: Beschaffung wieder Topthema beim EU-Gipfel
Es ist schon ein komischer Zufall, dass am Tag vor dem EU-Gipfel 29 Millionen Dosen Impfstoff in einem Pharmawerk von Astrazeneca südlich von Rom auftauchen. Der Fund der italienischen Kontrolleure ist pikant, weil Astrazeneca der EU gegenüber ständig von Produktionsschwierigkeiten berichtet und statt vertraglich zugesicherter 120 Millionen Dosen noch nicht mal 20 Millionen in die EU geliefert hat.
Die Vermutung der EU-Kommission: die Dosen sollten nach Großbritannien geliefert werden. Astrazeneca widerspricht, der eine Teil der Charge sei für ärmere Länder außerhalb Europas gedacht, der andere Teil für die EU.
Da trifft es sich gut, dass die EU-Kommission just am gleichen Tag ihre schon bestehenden Exportkontrollen für Impfstoffe verschärft. Ab jetzt können Exporte aus der EU gestoppt werden, wenn das Land, in das sie geliefert werden, keine Impfstoffe oder deren Komponenten in die EU ausführt. Gemeint ist vor allem Großbritannien: inzwischen bis zu 20 Millionen Dosen haben die Briten aus der EU bezogen, und im Gegenzug null Dosen in die EU geliefert.
Exportverbot - ja oder nein?
Schon wieder ein EU-Video-Gipfel, bei dem die 27 Staats- und Regierungschefs unter immensem Druck stehen. Die Impfkampagnen in ihren Ländern laufen schlecht, der Impfstoff immer noch zu knapp. Die angeschärften Exportkontrollen sollen zeigen, dass die EU sich von den Pharmakonzernen, speziell von Astrazeneca, nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Doch das Thema ist heikel.
Während Italien, Frankreich und wohl auch Deutschland für gezielte Exportstopp-Nadelstiche zu haben sind, sprechen sich Irland und die Niederlande klar dagegen aus. Man müsse die internationalen Lieferketten bei der Impfstoff-Herstellung und den Freihandel überhaupt schützen:
Es ist sicher gut ein Folterwerkzeug zu besitzen, aber wir sind nicht scharf darauf, es auch zu benutzen.
Beschlossen ist der Kontrollmechanismus bereits. Ein EU-Mitgliedsstaat kann einen Impfstoff-Export genehmigen oder verweigern, ausschlaggebend ist am Ende die Entscheidung der EU-Kommission. Bislang sind seit Ende Januar von 381 Exportanträgen 380 durchgewinkt worden.
Impfstoff-"Basar" in der EU
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz will die Verteilung der Impfstoffe auf dem Gipfel zum Thema machen, er kritisiert die Vergabe unter den EU-Ländern als "Basar", als "ungerecht" und fordert deshalb einen "Korrekturmechanismus".
Es ist zwar richtig, dass einige Länder wie Bulgarien, Lettland und die Slowakei schlechter versorgt sind als zum Beispiel Malta oder Dänemark. Das liegt aber nicht an geheimen Mauscheleien in EU-Gremien, wie Kurz sie vermutet, sondern daran, dass jene Länder wenig Biontech/Pfizer eingekauft und dafür auf Astrazeneca gesetzt haben, die jetzt nicht liefern können. Auf Ebene der Mitgliedsstaaten laufen Verhandlungen, diese Unwucht auszugleichen. Und Österreich? Steht mit seiner Kritik ziemlich isoliert da.
Sputnik V als Retter in der Not?
Besonders Deutschland hat die EU-Kommission aufgefordert "zeitnah" Gespräche mit Russland aufzunehmen, um den offenbar hochwirksamen Impfstoff Sputnik V einzukaufen. Noch während des Prüfverfahrens der Europäischen Medizin-Agentur (EMA) könnten Vorverträge abgeschlossen werden, sagt ein deutscher Regierungsvertreter. Klingt gut, schnell helfen aber wird es nicht.
Der Chef der EU-Impfstoff-Task-Force Thierry Breton hat den Mitgliedsstaaten vorgerechnet, dass Sputnik, wie alle anderen Pharmakonzerne auch, Lieferprobleme hat und erst eine europäische Produktion aufbauen muss. Liefern kann Russland wohl weder im zweiten, noch im dritten Quartal 2021. Und wäre damit Ende des Jahres wohl überflüssig, weil bis dahin auch alle anderen Hersteller genügend produzieren.
Und dann ist da noch Joe Biden…
Der am Abend zugeschaltete neue US-Präsident wird einer der Lichtblicke dieses EU-Gipfels werden. Die Botschaft, dass die USA jetzt wieder mit den Europäern zusammenarbeiten wollen, können die EU-Regierungschefs gar nicht oft genug hören. Und da die Zeit des US-Präsidenten knapp bemessen ist, wird man bei Höflichkeiten bleiben. Sonst müssten die Europäer am Ende die Frage stellen, warum auch der freundliche Joe Biden keine Impfstoffe aus den USA nach Europa exportiert.