: Zwölf-Punkte-Papier: Was China damit bezweckt

von Jan Schneider
24.02.2023 | 15:51 Uhr
China hat seine Vorschläge für ein Ende des Krieges in der Ukraine veröffentlicht. Was steht drin in dem Zwölf-Punkte-Plan und was will Peking damit bezwecken?
Am heutigen Freitag wird noch eine "Friedensrede" des chinesischen Präsidenten Xi Jinping erwartet.Quelle: AP
Die chinesische Initiative, um den Ukraine-Krieg zu beenden, stößt international auf unterschiedliche Reaktionen. Einige Beobachter sehen Potenzial für eine Verhandlungslösung in dem Zwölf-Punkte-Plan, andere lesen darin eher Pekings Absicht, sein Image aufzupolieren.
Sicher scheint jedoch, dass jeder Satz in dem etwa dreiseitigen Dokument genau abgewogen wurde, und es Chinas Position im internationalen Machtgefüge der Staaten klarmachen soll. Doch was genau schlägt China vor und wie bewerten Experten die Initiative?

China fordert Respektierung der Souveränität aller Länder

Peking fordert im ersten Punkt seines Plans die Respektierung der "Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Länder". Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der UN-Charta, sollen strikt eingehalten werden, heißt es.
Dieser Punkt richte sich - ohne es explizit zu nennen - klar gegen Moskau, sagt Klaus Mühlhahn, Professor für Moderne China-Studien an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen: Russland habe den Grundsatz der Souveränität der Ukraine mit seiner Invasion klar verletzt. Das Problem dabei: Es werde - vermutlich bewusst - nicht gesagt, welche Grenzen der Ukraine Russland hätte respektieren soll. Die Grenze vor 2014, als die Krim noch nicht von Russland annektiert war, oder den Grenzverlauf vom 24. Februar 2022 kurz vor der großflächigen Invasion.
Warum steht China an der Seite Russlands - eine Spurensuche:

22.02.2023 | 62:37 min
An diesem Punkt könnte China Druck auf Russland ausüben, meint der China-Experte Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auch, weil Russland zunehmend abhängig sei von Peking.
Aber das tut China mit diesem Plan leider nicht. Territoriale Integrität zu fordern, ohne zu sagen, worin legitime Grenzen bestehen, hilft nicht weiter.
Tim Rühlig, DGAP
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt in dieser Forderung nach Souveränität, so Mühlhahn: China will klarmachen, dass Taiwan zu China gehört und daran nichts zu rütteln ist.

Die russische Gebietsannexion sei so gefährlich, weil Putin "aufgrund der russischen Verfassung kein russisches Territorium abgeben" könne und sich selber die Hände gebunden hätte, so Sicherheitsexpertin Claudia Major.

24.02.2023 | 05:30 min

Botschaft an die USA: Abkehr von der "Mentalität des Kalten Krieges"

Der zweite Punkt des Papiers richtet sich nur teilweise an Russland. China fordert die "Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges". Kein Land solle die eigene Sicherheit auf Kosten eines anderen Landes verfolgen: "Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder den Ausbau von Militärblöcken erreicht werden."
Neben der Distanzierung von Russland sei das aber auch eine klare Botschaft an die USA, meint Mühlhahn. Es werde unterstellt, dass die USA den Konflikt angeheizt haben und die Nato eine Mitschuld am Krieg trägt. Auch Rühlig sieht in diesem Punkt "die Wiederholung russischer Propaganda gegen die Nato"

Waffenruhe und Friedensgespräche: Plan zeigt keine Perspektive

Die Punkte drei und vier des Plans sind an sich die Kernpunkte, gleichzeitig aber auch die am wenigsten praktikablen Forderungen. Alle Parteien sollen "rational bleiben und Zurückhaltung üben", dass sich die Krise nicht "weiter verschärft oder sogar außer Kontrolle gerät". Erreicht werden sollen ein umfassender Waffenstillstand und dann Friedensgespräche, bei denen China eine konstruktive Rolle spielen will.
Ein Jahr russische "Spezialoperation":
Damit sind wir beim Kernproblem, meint China-Experte Rühlig: Der Plan eröffne keine Perspektive, wie die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch kommen sollen. Daher sei "der Plan zum Scheitern verurteilt". Mühlhahn ist da etwas optimistischer.
Es ist keine politische Lösung, aber ein Versuch, den Dialog zwischen den Kriegsparteien wiederherzustellen.
Klaus Mühlhahn, Zeppelin-Universität Friedrichshafen

