: Briten fürchten EU-Exportbeschränkung

von Andreas Stamm
24.03.2021 | 21:23 Uhr
Die Angst geht um im Vereinigten Königreich - vor den "bösen Europäern". Die keine Impfstoffe mehr liefern wollen. Und damit den Erfolg des Impfprogramms gefährden.
Der Covid-19-Impfstoff von AstrazenecaQuelle: picture alliance / AA
Endlich Sonnenschein auf der Insel, der von politischer Natur. Nach einem Jahr Corona-Chaos, mit mehr als 120.000 Toten und dem Gefühl, dass die Regierung Johnson jeden möglichen Fehler in der Pandemiebekämpfung mindestens einmal gemacht hat, ist endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Den Sonnenschein brachte das größte Impfprogramm der britischen Geschichte. Man hatte frühzeitig viel Geld in die Hand genommen, die Vakzinentwicklung breit gefördert, kräftig vorbestellt. Impfstoffe bekamen Notfallzulassungen. Perfekt organisiert konnte man als erstes Land in Europa mit Massenimpfungen loslegen. 30 Millionen haben mittlerweile ihren ersten Schuss bekommen. Der schrittweise Öffnungsplan, das Ende aller Lockdown-Einschränkungen bis Ende Juni - das große Ziel.

Dunkle Wolken aus Brüssel

Und dann doch wieder die Europäer. Drohen mit einem Exportstopp für Astrazeneca. Denn, so Brüssel, man habe bislang 10 Millionen Dosen exportiert. Den Erfolg des britischen Impfprogramms quasi befeuert. Damit soll jetzt Schluss sein - solange man selbst unter Impfstoffmangel leide, will die EU-Kommission noch strenger prüfen, ob sie den Export genehmigen kann. Ein abgeschwächter Plan, kein sofortiger Lieferstopp. Aber es bleibt ein Damokles-Schwert über Britannien.
"Nur mit Impfstoff aus Indien und der EU haben wir es geschafft, 40 Prozent der Erwachsenen einmal zu impfen", erklärt Devi Sridhar, Professorin für öffentliche Gesundheit an der Universität Edinburgh. "Jetzt will niemand mehr Impfstoff abgeben. Aber wenn man komplett aus dem Lockdown will, ohne eine dritte Welle zu riskieren, müssen bis zu 90 Prozent geimpft sein."
Der vorgesehene Impfstart für Unter-50-Jährige musste wegen ausbleibender Lieferungen aus Indien schon von April auf Mai verschoben werden. Und sollte die EU künftig Lieferungen von Astrazeneca nach GB wirklich untersagen, sind weitere Verzögerungen unausweichlich.

Wer im Glashaus sitzt

Für einen Premier, der durch das Impfprogramm wie Phönix aus der Asche aufsteigt, eine ungemütliche Situation. Die er durch unüberlegte Äußerungen noch anfacht. Die Gier sei es, soll Johnson hinter verschlossenen Türen Teilen seiner Fraktion eröffnet haben, "weshalb wir so viel Impfstoff von Astrazeneca haben, und Europa nicht". Bevor größerer Schaden entstehen kann, versucht die Pressemaschinerie des Premier zu dementieren.
Doch im Endeffekt hat Johnson wohl recht. Man hat sich von Astrazeneca vertraglich zusichern lassen, dass alle in England produzierten Impfstoffe in den Armen der eigenen Bevölkerung landen. Man braucht also keinen rechtlich aufwendigen Kontrollmechanismus. "Moralisch", so Devi Sridhar, mache das keinen Unterschied. "Europa exportiert Impfstoff, und Briten, aber auch Amerika, nicht." Dass der EU Impfnationalismus vorgeworfen wird, sei absurd.

Wer impfen kann, gewinnt

Mit Telefondiplomatie hat London wohl mit verhindert, dass die EU einen Exportstopp verhängen könnte. Auch veröffentlichten Großbritannien und die EU inzwischen ein Statement, in dem sie ihre Kooperation bekräftigen und weitere Gespräche ankündigen. "Offenheit und globale Zusammenarbeit" seien demnach der Schlüssel, um die Pandemie zu bewältigen. Doch die Gefahr bleibt. Und zwei Lehren aus dieser Krise seien offensichtlich, erklärt Sridhar. Zukünftig werden Europäer und Briten darauf achten, die komplette Produktion von Impfstoffen innerhalb der eigenen Grenzen sicherzustellen.
Und die Härte im internationalen Wettstreit um Impfstoffe nehme zu. Denn am Ende ist sich jedes Land das nächste, was man auch keinem Politiker verdenken kann. "Wie wolle man etwa dem 72-jährigen deutschen Wähler vermitteln, dass er nicht geimpft werden kann? Da der notwendige Impfstoff, hergestellt in der EU, auf dem Weg nach England ist. Und da Unter-50-Jährigen gespritzt wird."

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