: Ein Hauch von Kaltem Krieg in München

von Ines Trams, München
18.02.2023 | 21:00 Uhr
China lehnt die Politik des Kalten Krieges ab - und lässt doch einen Hauch davon durch den Bayerischen Hof wehen. In München greift ein Topdiplomat aus Peking Washington klar an.
Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist in diesem Jahr ein Ort der Selbstbestätigung des Westens. Regierungsmitglieder aus Russland und Iran sind explizit nicht eingeladen, MSC-Vorsitzender Christoph Heusgen wollte ihnen keine Bühne für ihre Propaganda geben. Und so bleibt man im Bayerischen Hof unter sich.

Wang Yi bringt einen Hauch von Kaltem Krieg

Einer der wenigen Momente, in denen konträre Positionen mehr als deutlich werden, ist der Auftritt des höchsten chinesischen Außenpolitikers Wang Yi. Chinas Top-Diplomat wirft den USA eine Schmutzkampagne und aggressives Verhalten gegen sein Land vor.

Fakten zur Münchner Sicherheitskonferenz

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist das weltweit wichtigste Treffen von Politikern und Experten zum Thema Sicherheitspolitik. Dieses Mal werden 40 Staats- und Regierungschefs und fast 100 Minister erwartet. Die russische Führung ist zum ersten Mal seit den 1990er Jahren nicht eingeladen.

Wichtigstes Thema dieses Jahr: der Ukraine-Krieg. Seit Freitag soll es drei Tage lang darum gehen, wie dieser Krieg beendet werden kann. Eröffnet wurde das Treffen am Freitag mit einer Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: "Goliath wird dieses Jahr fallen".

Wang Yi war früher Außenminister, mittlerweile ist er Direktor des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Seine Rede beginnt Wang mit einer pathetischen Darstellung Chinas als Friedensstifter der Welt.
Wir alle sind Bewohner des globalen Dorfes und wir überleben nur, wenn wir einander vertrauen.
Wang Yi, chinesischer Diplomat
Ein starkes China sei Garant für mehr Menschlichkeit, für mehr Sicherheit auf der Welt. Dialog und Konsultation statt Block-Konfrontation wie in Zeiten des Kalten Krieges, das sei die chinesische Leitlinie. Doch der Rest seines Auftritts erinnert genau daran – an die Rhetorik des Kalten Krieges.
[Sehen Sie hier eine Doku-Reihe von ZDFinfo über die Geheimnisse des Kalten Krieges.]

China - Friedensstifter der Welt?

Das Bild des "friedliebendes Chinas" nutzt Wang auch mit Blick auf die Ukraine. Der Diplomat betont Chinas Drängen auf Verhandlungen und verweist auf den chinesischen Versuch, solche Gespräche kurz nach Beginn des Krieges zu initiieren.
Wie realistisch eine chinesische Friedensinitiative ist und was dahinter steckt:
Auch jetzt kündigt Wang ein Positionspapier an, das auf dem Gedanken von territorialer Integrität basiert, das sich gegen eine nukleare Auseinandersetzung ausspricht, aber auch Sicherheitsbedenken aller Beteiligter aufgreift – wohl eine Anspielung auf die Sorgen Moskaus vor einem möglichen Vorrücken der Nato. Russland verurteilt er nicht.

Wang will Keil zwischen Brüssel und Washington

Zwischen Europa und USA versucht Wang dagegen einen Keil zu treiben, es scheint, dass die beiden im Zuge des Krieges für Pekings Geschmack zu sehr zusammengerückt sind. Er umwirbt die Europäer und schießt verbal gegen die USA.
Wang wirbt für eine europäische "strategische Autonomie" und fordert die Europäer auf, sich mit Bedacht für Frieden in der Ukraine einzusetzen. Dagegen verweist er auf nicht benannte "Kräfte", die aus "strategischen Gründen" an einer friedlichen Lösung nicht interessiert seien.
Das ist eine Anspielung auf die USA, die in den Augen Pekings die eigentlichen Kriegstreiber sind, betont auch Reinhard Bütikofer, Europapolitiker der Grünen und China-Kenner.
Wang Yi hat auf plumpe Art versucht, die USA zu beleidigen, während er die Europäer umwarb. Es war so offensichtlich, dass nur komplett naive Leute darauf reinfallen können.
Reinhard Bütikofer, Europapolitiker (Grüne)
Territoriale Integrität ist das Prinzip, das Wang mehrfach als Garant für Frieden in der Welt preist. Doch es wird klar: Mit Blick auf die Ukraine gilt es nur eingeschränkt.