Experte: China hat Angst vor Zusammenbruch Russlands

Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht noch einen weiteren Aspekt in dem chinesischen Plan. China habe große Sorge vor einem Zusammenbruch Russlands. Der Konflikt solle aus Pekinger Sicht lieber eingefroren als gelöst werden, wenn die Lösung eine Destabilisierung des russischen Regimes bedeuten könnte. Daher beharre die chinesische Führung auch so stark auf ihrer "prorussischen Neutralität".
China sieht den Krieg als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA. Wenn es zu einer Destabilisierung in Russland kommt, steht China alleine da gegen die USA. Das sieht man in Peking mit Sorge.
Nadine Godehardt, Stiftung Wissenschaft und Politik

Imagepflege mit unverfänglichen Forderungen

Die weiteren Punkte des Plans gehören nach Einschätzung der Expert*innen eher in die Kategorie Imagepflege: Es sind einfache Forderungen, denen kaum jemand widersprechen wird:
  • Atomwaffen sollen niemals zum Einsatz kommen.
  • Zivilisten sollen geschützt und sichere Fluchtkorridore eingerichtet werden.
  • Humanitäre Hilfe soll ermöglicht und unterstützt werden.
  • Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, die Grundrechte von Kriegsgefangenen achten und auch Gefangene austauschen.
  • Kernkraftwerke oder andere friedliche Nuklearanlagen dürfen nicht angegriffen werden.
  • Die Förderung des Wiederaufbaus nach dem Konflikt.

ZDF-Korrespondentin Elisabeth Schmidt: China fordert eine Waffenruhe und knüpft diese an Bedingungen.

24.02.2023 | 02:47 min

China als Sprachrohr für Regionen außerhalb des Westens

Worin sich die Expert*innen einig sind: Die Friedensinitiative hat innerhalb der zwölf Punkte ganz unterschiedliche Adressaten. Während sich die ersten Punkte klar an Russland und die USA richten, werden in den späteren Punkten die Auswirkungen des Krieges auf den Rest der Welt berücksichtigt.
Peking fordert die Erleichterung des Getreideexports aus der Ukraine und die Stabilisierung der Industrie- und Lieferketten. Mühlhahn sieht darin den Versuch, Sorgen in Brasilien, Indien oder allgemein dem globalen Süden aufzugreifen und sich als Schutzpatron zu inszenieren.
Das Dokument ist sehr geschickt für den Rest der Welt geschrieben als Sprachrohr für Regionen außerhalb des Westens. Die chinesische Führung sieht in internationalen Krisen stets eine Chance, um sich zu positionieren.
Klaus Mühlhahn, Zeppelin-Universität Friedrichshafen
Dazu passe auch die Forderung, einseitige Sanktionen fallenzulassen. Ein Vorschlag, der in Europa oder den USA nicht akzeptiert werden wird, im Rest der Welt aber durchaus populär ist.
Fazit: Insgesamt handelt es sich bei dem Zwölf-Punkte-Plan nicht um völlig neue Aussagen der chinesischen Führung. Es ist eher eine Zusammenfassung verschiedener Prinzipien, die im Laufe es letzten Jahres schon häufiger von Peking geäußert wurden.
Es ist eine Sammlung von sehr fundamentalen Grundsätzen. Das sagt aber noch nichts zur Umsetzbarkeit. Es gibt keine klaren Handlungsempfehlungen.
Klaus Mühlhahn, Zeppelin-Universität Friedrichshafen
Grundsätzlich hätte die chinesische Initiative ein gewisses Potential, bleibt aber an vielen Stellen vage und übt keinen Druck auf Russland aus. Es bleibt vor allem unklar, wie die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch kommen sollen. Ein klarer Fahrplan in Richtung Frieden ist der Plan daher nicht.
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