.03.2023 | 01:44 min

Europa muss sich entscheiden

Was genau in der politischen Praxis der Unterschied sein wird, ist alles andere als klar. Für die USA jedenfalls war es kein Problem, sich den europäischen Begrifflichkeiten anzuschließen. Chinesische Staatsmedien sehen in der diplomatischen Begriffsakrobatik sowieso nur den Versuch, die wahren Ziele zu verschleiern.
Die USA und China werden sich in ihrem Ringen um die Vormachtstellung in einer neuen Weltordnung nicht mit Begrifflichkeiten aufhalten.
Wir Europäer müssen uns am Ende die Frage stellen, auf welcher Seite wir stehen und welchen Preis wir bereit sind dafür zu zahlen.
Johannes Hano ist Leiter des ZDF-Studios New York.

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