: Chinas "großer Sieg" zu einem hohen Preis

von Miriam Steimer
04.03.2023 | 21:34 Uhr
Chinas Triumph über Corona sei ein "Wunder der Menschheitsgeschichte", verkündet die Staatsführung. Dafür haben viele teuer bezahlt: mit ihrer Freiheit oder sogar ihrem Leben.
Menschen in China, wie hier in Wuhan, bezahlten für die Null-Covid-Politik mit ihrer Freiheit.Quelle: Imago
Xia Qiyun gehört zu den ersten, die der chinesische Staat unter Führung von Xi Jinping im Januar 2020 in ihren Wohnungen einsperrt. Seit elf Jahren hat er seinen Friseur-Laden in der Stadt, die ins kollektive Corona-Gedächtnis eingebrannt ist: Wuhan. Hier gibt es die ersten Corona-Toten, die ersten überfüllten Krankenhäuser, den ersten Lockdown.

Xia Qiyun: "Die Leute wollen doch Freiheit und Leben"

Xia Qiyun zieht damals ins Wohnheim seiner Mitarbeitenden, um seine Familie zu schützen. Er darf nämlich trotz Lockdown raus: mit einer Sondergenehmigung, um Ärzten, Ärztinnen und Pflegepersonal die Haare zu schneiden. Frisuren, die der heute 51-Jährige nicht schön findet, bei denen die Corona-Schutzkleidung am Nacken aber gut abdichtet.
Instagram-Beitrag ZDFheute
Erst im Dezember 2022 infiziert er sich mit Corona. Wie so viele kurz nach der plötzlichen Abkehr von den extremen Regeln.
Ich war überrascht, als ich dann auch positiv war, aber ich hatte keine Angst. Im Westen wurde ja schon viel früher geöffnet. Die Leute wollen doch Freiheit und Leben.
Xia Qiyun, wohnt in Wuhan

Ausmaß der Proteste in China außergewöhnlich

Freiheit und Leben. Dafür gehen Ende November in vielen Städten vor allem junge Leute auf die Straße. In diesem Ausmaß ist das in China außergewöhnlich. Kurze Zeit später erklärt die Staatsführung Covid-19 plötzlich zu einer harmlosen Erkältung und hebt die extremen Maßnahmen auf. Jetzt verkündet sie gar einen "großen und entscheidenden Sieg" im Kampf gegen das Coronavirus. Auch wenn die Proteste für diesen Kurswechsel wohl nicht der Hauptgrund waren, waren sie von außen betrachtet also erfolgreich.
Doch viele, die dabei waren, zahlen einen hohen Preis. Yixuan (Name geändert) bekommt zwei Tage danach einen Anruf. "Ein Mann ist dran, er sagt, er sei Polizist. Er überprüft meine Daten, er hatte alles: Führerschein, Telefonnummer, Arbeitsstelle, wann ich wo war. Und dann fragt er: Warst Du bei den Protesten dabei?"
Yixuan sagt: Ja. Er hat zwar Angst, doch schließlich habe er nichts Verbotenes gemacht. Der Polizist sieht das anders: "Wir haben Dich auf dem Radar. Wenn Du es wagst, sowas nochmal zu machen, werden wir Dich bestrafen." Was das genau bedeutet, weiß er noch nicht. Doch er weiß: Er hatte Glück. Im Gegensatz zu einer Freundin:
Ich weiß von ihrer Mutter, dass sie Mitte Dezember von der Polizei abgeholt wurde und seitdem nicht mehr aufgetaucht ist.
Yixuan (Name geändert)

Nach Corona-Protesten: Mehr als 200 Verhaftungen bekannt

Ein Fall von vielen: Mehr als 200 Verhaftungen sind bekannt. Sophie Mak hat eine ganze Liste veröffentlicht:
Tweet von Sophie Mak
Die Menschenrechtsaktivistin stammt aus Hongkong, inzwischen lebt sie in Sydney, kann freier sprechen. "Mindestens vier junge Frauen wurden verhaftet mit dem Vorwurf: Anzettelung von Streitereien und Erregung von Unruhe", sagt sie.
Nach dem chinesischen Strafrecht drohen Ersttätern bis zu fünf Jahre Gefängnis. Es ist ein sogenanntes 'catch all'-Delikt: Damit werden abweichende Meinungen und politische Kritik an der chinesischen Regierung kriminalisiert.
Sophie Mak, chinesische Menschenrechtsaktivistin

Über Gefängnisse in China: "Mentale und physische Folter"

Was den Protestierenden in Haft droht, weiß Yang Zhanqing. Der Menschenrechtsaktivist saß vor einigen Jahren selbst in einem Gefängnis in China. "Man schüchtert sie ein mit großen Anklagen, sagt, dass Familie und Freunde mitreingezogen werden. Dass sie – selbst wenn sie freikommen – keinen Job mehr finden. Alle Arten von mentaler und physischer Folter."

Preis für Null-Covid-Politik zahlen Junge und Alte

Den Preis für Chinas unvorbereitete Lockerung der extremen Maßnahmen zahlen nicht nur die jungen Leute, die nach drei Jahren Null-Covid-Politik so verzweifelt waren, dass sie sich mit leeren DinA-4-Blättern auf die Straße trauten. Sondern auch viele ältere Menschen, die die Covid-Welle, die nach der Öffnung durchs Land raste, nicht überlebten.

In vielen Städten Chinas protestierten Menschen gegen Xi Jinpings Null-Covid-Politik. Meinungen in einem Land ohne Meinungsfreiheit.

27.11.2022
Zum Beispiel der Vater von Suí Mùqing. Der Menschenrechtsanwalt ist einer der wenigen, der offen darüber spricht. "Offiziell bescheinigte der Arzt nicht, dass er an Corona starb. Er sagte es mir nur privat."
In der Statistik taucht sein Vater nicht auf. Die zählt in den zwei Monaten nach den Lockerungen gerade mal knapp 85.000 Corona-Todesfälle in Chinas Krankenhäusern. Schätzungen gehen von mindestens einer Million Toten aus.

Coronavirus in China hat leichtes Spiel

Denn das Virus hat leichtes Spiel. Es trifft auf eine wenig immunisierte Bevölkerung, in der vor allem von den Alten nicht genug geimpft sind – und auf ein überlastetes Gesundheitssystem. Drei Jahre lang steckte die chinesische Führung Gelder lieber in Massentests und Quarantäne-Einrichtungen. "Die Geldbörsen der Chinesen wurden geleert", sagt Sui Muqing.
Auch die persönliche Freiheit und die Würde der Bürger wurden weitgehend beschnitten. Im Namen der Seuchenprävention wurden ihnen alle möglichen Rechte entzogen.
Sui Muqing
Den Corona-Deckmantel gibt es nicht mehr, die Unfreiheit bleibt.
Drei Jahre lang haben sie in China darauf gewartet, dass das Leben wieder losgeht. Viele haben dafür teuer bezahlt. Mit ihrer Freiheit. Oder sogar ihrem Leben.

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