: Impfpflicht schrumpft zur Nullnummer
"Nicht verhältnismäßig", "Begründung verloren", "Aufwand zu hoch": Der Widerstand gegen die Corona-Impfpflicht für das Personal und Pflegeeinrichtungen sowie Altenheime war noch nie klein. Jetzt aber beginnen die ersten Bundesländer, sie nicht mehr vollständig umzusetzen.
Ihr Hauptproblem: Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz ab 1. Oktober müsste eigentlich der Impfstatus des Pflegepersonals noch einmal komplett überprüft werden. Und das, obwohl Ende des Jahres die Pflicht zur Impfung ausläuft.
Neuer Impftsatus nur Pflicht für Neue
Das Infektionsschutzgesetz, das vorige Woche vom Bundesrat mehrheitlich gebilligt wurde, legt strengere Kriterien für den Impfstatus als bisher fest. Ab Oktober darf nur in den Einrichtungen und Krankenhäusern arbeiten, wer
- drei Einzelimpfungen, davon die letzte mindestens drei Monaten nach der zweiten,
- oder zwei Einzelimpfungen plus positiven Antikörpertest oder Genesenstatus vor oder nach der zweiten Impfung
vorweisen kann.
Bis Ende September braucht es die Drei-Monats-Regel noch nicht. Auch wäre ein Genesenenstatus vor oder nach der ersten Impfung ausreichend.
Die Konsequenz: Eigentlich müssten viele Beschäftigte ihren Impfstatus auffrischen und das Gesundheitsamt diesen überprüfen. Doch diesen Aufwand findet Baden-Württemberg "nicht mehr verhältnismäßig", wie das Gesundheitsministerium auf Anfrage mitteilt:
Baden-Württemberg wird daher bei Personen, die bereits in den Einrichtungen tätig sind, keine erneute Vorlage eines Immunitätsnachweises verlangen.
Bayern: Aufwand zu groß
Ähnlich sieht das Bayern: Den neuen Impfstatus müssen nur diejenigen nachweisen, die ab 1. Oktober neu eingestellt werden, heißt es aus dem Staatsministerium für Gesundheit. Minister Klaus Holetschek (CSU) begründete das mit dem "großen Aufwand sowohl für die Betroffenen als auch die Einrichtungen und Unternehmen sowie die Gesundheitsämter, die allesamt auch so schon genug zu tun haben."

Mehr als drei Monate nach Beginn der Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Seniorenheimen und Kliniken sind erste Bußgelder für ungeimpfte Pfleger*innen verhängt worden.
07.07.2022 | 02:04 minDas Mahn- und Bußgeldverfahren beim fehlenden Impfstatus hält Bayern ohnehin für fragwürdig. Weil Gerichtsverfahren noch anhängig sind und die Einrichtungen weiter mit Personalmangel kämpfen, sind schon seit Ende Juli die Gesundheitsämter angehalten, die Aufforderung zum Impfnachweis erst gar nicht mehr zu verschicken.
Länder gegen Verlängerung nach Januar
Bayern hatte deswegen im Bundesrat dem neuen Infektionsschutzgesetz nicht zugestimmt. Ebenfalls Thüringen: Dass die Impfpflicht weiterhin enthalten sei, führe "zu viel Missvergnügen" und "Unfrieden" in den Einrichtungen, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Baden-Württemberg stimmte trotz der eigenen Auslegung des Impflichtnachweises zu. Dort ist man allerdings nicht prinzipiell dagegen: Das Land, betont das Gesundheitsministerium, "wirbt nicht nur dafür, sondern unterstützt auch weiterhin die Umsetzung der Impfung tatkräftig".
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Obwohl die Länder weiter Mahn- und Bußgeldbescheide verschicken, vereinzelt auch Betretungsverbote aussprechen, hält sich die Begeisterung, die Impfpflicht auf das Jahr 2023 zu verlängern, in Grenzen. Ein Auslaufen sei "folgerichtig", heißt es aus Niedersachsen. Die Zahl der nichtgeimpften Beschäftigten liege dort unter fünf Prozent. Sachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen etwa sehen das ähnlich.
Düsseldorf fordert "schnellstmöglich zu klären, wie mit Sanktionsverfahren umzugehen ist". Denn dass nun Betretungs- und Tätigkeitsverbote verschickt werden, die ab Januar schon ohne Rechtsgrundlage mehr sind, das sei:
Schwer vermittelbar und stößt auf Unverständnis.
Impfpflicht ab Oktober "ohne zusätzlichen Gewinn"?
Doch nicht nur der Unmut unter den Beschäftigten wächst, sondern auch die rechlichen Bedenken. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hätte gewarnt sein können: In der Anhörung zum Infektionsschutzgesetz im Bundestag hatte der Verfassungsrechtler Robert Seegmüller davor gewarnt, dass ab Oktober die Impfpflicht verfassungswidrig werden könnte.
Sie sei "ungeeignet und unverhältnismäßig", um in den Einrichtungen einen höheren Infektionsschutz zu erzielen. Zumal künftig eine Test- und Maskenpflicht dort gilt, um vulnerable Gruppen zu schützen. Es erscheine ihm "nicht ersichtlich", so Seegmüller, "welchen zusätzlichen Gewinn" durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht "eigentlich noch erzielt werden kann".
Gaß: Nur kurzer Schutz vor Ansteckung
Die Träger der Einrichtungen fremdeln ebenfalls mit der Impfpflicht. Der Caritasverband ist nicht für ein sofortige Abschaffung, ein Auslaufen zum Januar sei "ausreichend“. Die Diakonie wirbt für "Augenmaß" und mehr Auffrischungsimpfungen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist dagegen für ein sofortiges Aussetzen. Neben dem "unglaublichen bürokratischen Aufwand" ab Oktober, so Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß, habe sie auch "ihre faktische Begründung verloren". Die Impfung schütze nicht vor Ansteckung oder höchstens für einen kurzen Zeitraum.
Das zentrale Argument für die Impfpflicht fällt also weg.
Und das Bundesgesundheitsministerium? Will sich derzeit nicht ausführlich äußern. Nur so viel: "Zu diesem Thema sind wir in intensiven Gesprächen – auch mit den Ländern."