Röttgen: Kiews Integrität für China kein Thema

Der Außenpolitiker der Unions-Fraktion im Bundestag, Norbert Röttgen urteilt nach Wangs Auftritt:
Die Integrität von Staaten wird von China immer propagiert. Im Fall der Ukraine aber verrät China dieses Prinzip.
Norbert Röttgen, CDU
Bütikofer pflichtet ihm bei: Territoriale Integrität gelte in Chinas Augen bei der Ukraine "mit einem speziellen Rabatt zu Gunsten Russlands, also, gilt sie nicht mit Blick auf die Ukraine."

Neuer Streit um Taiwan

Sehr wohl gilt für Wang aber das Prinzip der territorialen Integrität bei Taiwan. Territoriale Integrität, die der Westen der Ukraine gewähre, solle auch für China gelten, es dürfe keinen Doppelstandard geben, so Wang. Unnachgiebig und hart zeigt er sich bei diesem Thema.
Taiwan war noch nie ein eigenständiges Land und das wird es auch in Zukunft nicht sein.
Wang Yi, Diplomat
Denjenigen, die die Unabhängigkeit von Taiwan fordern, wirft er vor, Frieden und Stabilität zu untergraben. Jede Verletzung der Ein-China-Politik oder der Versuch, zwei Chinas zu schaffen, sei "eine große Verletzung" der territorialen Souveränität Chinas.

Scharfe Töne in der Ballonkrise

Die sogenannte Ballonkrise nutzt Wang Yi, um eine Hetzrede auf die USA zum Besten zu geben. Erneut spricht er von einem Wetterballon, der vom Weg abgekommen sei. Den Abschuss des Ballons durch die USA nennt er "absurd und hysterisch", motiviert aus innenpolitischen Gründen heraus.
Recherchen zeigen: Hinter den mysteriösen Spionageballons über den USA verbirgt sich ein ausgefeiltes Spionagesystem.
Wang wirft den USA einen inakzeptablen Missbrauch von Gewalt vor – eine solche Reaktion kennzeichne nicht eine starke, sondern eine schwache Nation.

Warnung der US-Vizepräsidentin Kamala Harris

Knapp eine Stunde nach Wangs Auftritt betritt Kamala Harris die Hauptbühne in München. Voll Pathos beschwört die US-Vizepräsidentin die Unterstützung der USA und des Westens für die Ukraine, die weitergehen werde "as long as it takes."
Offiziell beschuldigt Harris Russland, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Besorgt sei sie, da Peking seine Beziehungen mit Moskau ausgebaut hätte. Und sie warnt China davor, Russland bei seinem Krieg gegen die Ukraine mit Waffen zu unterstützen.

China und die USA: War das diesmal alles?

Am späten Samstagabend wird bekannt, dass es zu einem bilateralen Gespräch zwischen dem Chinesen Wang mit US-Außenminister Antony Blinken gekommen ist, an einem geheimen Ort, wie es heißt.
Laut US Außenministerium ist es kein ganz freundliches Zusammentreffen: Antony Blinken habe klar gemacht, es dürfe keinen zweiten Ballon-Zwischenfall geben. Zudem wiederholte er die Warnung der Vize-Präsidentin, Peking dürfe Moskau keine militärische Unterstützung zukommen lassen. Am Ende dieses Tages ist klar: Die beiden Supermächte liegen so weit auseinander wie lange nicht. 
Ines Trams ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.
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